Entscheidet in Zukunft das Los, wer gewählt wird?
Ohne die nötigen finanziellen Mittel wird der Wahlkampf schwer. Eine Initiative fordert: Die Nationalräte sollen bald ausgelost werden.

Könnte die zufällige Vergabe der Nationalratsmandate durch eine Auslosung das schwindende Interesse der Bevölkerung am demokratischen Prozess stoppen? Diese These vertreten jedenfalls die Initianten der Volksinitiative «Generation Nomination», die im nächsten Jahr lanciert werden soll.
«Die Zeit, die unsere Nationalräte für ihre Wiederwahl aufwenden, geht unserem Land verloren», sagt der Erfinder der Initiative, Charly Pache. Ausserdem spiegle der Nationalrat die Gesellschaft nicht wider: «Die heutigen Parlamentarier sind vor allem Männer in den Fünfzigern, die Recht oder Wirtschaft studiert und in der Armee Karriere gemacht haben.»
Die Stimmbürger hätten im heutigen politischen System nicht wirklich eine Wahl. Denn die Kandidaten stünden auf einer vorbereiteten Liste und seien von einer Partei ausgewählt worden. Personen ohne die nötigen finanziellen Mittel oder ohne Lust auf eine Karriere innerhalb einer Partei schafften es nie dahin.
Chancengleichheit
Der Zufall hingegen könnte diesen Mangel ausgleichen, glauben die Initianten. Denn mit der Vorlage hätte jede Bürgerin und jeder Bürger die gleiche Chance auf eine Sitz im Nationalrat. Diejenigen, auf die das Los fiele, hätten die Möglichkeit, das Mandat abzulehnen.
Wer es jedoch annähme, würde vor seinem Amtsantritt während eines Jahres auf den Job vorbereitet und dabei mit den politischen Institutionen, den aktuellen politischen Themen und den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut gemacht. Diese Kurse wären für Pache ein wesentlicher Teil der Initiative.
Weiter würden nicht alle 200 Sitze auf einmal vergeben, sondern immer nur 50 pro Jahr. Auf diese Art und Weise würde der Nationalrat schrittweise ausgewechselt. Das wiederum garantiert nach Ansicht der Initianten eine bessere Betreuung der laufenden Dossiers.
«Gesunder Menschenverstand»
Die Ausgelosten würden zudem nur vier oder sechs Jahre im Amt bleiben, was mehr als die Halbierung der heutigen durchschnittlichen Amtsdauer bedeutete. Die Initiative ziele darauf hin, dass der Entscheidungsprozess unabhängig von einer ideologischen Linie oder der Karriereplanung erfolge, sagt Pache. Durch die beschränkte Amtsdauer wären auch politische Seilschaften schwierig aufrecht zu erhalten.
Die Ausgewählten würden so einzig und allein von ihrem gesunden Menschenverstand und Ratschlägen von Spezialisten geleitet. Beim Auswahlverfahren würden die heutigen technischen Kriterien wie Proportionalität, Vertretung der Kantone oder Schutz der Minderheiten selbstverständlich beibehalten, betont Pache.
Wissenschaftliche Unterstützung
Unterstützung erhält Pache von Wissenschaftlern wie Yves Sintomer, Politologie-Professor an der Universität Lausanne. Seiner Meinung nach brächte eine Mandatsvergabe per Los frischen Wind in die Politik, was die traditionellen Parteien alleine nicht zu Stande brächten.
Und auch Dimitri Courant, der an der Universität Lausanne seine Doktorarbeit über die Auslosung schreibt, glaubt, dass die Aussicht auf ein mögliches Mandat das «Gegengift» zu einer gewissen Demokratiemüdigkeit in der Bevölkerung sein könnte. Denn viele wandten sich wegen der fehlenden Transparenz von der Politik ab. «Aber das demokratische Verlangen ist gross», sagt Courant.
Kritiker fürchten Ausnutzung und fehlendes Interesse
Die Argumente der Wissenschaftler überzeugen aber nicht alle. Für Nationalrat Andreas Gross (SP/ZH) stellt sich die Initiative gegen «den Geist der Demokratie». Die Initiative vergesse, dass die Parlamentarier nicht sich selbst vertreten, sondern alle Bürgerinnen und Bürger mit den gleichen Interessen, Werten und Visionen der Gesellschaft.
Das Engagement in der Politik erfordere «Interesse und Ergebenheit gegenüber der Gesellschaft und deren Probleme». Ein Lehrjahr vor der Amtsperiode sei zwar schön, aber reiche nicht aus, um das Defizit an jahrelanger politischer Erfahrung nachzuholen.
Lobbyisten und Verwaltungsträger würden diesen Mangel an Erfahrung ausnutzen. Sie wären dann die einzigen Spezialisten in ihrem Fach, sagt Gross. Auch der ehemalige Nationalrat Jaques-Simon Eggly (Lib./GE) ist kritisch. Er möchte den Parlamentariern lieber mit direkter Hilfe unter die Arme greifen. Der Arbeitsumfang sei einfach zu gross für eine einzelne Person, sagt Eggly. Er plädiert deshalb für die Unterstützung durch Assistenten.
SDA/nab
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch