«Er ist verbrannt»: SVP liess Ricklis Gegner fallen
Die Zürcher SVP schickt die bekannte Nationalrätin ins Rennen um den Regierungsrat. Die Nomination stand im Zeichen der Macho-Affäre.

Es war ein Kampf mit ungleichen Voraussetzungen an diesem spätsommerlichen Dienstagabend an der SVP-Delegiertenversammlung im Rössli in Illnau. Die Favoritin: Natalie Rickli (41), Nationalrätin, Aushängeschild der Partei, 45'200 folgen ihr auf Twitter. Ihr Herausforderer: Christian Lucek (53), Kantonsrat. Bekanntheitsgrad ausserhalb des Ratsaals: bescheiden. Auf Twitter folgen ihm: 199. Es schien schon im Voraus klar, wer als Kandidat – oder besser gesagt, als Kandidatin für den frei werdenden Sitz im Regierungsrat nominiert wird.
Und dann war da das Mail, mit dem sich Lucek einen Tag vor der Versammlung als Kandidat zu empfehlen versuchte. «Wollen wir vier Frauen im Regierungsrat?», stand darin, als Diskussionsanstoss für seine Unterstützer. Und dass das Amt ein 16-Stunden-Knochenjob sei. Ein «hübsches Wahlplakat» reiche nicht. Was richtet ein solches Mail an? Von einem wie Lucek, der sonst als anständig gilt? Und was bedeutet es für eine Partei, die angesichts der Niederlagen bei den Gemeindewahlen im Frühling dringend auf einen Erfolg angewiesen ist – nur schon für die Psyche?
Anderseits: Die Zürcher SVP hat schon mehr als einmal Kandidaten nominiert, die nicht die offensichtlichen Favoriten waren. Und sie hat Favoriten desavouiert. Die bis dato nahezu unbekannte Rita Fuhrer zum Beispiel setzte sich 1994 gegen Partei-Schwergewicht Max Binder durch. Auch haben sich die Delegierten immer wieder gegen Hardliner ausgesprochen und Politikern den Vorzug gegeben, die auch für Nicht-SVPler wählbar sind. Etwa Christian Huber statt Alfred Heer. Ernst Stocker, nicht Jürg Stahl.
«Haben nur eine Kandidatin»
Doch zurück ins Rössli. Kurz vor 20 Uhr ist die Stimmung aufgeräumt. Viele sind der Meinung, das Rennen sei ohnehin gelaufen. «Reine Formsache» sei das Ganze, findet ein Delegierter, es gehe sicher schnell mit der Wahl, «wir haben ja nur eine Kandidatin». Ein anderer murrt kopfschüttelnd: «Also der Lucek, den müsste man doch jetzt schon zurückziehen. Das geht doch nicht, was der geboten hat.»
Natalie Rickli steht derweil bereits vor einer Fernsehkamera, sie lächelt das Lächeln einer mediengewandten und versierten Politikerin. Sie wirkt nicht, als hätte sie Grund zur Nervosität. Wobei: Auch Christian Lucek scheint entspannt. Der Saal ist bis auf den letzten Platz und darüber hinaus besetzt, 327 Delegierte sind da. Die Stadtmusik Illnau-Effretikon spielt, aber erst als sie die Nationalhymne anstimmt, hat sie die ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Delegierten erheben sich und singen.
Bevor sie zur Tat schreiten, schwört Parteipräsident Konrad Langhart die Anwesenden ein: «Wir müssen Wahlen gewinnen, und wir müssen den Wählerinnen und Wählern klarmachen, was es heisst, wenn sie nicht an die Urne gehen – oder, noch schlimmer, wenn sie andere Parteien wählen.» Es klingt wie eine Durchhalteparole. Vielleicht ist das auch eine Aufforderung an die lokale SVP.
Ausgerechnet hier, in Illnau-Effretikon, hat die Partei bei den Gemeindewahlen am 15. April dieses Jahres eine historische Schlappe eingefahren: Ihre beiden amtierenden Stadträte sind abgewählt worden.
Und dann sagt Langhart etwas, was Christian Lucek schon fast unwählbar macht, ohne freilich dessen Namen zu nennen. Es seien Aussagen gemacht worden, die in der SVP keinen Platz hätten. Und die er nicht gutheissen könne. «Die Urheber müssen hinstehen, sich erklären und entschuldigen.»
Martullo nennt Lucek naiv
Das tut Lucek dann auch. Wenn auch halbherzig. Zerknirscht versucht er zu retten, was zu retten ist. Das Mail sei im Nachhinein «unbedarft und ein Fehler», sagt er. Und beschuldigt dann die Medien, die «alles Interesse haben, uns aufzureiben». Um die Wahlen zu gewinnen, müsse die Partei zusammenhalten und keinen Keil in die eigenen Reihen treiben lassen. Sich selbst beschreibt er als Politiker «mit sicherem Instinkt für Allianzen».
Zufrieden sind damit die wenigsten im Saal. Lucek muss sich harte Fragen gefallen lassen. Etwa diese: «Herr Lucek, was war der Grund für Ihre Scheidung?» Die Frage ist ein Seitenhieb; in seinem Mail hatte Lucek empfohlen, man solle Natalie Rickli nach ihrem Zivilstand (ledig) und ihrer Familienplanung fragen.
Roberto Martullo bezeichnet Lucek als naiv und erkundigt sich maliziös: «Wenn Sie nicht ahnen konnten, dass ein solches Schreiben an die Medien gelangen könnte, wie machen Sie das dann im Regierungsrat?» Lucek beteuert, aus dem Fehler gelernt zu haben – und platziert seinerseits einen Seitenhieb an die Person, die das Mail herausgab: «Sie muss gewusst haben, was sie auslöst.»
Aber Lucek ist angezählt. Den finalen Schlag versetzen ihm Wahlkampfleiter Alfred Heer und Werber Alexander Segert. Segert ergreift in der Diskussion als zweiter Redner das Wort und beantragt, sofort zur Wahl zu schreiten: «Der Mist ist geführt. Wir müssen nun ein starkes Zeichen setzen.» Heer sagt: «Christian Lucek ist verbrannt. Mit ihm wird es schwer, positive Wahlen zu gestalten.»
Durchhalten, durchhalten
Spätestens jetzt ist klar: Die Wahl war gelaufen, bevor sie angefangen hat. Natalie Rickli, die noch vor Lucek reden darf, weil sie ihre Kandidatur als Erste angemeldet hat, sie hat ein leichtes Spiel. Aber auch ihr Votum klingt zeitweise wie eine Durchhalteparole: «Um im Frühling zu gewinnen, muss es uns gelingen zu zeigen, warum uns die Leute wählen sollen.» Sie verspricht vollen Einsatz, Zuverlässigkeit, Motivation.
Kurz geht sie auch auf ihr Burn-out ein, das sie vor sechs Jahren zwang, sich ein paar Monate lang aus dem Nationalrat zurückzuziehen: «Ich habe gelernt, auf mich zu hören.»
Schliesslich schreiten die gut 300 Delegierten zur Wahl. Und die verläuft offen. Lucek hatte in seinem Mail geheime Wahl angeregt, fett und rot stand der Satz am Ende des Schreibens. Doch niemand nimmt die Anregung auf. Es ist ein Kantersieg für Rickli, man sieht es auf den ersten Blick: 244 rosa Zettel gehen für sie in die Höhe. Gerade mal 53 sind es für Lucek.
Dann steht Natalie Rickli strahlend auf der Bühne und zeigt sich angesichts ihres Sieges versöhnlich. Sie habe sich mit ihrem Konkurrenten ausgesprochen: «Fehler passieren. Lassen wir das jetzt beiseite. Stehen wir zusammen für die SVP.»
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