
Vielleicht hat Sebastian Kurz tatsächlich dieses sagenhafte politische Talent, das ihm seine Anhänger zuschreiben. Vielleicht auch nur sehr gute Berater. Gestern tat der 30-jährige österreichische Aussenminister jedenfalls das Richtige zur richtigen Zeit. Kurz trat mit einer knappen, aber sehr präzisen Erklärung vor die Medien und machte seiner bürgerlichen Volkspartei ÖVP ein Angebot: Er werde den Ruf an die Parteispitze annehmen. Aber nur, «wenn ich meine Vorstellungen umsetzen kann». Und er will vorgezogene Parlamentswahlen.
Über den Vorsitz wird die ÖVP am Sonntag entscheiden, aber eigentlich hat die Partei gar keine Wahl mehr. Ihr Jungstar Kurz hat hinter den Kulissen den Aufbau eines eigenen Netzwerks – Team Kurz – intensiv betrieben und seine Jünger an Schaltstellen der Partei gesetzt. Wer noch nicht überzeugt ist, dem wird gedroht. Dass in den vergangenen Tagen die Medien Gerüchte verbreiteten, Kurz könnte eine neue Bewegung nach dem Vorbild Emmanuel Macrons gründen, dürfte kein Zufall sein.
Rolle des netten Schwiegersohns
Die Ära der Grossen Koalition in Österreich ist zu Ende. ÖVP und SPÖ können und wollen nicht mehr miteinander regieren. Kurz hat das gestern offen ausgesprochen und sich für seinen Mut gleich selbst gelobt. Nun muss er aber seine durch 30 Regierungsjahre und interne Machtkämpfe erschöpfte und erstarrte Partei erneuern. Und er muss Wahlen gewinnen. Für einen 30-Jährigen ist das eine ziemliche Herausforderung. Die Erwartungen seiner Freunde und Fans macht es nicht einfacher. Sie sehen Kurz als «Hoffnungsträger», als letzte Chance der Partei.
Kurz setzt seinen Jugendbonus offensiv ein, spielt bei den Alten die Rolle des netten Schwiegersohns und bei den Jungwählern den Kumpel, mit dem sie Duzis machen. Politisch ist er jedoch ein One Trick Pony.
Sein Programm ist die Schliessung der Balkanroute und die Kritik an der Türkei. Der Rest ist Inszenierung. Fragen zu anderen Themen werden mit geschliffener Rhetorik abgeblockt, Kurz bleibt stets hart an seiner einzigen Botschaft: Balkanroute, Türkei. Dazu noch: Schleierverbot, Asylmissbrauch, Grenzsicherung. Von der Kampfrhetorik der FPÖ ist das kaum noch zu unterscheiden.
Kurz ist nun Geisel seines Talents und seines grenzenlosen Ehrgeizes.
Die Umfragen scheinen ihn zu bestätigen. Bei den Persönlichkeitswerten liegt Kurz weit vor allen anderen Politikern. Als Parteiführungskraft mit starken Ambitionen auf das Kanzleramt hat der Jungstar nun aber ein Problem, das alle Populisten kennen: Niemand will mit ihm zusammenarbeiten. Kurz hat viele Anhänger, manche verteidigen ihn geradezu fanatisch als politischen Messias, der «wieder Ehrlichkeit» in die Politik bringen werde. Er hat sich aber mit eitler Selbstdarstellung und politischen Intrigen auch viele erbitterte Feinde geschaffen. Kurz spaltet das Land wie Jörg Haider in seinen besten Zeiten.
Bei den Linken und Sozialdemokraten hat er FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als Feindbild Nummer eins abgelöst. Die Rechtspopulisten wiederum fürchten um ihre Wutwähler, die nun auch von Kurz umworben werden, und attackieren ihn als «skrupellos und unehrlich». Dass sich die FPÖ mit dem Vizekanzler unter einem Kanzler Kurz zufriedengeben könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Auch der Sozialdemokratische Kanzler Christian Kern will es nun wissen: Kern oder Kurz? Für beide ist nicht genug Platz in der nächsten Regierung.
Wahlkampf im «Geil-o-mobil»
Kurz ist nun Geisel seines Talents und seines grenzenlosen Ehrgeizes. Mässigt er seinen Ton und seinen Egotrip, könnte er Raum für Koalitionen öffnen. Aber das könnte die Stimmen der Wutbürger kosten. Bleibt er auf Kurs – danach sieht es aus –, dann könnte eine bislang undenkbare Koalition von Sozialdemokraten und Rechtspopulisten entstehen, alleine schon, um Kurz als Kanzler zu verhindern. Ein langes Leben hätte diese Regierung sicher nicht.
Seit seinen ersten Wahlkampfauftritten in einem «Geil-o-mobil» wollte der nette Herr Kurz Karriere in der Politik machen. Jetzt ist er fast am Ziel. Aber eben nur fast. Kurz kündigte gestern in seiner knappen Erklärung «Klarheit» an, Neuwahlen könnten «jahrelange, kontinuierliche Sacharbeit» ermöglichen. Es sieht eher nach dem Gegenteil aus. Mit Kurz als Spitzenkandidat wird es noch schwieriger, in Österreich eine stabile Regierung zu bilden.
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Er ist zum Siegen verdammt
Der 30-jährige Sebastian Kurz will an die Spitze einer neuen Regierung – und steht sich im Weg.