Film-Highlights der WocheEr haut alle übers Ohr
Bradley Cooper spielt in «Nightmare Alley» einen gerissenen Scharlatan. Dazu empfehlen wir eine Liebeskomödie von Paul Thomas Anderson und ein norwegisches Drama.

Nightmare Alley
Thriller von Guillermo del Toro, USA 2021, 150 Min.
In Krisenzeiten haben Scharlatane Auftrieb. Während in Europa der Zweite Weltkrieg losbricht, steigt Stan Carlisle (Bradley Cooper) in Amerika zu einem gefeierten Gedankenleser auf. Er beginnt als Hilfskraft bei einem Karneval und geht dort bei einer Hellseherin und ihrem Mann in die Lehre, wobei er ein Naturtalent darin zeigt, Menschen übers Ohr zu hauen.
Nachdem er sich die Hellseher-Tricks angeeignet hat, verlässt er den Zirkus mit Molly (Rooney Mara). Mit ihrer Gedankenlese-Nummer unterhalten die beiden reiche Leute. Es braucht nicht viel, damit Stan alle moralischen Bedenken vergisst: Er soll einem Ehepaar dabei helfen, Kontakt mit ihrem verstorbenen Sohn aufzunehmen, natürlich für gutes Geld. Um dem Paar übersinnliches Wissen vorzugaukeln, tut er sich mit deren Psychiaterin (Cate Blanchett) zusammen.
Bradley Cooper hat schon vier Oscar-Nominierungen erhalten – unter anderem für «American Sniper» und «A Star Is Born» –, und es wäre keine Überraschung, käme dank «Nightmare Alley» eine weitere hinzu. Wie er sich in der vielschichtigen Rolle austobt, als Gentleman ebenso wie als Wrack, ist spektakulär anzusehen. Und sein Spiel passt zu einem Film, der das Morbide und Extravagante feiert. Regisseur Guillermo del Toro («The Shape of Water») hat den gleichnamigen Roman von William Lindsay Gresham verfilmt, und im Gegensatz zur ersten Kinoversion aus 1947 hat diese Adaption kein aufgesetztes Happy End. (ggs)
Abaton, Corso, Kosmos
Licorice Pizza
Liebeskomödie von Paul Thomas Anderson, USA 2021, 133 min.
Wenn Regisseur Paul Thomas Anderson zuletzt neue Filme präsentierte, kamen wir oft etwas gequält oder halbwegs erleuchtet aus dem Kino. Nicht so bei seiner jüngsten Liebeskomödie: In «Licorice Pizza» blendet der Kalifornier in einen Sommer im San Fernando Valley zu Beginn der Siebzigerjahre zurück.
Es geht um einen jugendlichen Schauspieler und Möchtegern-Entrepreneur, der sich in eine zehn Jahre ältere Gelegenheitsjobberin verliebt. Gespielt werden die Rollen von Cooper Hoffman (dem Sohn des verstorbenen Philip Seymour Hoffman) und Alana Haim (aus der Geschwisterband Haim). Beide haben noch nie in einem Spielfilm mitgewirkt. Aber was Anderson aus ihnen formt, mit welcher Leichtigkeit er sie durch allerlei zeittypische Szenen und Krisen schlingern lässt, ist von einer ergreifenden Grandezza. So frisch war der Regisseur seit «Boogie Nights» und «Magnolia» nicht mehr. (zas)
Arena, Arthouse Piccadilly, Houdini, Kosmos
The Worst Person in the World
Drama von Joachim Trier, Norwegen 2021, 121 Min.
Mit diesem Film schliesst Regisseur Joachim Trier – ein entfernter Verwandter des Dänen Lars von Trier – seine Oslo-Trilogie ab, die er 2006 mit seinem ersten Spielfilm «Reprise» begonnen hatte und 2011 mit dem Suiziddrama «Oslo, 31. August» fortsetzte.
Der aktuelle Titel «The Worst Person in the World» ist eine Selbsteinschätzung der jungen Julie. Zwischen Psychologiestudium und Fotografinnenkarriere sucht sie ihren Weg, fühlt sich manchmal tatsächlich als schlechteste Person der Welt, dann auch wieder als beste. Eine wunderbare «Éducation sentimentale» in zwölf Kapiteln, fabelhaft gespielt von Renate Reinsve, die dafür den Darstellerinnenpreis von Cannes bekam. (ml)
Arthouse Movie, Riffraff
The Wasteland
Horrorfilm von David Casademunt, Spanien 2021, 92 Min.
Netflix landete im vergangenen Jahr mit dem spanischen Thriller «The Platform» einen Überraschungshit. Es ging um ein futuristisches Gefängnis mit 333 Stockwerken, durch die einmal am Tag von oben nach unten ein festlich gedeckter Tisch mit Nahrung hinabgelassen wird. Überhaupt ist der spanische Horrorfilm ja spätestens seit dem Zombiefilm «[Rec]» von 2007 eine eigene Marke geworden.
«El páramo / The Wasteland» ist jetzt aber viel ausgeruhter geworden, als man es nach diesen anderen Filmen erwartet hätte. Die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert und erzählt vom jungen Diego, der die Grenze eines Grundstücks nicht verlassen darf. Denn dahinter, erzählt sein Vater, tobt der Krieg, auch wenn man nichts sieht. Und noch schlimmer als der Krieg ist das Monster, das angeblich auch dort draussen lauert. Das entwickelt sich immer mehr zu einer fiesen Coming-of-Age-Geschichte, die das Thema des Loslassens variiert. (SZ)
Auf Netflix
Shortbus
Erotikkomödie von John Cameron Mitchell, USA 2006, 101 Min.
Das schwullesbische Filmfestival Pink Apple präsentiert diese Komödie, die sich um einen Nachtclub namens Shortbus dreht. Dort verkehrt unter andrem ein schwules Paar, das seine Beziehung aufpeppt, indem es einen dritten ins Bett holt. Oder eine verheiratete Paartherapeutin, die noch nie einen Orgasmus hatte – eine Dominatrix will ihr dabei helfen, endlich einen zu erreichen. Das ist lustig, und der Film nimmt sich nicht zurück mit expliziten Szenen. (ggs)
Mi 26.1., 20.30 Uhr, Arthouse Uto
Eldorado
Dokumentarfilm von Markus Imhoof, CH 2018, 95 Min.
Der Dokumentarfilm führt vom Mittelmeer, wo die italienische Marine afrikanische Flüchtlinge in die Landungsboote zieht, bis in die Flüchtlingsrealität der Schweiz mit ihren Kollektivunterkünften und Befragungen durch das Staatssekretariat für Migration.
Regisseur Markus Imhoof zeigt Europas Umgang mit Menschen auf der Flucht in mächtigen Bildern (Kamera: Peter Indergand) und findet einen ruhigen Ton, der dennoch Wut ausdrückt über die Zustände. Vielerorts stösst er auf zutiefst ambivalente Entwicklungen, im Zentrum aber steht seine Erinnerung ans Kriegskind Giovanna, das seine Eltern 1945 aufnahmen und dessen Schicksal Echos im Heute findet: Imhoofs lange Recherche ist nebenbei auch eine Autobiografie geworden. (blu)
Auf Artfilm, Cinefile, Play Suisse
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