
Ein Meister! Ein Genie! Ein Wunderkind! Seit Jahren begeistert der 36-jährige venezolanische Dirigent Gustavo Dudamel sein Publikum als Leiter des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Er dirigierte die Göteborger Symphoniker, die Berliner Philharmoniker und in diesem Jahr das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Er wurde mit Preisen überhäuft und von Grössen wie Sir Simon Rattle oder Daniel Barenboim gefördert – dem sicher politisch aktivsten Dirigenten unserer Tage. Sein Leben in Kurzfassung: Ein venezolanischer Wuschelkopf erobert die Welt.
Gustavo Dudamel taugt nicht mehr als Posterboy der Propaganda.
Und doch lag ein Schatten über seiner Karriere. In Venezuela nannten sie ihn einen Feigling. Dudamel ist einerseits ein Volksheld – die Venezolaner sind es nicht mehr gewohnt, im Ausland für ihre Kulturleistungen beklatscht zu werden. Andererseits schlug die Verehrung zuletzt mehr und mehr in Enttäuschung und Hass um. Weil er es nicht fertigbrachte, sich kritisch zur Krise in seiner Heimat zu äussern. Dort terrorisiert das Regime von Präsident Maduro die Bevölkerung. Die Nahrungsmittel gehen aus, Oppositionelle werden verfolgt, die Demokratie stirbt. Dudamel aber, dem der ganze Globus zuhört, sagte zu all dem: nichts.
«Es reicht»
Jetzt hat er sein Schweigen gebrochen. In dem öffentlichen Brief «Ich erhebe meine Stimme» forderte er Maduro auf, endlich auf den Willen des Volkes zu hören. Zum Umdenken brachte ihn wohl der Fall eines jungen Geigers aus dem Simón-Bolívar-Orchester, wo Dudamels Laufbahn einst begann und das er bis heute leitet. Der 17-Jährige wurde am Mittwoch bei Protesten gegen die Regierung in Caracas getötet. Die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Unruhen Anfang April ist so auf 37 gestiegen. «Es reicht», schrieb Dudamel am nächsten Tag: «Nichts kann dieses Blutvergiessen rechtfertigen.»
Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte Dudamel in einem Beitrag für die «Los Angeles Times» erläutert: «Warum ich nicht über die Politik in Venezuela spreche.» Weil er weder Politiker noch Aktivist sei, weil er mit seinem Taktstock die Gesellschaft verändern wolle. Manche halten das für naiv. Dabei ist nicht zu leugnen, dass er tatsächlich vieles bewegt hat. Der Junge aus der Grossstadt Barquisimeto wurde in der berühmten Musikakademie El Sistema ausgebildet und gilt heute als Symbolfigur der Klassikbegeisterung in Venezuela. Damit war er aber auch immer ein Günstling des Systems.
Ihm hing nach, dass er sein Bolívar-Orchester auf der Beerdigung von Hugo Chávez dirigiert hatte – sichtlich ergriffen vom Tod des Revolutionsführers. Auch seine Aussage, Chávez sei ein «wunderbarer Tutor» der venezolanischen Musikförderung gewesen, wurde er nicht mehr los. Die Regierung in Caracas nutzte das Zitat liebend gern zur Selbstvermarktung. Damit ist jetzt wohl Schluss. Gustavo Dudamel taugt nicht mehr als Posterboy der Propaganda.
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Endlich kritische Töne
Venezuelas Stardirigent Gustavo Dudamel rügt erstmals das Regime.