«Er soll seinen Traum vergessen»
Die Staatsanwältin beschreibt Thomas N. als manipulativ, skrupellos und hochgefährlich. Die Verteidigerin sieht in ihm auch ein Opfer.
Thomas N. hat einen Traum. Er sieht sich vor dem Cheminée sitzen, mit seinen Hunden und einem Glas Wein in der Hand. Irgendwann, in der Zukunft. So erzählt er es den zwei Richterinnen und drei Richtern. Für die Angehörigen der Opfer ist dieser Traum absurd. Der 34-Jährige soll, wenn es nach ihnen geht, nie wieder in Freiheit gelangen. «Er soll seinen Traum vergessen», sagt ein Opferanwalt am emotionalen zweiten Prozesstag. «Sie konnten ihre Träume auch nicht verwirklichen. Weil der Beschuldigte sie gnadenlos gequält und ohne jegliches Erbarmen ausgelöscht hat.»
Thomas N. hat sexuelle Fantasien. Wie ein Bub von zu Hause flüchtet und bei ihm Unterschlupf findet zum Beispiel. Die Fantasien seien weniger geworden, seit er im Gefängnis sei, sagt er. Man würde ihm gern glauben. Denn eines ist klar: Der Beschuldigte im Mordfall Rupperswil ist pädophil. Eine entsprechende Störung der Sexualpräferenz haben zwei psychiatrische Gutachter bei ihm festgestellt, um sogleich zu betonen, dass Pädophilie nicht heilbar sei. Man könne höchstens lernen, mit ihr umzugehen. Auch Thomas N. sagt von sich selbst: «Ich bin pädophil.»
Was also, wenn er vom Gericht die Chance auf eine Therapie bekäme, wie er sich das wünscht? Die Psychiater Elmar Habermeyer und Josef Sachs sagen einstimmig, er sei grundsätzlich therapierbar - auch weil es sich bei ihm um einen Ersttäter in eher jungem Alter handle. Zudem zeige er Bereitschaft für eine Therapie.
«Weil er dazu Lust hatte»
Staatsanwältin Barbara Loppacher will davon nichts wissen. In ihrem zweistündigen Plädoyer zeichnet sie am Mittwoch das Bild eines manipulativen, skrupellosen und deshalb hochgefährlichen Täters. Die Gefahr, dass er erneut ähnliche Delikte begehe, sei gross. «Er redet sich und der Welt alles schön», sagt sie. Er habe sich für das grausame Verbrechen vom 21. Dezember 2015 einen Ablauf zurechtgelegt und die dafür nötigen Utensilien gekauft und im Rucksack bereitgelegt. «Dann hat er den Tatablauf genau so durchgeführt. Bumm!»
Loppacher betont mehr als einmal, dass Thomas N. insbesondere die Tötung aller Opfer von Anfang an geplant habe. Dafür spricht aus ihrer Sicht die von ihm getätigte Internetrecherche zum Thema Spurenvernichtung ein paar Wochen vor der Tat. «Ein Haus muss man nur dann abbrennen, wenn die Menschen darin tot sind», sagt die Staatsanwältin. Auch die Geschwindigkeit, mit der Thomas N. die vier Opfer nach dem Missbrauch des 13-jährigen Knaben umbrachte, sei Beweis für eine minutiöse Planung des gesamten Tatablaufs.
Video: Die leitende Staatsanwältin im Interview
Damit widerspricht Loppacher den Aussagen des Beschuldigten, der am ersten Prozesstag von «zwei Türen» sprach, vor denen er im Haus der Opferfamilie gedanklich gestanden habe. Lange habe er nicht gewusst, durch welche der beiden Türen er nach dem sexuellen Missbrauch gehen solle, ob er mit dem Geld verschwinden oder aber die Opfer töten solle. «Am liebsten wäre ich für immer im Haus geblieben», gab Thomas N. zu Protokoll. «Ich konnte mich nicht entscheiden.» Anders hatte es noch in seiner allerersten Einvernahme getönt: Er habe die Tötung der vier Opfer von Anfang an geplant, sagte er nach seiner Verhaftung aus.
Was aber könnte das Motiv für die Tötung gewesen sein? Thomas N. präsentiert vor Gericht zwei Varianten: Er habe den Missbrauch vertuschen wollen, erklärt er zuerst. Um dann zu schildern, er habe nur deshalb getötet, weil sich der ältere Sohn der Familie aus den Fesseln befreien konnte und ihm in die Arme lief. «Da wusste ich, welche Tür ich nehmen muss», sagt Thomas N. In den Einvernahmen hat er eine dritte Version präsentiert: Der vierfache Mord sei für ihn «das kleinere Übel» gewesen als der Gedanke, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen. Er hatte sie über Jahre mit falschen Angaben zu Studium und Arbeit belogen.

Staatsanwältin Loppacher hat ihre eigene Erklärung für den Vierfachmord: «Der Beschuldigte hat sich genommen, was er wollte. Weil er dazu Lust hatte. Weil ihm danach war.» Sie fordert für den 34-Jährigen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe mit anschliessend lebenslänglicher Verwahrung. Sollte das Gericht auf eine lebenslängliche Verwahrung verzichten, so sei Thomas N. ordentlich zu verwahren.
Für Barbara Loppacher lässt sich nur ein Teil dessen, was am 21. Dezember 2015 passierte, mit einer psychischen Störung erklären. Der sexuelle Missbrauch des jüngeren Sohnes habe seine Ursachen in der Pädophilie des Beschuldigten, sagt sie. Die räuberische Erpressung wiederum sei in seiner Persönlichkeitsstörung begründet, welche die Gutachter als «narzisstisch» respektive «zwanghaft» diagnostizierten.
«Eindeutig krank»
Die Tötung allerdings kann die Staatsanwältin mit den diagnostizierten psychischen Störungen nicht erklären. Ein kausaler Zusammenhang sei für sie nicht erkennbar. Ein solcher wäre aber nötig, um eine stationäre oder ambulante Therapie anordnen zu können. Auch der Gutachter Josef Sachs weise darauf hin, dass man aus einer unverständlichen Tat nicht darauf schliessen könne, dass der Täter zwingend krank sei. Auch gesunde Menschen könnten grausame Verbrechen begehen.
Zu gänzlich anderen Schlüssen kommt Verteidigerin Renate Senn. Ihr Mandant sei «eindeutig krank», betont sie in ihrem dreistündigen Plädoyer mehr als einmal - das zeigten die beiden Gutachten. Seine Tat, und zwar die ganze Tat, lasse sich mit ebendieser Krankheit «eindeutig erklären». Anfänglich sei die Tötung der Opfer nur ein Gedankenspiel gewesen. Der Missbrauch des jüngeren Buben habe dann aber einen Dammbruch bei Thomas N. bewirkt. «Er hat nicht aus Lust getötet. Das vordergründige Motiv war seine Pädophilie. Es ging ihm um die sexuelle Befriedigung», sagt Senn.
Keine lebenslängliche Strafe
Weil der Zusammenhang zwischen Tat und psychischer Störung für Senn gegeben ist, fordert sie für ihren Mandanten eine vollzugsbegleitende, ambulante Therapie. Er sei sowohl «therapiewillig» als auch «therapiefähig». Im Weiteren fordert sie eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Die lebenslängliche Strafe komme bei ihm als Ersttäter nicht infrage.
Auch sei Thomas N. durch die Medien vorverurteilt worden. «Das muss sich strafmildernd auswirken», sagt die Verteidigerin. Im Fall der strafbaren Vorbereitungshandlungen will sie einen Freispruch. Die Staatsanwältin wirft ihm vor, auch Wiederholungstaten akribisch geplant zu haben: «Er war auf dem Weg zum Serientäter», sagt Barbara Loppacher.
«Er war es nicht», sagt Renate Senn. Sie zeichnet vor Gericht das Bild eines Mannes, der an seiner sexuellen Veranlagung litt, seit er darum wusste. «Es kann nicht sein. Es darf nicht sein. Es war ein innerer Kampf für meinen Mandanten.» Senn wiederholt die Sätze immer und immer wieder. Es kann nicht sein. Es darf nicht sein. Womit die Hinterbliebenen leben müssen: Es war doch. Und alle sind tot.
Das Urteil wird am Freitag verkündet.
Aus Rücksichtnahme auf die Opfer und ihre Angehörigen in diesem Fall hat sich die Redaktion dazu entschlossen, unter diesem Artikel keine Kommentare zuzulassen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
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