Er begegnete dem Bösen Hunderte Male
Vierzig Jahre lang hat «Blick»-Gerichtsreporter Viktor Dammann über Mord- und Totschlag geschrieben. Nun hat er seine Autobiografie veröffentlicht.

Viktor Dammann hatte 1969 zum ersten Mal das Böse im Blick. Als 19-Jähriger fotografierte er in Winterthur den Mörder Karl Angst, der gerade vom Gefängnis zum Gericht geführt wurde. «Das Böse im Blick» – so lautet auch der Titel seiner nun veröffentlichten Autobiografie. Denn seit dem Erlebnis in Winterthur ist «Vik», wie er genannt wird, dem Bösen Hunderte Male begegnet: im Gerichtssaal, am Tatort oder im direkten Gespräch mit Mördern und anderen Verbrechern. Kaum ein Zürcher Polizei- oder Gerichtsreporter hat so lange Zeit über so viele Verbrechen und Unglücksfälle berichtet wie der heute 69-Jährige.
Das Staunen, sagt Dammann, habe ihn stets motiviert, über Prozesse oder «krumme» Geschichten zu schreiben. Das Staunen darüber, wie sich die Menschen «zläidwerched», wie sie sich in der frühmorgendlichen «Stunde der Idioten» wegen einer Belanglosigkeit halb oder ganz totschlagen.
Ein Fall, der Dammann immer wieder zum Staunen brachte und den er in seiner Biografie ausführlich schildert, ist der Fall Gabor Bilkei. Rund 50-mal berichtete er über den einstigen Dübendorfer Tierarzt, der 1996 seine Ehefrau erschossen hatte. Bilkei, sagt Dammann, sei der Typ gewesen, der nicht habe verlassen werden wollen, sondern jemanden verlasse. Er habe nicht akzeptieren können, dass seine Ehefrau sich von ihm habe trennen wollen. Ihre Leiche fand man nie – nur ihren Kopf, ein Jahr später. Dass der Tierarzt am Prozess alles abstritt und nach Verbüssung der Strafe eine frühere Kundin heiratete, passt in Dammanns Berufsmotivation: «einfach nur staunen».
Der Brand im Burghölzli
Bevor Dammann als Reporter beim «Blick» anfing, war er zehn Jahre lang Pressefotograf bei der Bildagentur Keystone; nebst vielen Sportereignissen war er bei schweren Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürzen oder Zugunglücken vor Ort. Noch gut in Erinnerung ist ihm der Brand in der psychiatrischen Klinik Burghölzli 1971 mit 28 Toten, wo er als Neuling hingeschickt wurde. Obwohl er in seiner langjährigen Reporterzeit viel Grauenhaftes gesehen habe, Routine sei bei ihm nie entstanden. Im Gegenteil: Vor rund 15 Jahren lief ihm bei einer Fahrt durch einen langen Tunnel plötzlich der kalte Schweiss herunter, er begann zu zittern und bekam Angstzustände. Eine Posttraumatische Belastungsstörung, wie die Psychologin später feststellte. Dammann ging in die Therapie, sie wirkte.
Seit der Pensionierung versucht Dammann, dem Bösen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. «Ich habe die Nase voll von so viel Grauenhaftem, da lasse ich die Jüngeren ran», sagt er. Er hatte seine Portion Schauder und Staunen während seiner Karriere. Zum Beispiel war er im Gericht, als der Mord an einem Mann mit dem Gift des Grünen Knollenblätterpilzes verhandelt wurde. Dessen Ehefrau hatte einen Geliebten, der sogar in die eheliche Wohnung eingezogen war. Die Frau und ihr Geliebter versuchten schon vorher, den Ehemann umzubringen; unter anderem warfen sie einen laufenden Föhn in die Badewanne, in der der Mann sass. Trotzdem konnte sich der Ehemann von der Frau nicht lösen, er war ihr völlig hörig. Dammann schreibt in seiner Biografie: «Ich habe durch dieses Drama lernen müssen, dass es manchmal keine Erklärung gibt. Der Ehemann hatte sich ähnlich einem Reh im Scheinwerferlicht verhalten. Erstarrt und zur Flucht unfähig.»
Während seiner Karriere kamen Dammann auch Selbstzweifel an seiner Arbeit auf. So berichtete er über den Fall eines Pädosexuellen, der sich später das Leben nahm: «Ich war betroffen, als ich davon erfuhr», sagt er. Der Fall war insofern einzigartig, als der Mann Dammann zuvor mit dem Tode bedroht hatte und Dammann eine Weile bewaffnet unterwegs war. Von Polizisten, Juristen und Anwälten liess er sich später bescheinigen, fair über den Fall berichtet zu haben.
Tote Fische im Briefkasten
Es blieb aber nicht das einzige Mal, dass Dammann angefeindet wurde. Der «Blick» berichtete in einer Artikelserie über den von ihm als «Petardentrottel» bezeichneten FCZ-Fan. Daraufhin landeten in den Briefkästen des Gerichtsreporters und weiterer «Blick»-Sportjournalisten tote Fische. Dass ein FCZ-Anhänger auf Dammanns Telefonanrufbeantworter noch mit «Metzgen und Schächten» gedroht habe, habe er seiner Frau nicht erzählt, sagt er. Sie wolle nicht immer alles so genau wissen über «seine bösen Geschichten».
Viktor Dammann hat in seiner langen Berufskarriere auch die Veränderung des Polizeireporters miterlebt. Bis in die 90er-Jahre hatten die Blaulichtreporter noch einen von der Stadt- und der Kantonspolizei Zürich ausgestellten Polizeiberichterstatterausweis, mit dem sie sich an den Unfallplätzen oder den noch wöchentlich stattfindenden Pressekonferenzen ausweisen mussten. Da es noch keine Handys gab, war bei einem Unglücksfall oder einem Verbrechen jeweils die erste Frage: «Wo ist die nächste Telefonkabine?», um die Neuigkeiten der Redaktion durchzugeben. Der Wechsel vom Einzelkämpfer zum Newsroomjournalisten hat Viktor Dammann keine Mühe bereitet.
Hartnäckig im Recherchieren, umgänglich mit Kollegen, hat Dammann insgesamt ein rundes Dutzend Chefredaktoren beim «Blick» kommen und gehen sehen. Er pflege bis heute gute Kontakte zu Polizei, Justiz und Unterwelt, wobei nie Geld geflossen sei, betont er. Informanten müsse man sorgsam wie rohe Eier behandeln und dürfe sie nicht überbeanspruchen. Dammann hat ein Credo entwickelt, mit dem er immer gut gefahren sei: «Du kannst über alles reden, nur nicht über Informanten.»
Viktor Dammann: Das Böse im Blick. Mein Leben als Polizei- und Gerichtsreporter. Orell Füssli, 26.90 Franken.
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