Film-Highlights der WocheEr sucht ein besseres Leben auf dem Mars
In «Réveil sur Mars» baut ein Bub eine Rakete, um mit seinen Schwestern ins All zu fliegen, und Stefan Zweigs «Schachnovelle» wurde neu verfilmt.

Réveil sur Mars
Dokumentarfilm von Dea Gjinovci, CH/F 2020, 74 Min.
In welcher Welt spielt das, Märchen oder Wirklichkeit? Erst denkt man an Fiktion, so sorgfältig setzt die schweizerisch-albanische Regisseurin Deja Gjinovci die Mittel der Inszenierung ein. Aber dann merkt man, dieses Porträt einer Roma-Familie in Schweden ist durch und durch dokumentarisch.
Ausgegangen ist Gjinovci von einem Artikel im «New Yorker», der das sogenannte Resignationssyndrom beschreibt. Damit sind Flüchtlingskinder gemeint, die in einer ihnen fremden Umgebung in einen komaähnlichen Schlaf fallen. Die Fachleute versuchen, diese seltsame Krankheit mit Faktoren wie Traumatisierung, Ohnmacht, dysfunktionale Familienbeziehungen und möglicherweise auch Nachahmung zu erklären. Aber noch immer rätseln sie über Ursachen und Verbreitung. Hauptsächlich sind Mädchen betroffen, so wie Ibadeta und Djeneta, die beiden Töchter der aus Kosovo in die kleine schwedische Stadt Horndal geflüchteten Familie Demiri, deren Alltag der Film beobachtet.
Die Erfindungen kommen fein ins Dokumentarische hinein, der kleine Bruder Furkan baut eine Rakete, um mit seinen Schwestern zum Mars zu fliegen. Space is the place. Auf der Erde verharren die Demiris derweil im Ungewissen, weil die Behörden weiterhin ihren Asylantrag bearbeiten. Dabei glauben viele Mediziner, dass die beste Therapie für diese komatösen Kinder darin besteht, dass man ihrer Familie möglichst rasch die Aufenthaltsbewilligung erteilt. (blu)
Houdini
Schachnovelle
Literaturverfilmung von Philipp Stölzl, D/Ö 2021, 110 Min.
Die «Schachnovelle» ist das letzte und bekannteste Werk von Stefan Zweig, das dieser 1942 im Exil in Brasilien verfasste. Knapp 80 Jahre später verschiebt eine deutsch-österreichische Verfilmung die Akzente: Im Zentrum steht nun der Wiener Anwalt Josef Bartok (Oliver Masucci), der nach der Machtübernahme der Nazis in Isolationshaft gesetzt wird, da er Zugang zu riesigen Vermögenswerten besitzt. Durch Zufall gerät Bartok an ein Schachbuch, das ihm als Ablenkung und geistige Stütze dient, obwohl sich sein Zustand sichtlich verschlimmert.
So bleibt vieles in der Schwebe: Hat Bartok wirklich mit seiner Frau (Birgit Minichmayr) nach der Haft ein Schiff nach New York bestiegen und fordert da einen dumpfbackigen Schachweltmeister zum Duell heraus? Der Film lebt vom Gegensatz zwischen kammerspielartiger Enge und ozeanischer Weite, während sich im kantigen Gesicht von Oliver Masucci der Schmerz einer unfassbaren Entmenschlichung spiegelt. (zas)
Abaton, Arthouse Movie, Kosmos
Notturno
Dokumentarfilm von Gianfranco Rosi, I/F/D 2020, 100 Min.
Zwei kurdische Soldaten trinken abends gemeinsam einen Tee. Der, der die Gewehrstation bedient, klagt über Rückenschmerzen und schimpft mit dem Fahrer: «Du fährst doch absichtlich über die Löcher!» Die Szene hat Gianfranco Rosi in seinem Dokumentarfilm festgehalten. Drei Jahre lang hat der italienische Regisseur den Irak, Syrien, den Libanon und Kurdistan bereist, um den Alltag im kriegsversehrten Gebiet zu filmen.
Neben den gelangweilten Soldaten zeigt er uns alte Frauen, die in einem verlassenen Gefängnis um ihre toten Söhne trauern. Patientinnen und Patienten einer Psychiatrie, die für ein Bühnenstück proben. Oder Kinder, die in Zeichnungen die Gräuel verarbeiten, die sie miterlebt haben. Ein Kriegstagebuch mit oft beeindruckenden Bildern. (ggs)
Riffraff
Arada
Dokumentarfilm von Jonas Schaffter, CH 2020, 83 Min.
Was bedeutet es, des Landes verwiesen zu werden, in dem man aufgewachsen ist? «Arada» begleitet drei Männer, die wegen verschiedener Straftaten von der Schweiz in die Türkei ausgeschafft wurden. Dort sind sie nun gezwungen, sich ein neues Leben aufzubauen. Mit Wertungen hält sich Regisseur Jonas Schaffter zurück, aber man kann schwer ignorieren, wie grotesk die Auswirkungen der Schweizer Politik sind. (ggs)
Rear Window
Thriller von Alfred Hitchcock, USA 1954, 112 Min.
Die Filmstelle der ETH startet ins neue Semester, das Thema lautet «Raumgefühle». Zu sehen sind Filme, in denen Räume, Häuser und Co. eine wichtige Rolle spielen – so steht in Hitchcocks «Rear Window» ein Hinterhof im Zentrum. Ein Fotojournalist (James Stewart) kann wegen eines Beinbruchs seine Wohnung nicht mehr verlassen und beginnt aus Langeweile, seine Nachbarn mit der Kamera zu bespitzeln. Dabei entdeckt er einen Mord. (ggs)
Di 28.9., 20 Uhr, Stutz2, ETH-Gebäude CAB
Best of Fantoche
Das Animationsfilmfestival in Baden ist vorbei, aber die Preisträger-Filme gehen jetzt auf Tour. «Affairs of the Art» zum Beispiel hat den Publikumspreis erhalten. Darin erzählt eine ältere Frau von den verschiedenen Obsessionen in ihrer Familie, wobei sie selbst ebenfalls besessen ist – und zwar von der Kunst. Unter anderem hetzt sie ihren Mann nackt eine Treppe rauf und runter, um ihn als dynamischen Akt malen zu können. (ggs)
Riffraff
Clickbait
Thriller-Serie von Tony Ayres und Christian White, AUS/USA 2021, 8 Folgen
Ein scheinbar perfekter Familienvater (Adrian Grenier) verschwindet spurlos. Kurze Zeit später geht ein Video viral, in dem er Schilder mit der Aufschrift «Ich missbrauche Frauen» und «Bei fünf Millionen Views sterbe ich» hochhält. Seine Schwester und seine Ehefrau machen sich auf die Suche nach dem Vermissten, aber beginnen zu zweifeln: Ist er Opfer oder Täter? Packend, mit vielen Wendungen, aber das Ende ist dann doch gar an den Haaren herbeigezogen. (lif)
Auf Netflix
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