Neues «Hotel» in UsterEr beherbergt Sauerteige
Martin Mayer kümmert sich um die Sauerteige von Brotliebhabern, wenn diese verreisen. Begegnung mit einem Bäcker, für den die Mehl-Wasser-Mischung viel mehr ist als das.

Ein lebender Organismus. Ein Hund. Ein kleines Kind gar. Damit vergleicht Martin Mayer seinen eigenen Sauerteig, und er betont wieder und wieder, wie einem so ein Teig ans Herz wachse, wie emotional die Bindung sei, wie behutsam man damit umgehen müsse. Er sagt es in seiner Backstube. Und er hat es sogar dem «Spiegel» erzählt, der auf den Bäcker in Uster aufmerksam geworden ist. Denn seit diesem Herbst bäckt Mayer nicht mehr nur Sauerteigbrote, er hat ein Hotel für sie eröffnet.
Wenn Hobbybäckerinnen in die Ferien gehen, füttert der 41-Jährige deren Teige, damit sie nicht kollabieren. Sieben Franken pro Nacht verlangt er dafür. Sein Hotel liegt nicht im Kreis 3, sondern ausserhalb von Uster, in der Backstube von Mayers Bäckerei Vuaillat, die in einer alten Spinnerei untergebracht ist.
Es pufft und ploppt
Auf den sozialen Medien überfallen einen spätestens seit Corona Bilder von Sauerteigbroten, Laibe, knusprig und Mehl-verziert, wahlweise auf einem Tuch drapiert oder als Trophäe präsentiert: #breadmaking, #sauerteig #breadporn.
«Die Nachfrage nach Brotbackrezepten hat stark zugenommen», sagte Stephan Scheuner vom Verein Schweizer Brot gegenüber SRF. Die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel charakterisierte auf Twitter eine weitverbreitete Sehnsucht: «Mein Alltag ist so hektisch, meine Arbeit so zehrend, dabei würd ich doch so gern mal einfach nur Zeit haben, ein Dinkelbrot zu backen.»
Martin Mayer sagt, vor fünf Jahren sei er in der Schweiz noch einer der raren Sauerteigbäcker gewesen. In seiner Backstube in Uster öffnet er einen Kessel, eine Sauerteigkultur aus Südafrika, mehr als zwanzig Jahre alt, «je älter, desto besser». Vorsichtig beugt er seinen Kopf über die dickflüssige Masse. Nie würde er die Kultur anfassen, denn sonst könnte sie verunreinigt werden. Mayer, Jeanshemd, die Locken zum Dutt gebunden, erinnert sich jetzt daran, wie er mit dem Sauerteig durch Südafrika fuhr und Angst hatte, dass die Mehl-Wasser-Kultur wegen der Hitze stirbt. Dieses Erlebnis, gekoppelt mit dem Corona-Backboom, brachte ihn auf die Idee mit dem Hotel.
Auch eine Klinik
Die Freizeitbäcker können ihre eigenen Kulturen in Plastikschüsseln nach Uster bringen. Mayer erkundigt sich dann, wie sie ihre Lieblinge füttern. Danach beobachtet er die Teige täglich, riecht, beobachtet, ob sie puffen oder ploppen, gibt Mehl und Wasser nach, kurz bevor sie Alkohol bilden. «Sonst verhungern sie», sagt Mayer. Wenn die Teigeigentümerinnen aus den Ferien zurückkehren, können sie nach Hause fahren, sofort einen Teil ihres Sauerteigs abschöpfen und ein Brot backen. Der Rest vermehrt sich wieder.

Im Gestell in der Backstube schlummern die Teige, die Farben je nach Mehl ganz unterschiedlich, irgendwo zwischen Milchschaum und Vermicelles. Manchmal sei sein Hotel auch eine Art Klinik, sagt Mayer. Er beobachtet die Kulturen dann, schaut, welche Temperatur und Zutaten sie brauchen. «Das muss man im Gefühl haben», sagt er.
Früher war es Martin Mayer peinlich, in einer Bäckerei zu arbeiten. «Der Dümmste in der Familie lernt Bäcker», habe er immer zu hören bekommen, als er in Illnau die Lehre in einer Bäckerei machte. Er wechselte in die Telekommunikation, wanderte dann 2013 nach Neuseeland aus, ärgerte sich über die dortige Toastbrot-Kultur und lernte einen Bäcker kennen, der in Auckland Sauerteigbrote buk.
Bei ihm fand er Arbeit und entdeckte die Mischung aus Wasser und Mehl, die ihm den Berufsstolz zurückbrachte. Vor vier Jahren hat er die Bäckerei Vuaillat mit zwei Filialen in Uster übernommen. 2018 kam eine weitere im Heimatdorf Illnau dazu. Er verkauft dort fünfzehn verschiedene Sauerteigbrote, bietet Sauerteig-Kurse an – und eröffnete kürzlich das Hotel.

Noch wenige Gäste
Zwei Fragen drängen sich in der Backstube in Uster noch auf: Läuft das Hotel? Und – bei aller emotionaler Bindung – kann man diesen Teig über die Ferien nicht einfach in den Kühlschrank stellen? Oder ihn entsorgen und bei der Rückkehr einen neuen anrühren?
Martin Mayer, ganz ernst, entfernt einen Krümel von einem Sauerteigbrot, das in der Gärschale auf den Ofen wartet. Ein knappes Dutzend Sauerteige habe er bis jetzt beherbergt, sagt Mayer. Das liege vor allem daran, dass momentan nur wenige Menschen in die Ferien fahren und jemanden brauchen, der ihre Kulturen hütet.

Im Kühlschrank würde ein Sauerteig bestimmt einige Tage überleben, sagt Mayer. «Doch er wird in einen Schlafmodus versetzt, die natürlichen Mikroorganismen sind weniger aktiv.» Die Entsorgung eines Sauerteigs sei ein heikles Thema. Der Teig entwickle mit steigendem Alter mehr Geschmacksstoffe. Und es sei ja nicht einfach ein Teig, sondern eben ein Sauerteig.
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