Er verprellte die Juden, erzürnte die Muslime
Papst Benedikt XVI. sah sich vor allem als Hüter einer orthodoxen Glaubensdoktrin. Ohne Not legte er sich mit Muslimen, Juden, Homosexuellen und den Ureinwohner Südamerikas an.
«Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an!» Mit diesen Worten beschrieb Papst Benedikt XVI. im Rückblick vor deutschen Pilgern jenen historischen Moment, an dem er 2005 vom Konklave im Vatikan zum Papst gewählt wurde – zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II., dem ersten Polen als Oberhirten, der jahrzehntelang die katholische Kirche geprägt hatte.
Welches wird der beherrschende Eindruck sein, den der mit 78 Jahren zum Papst gewählte Joseph Ratzinger hinterlässt, wenn er Ende Februar offiziell aus dem Amt scheidet? Eine richtungweisende «Ära Benedikt» ist es nicht geworden. Dafür war die Zeit des Joseph Ratzinger auf dem Stuhl Petri dann doch zu kurz und ein klarer Reformwille nicht zu sehen.
«Wir sind Papst»
In den römischen Nieselregen mischt sich am 19. April 2005 weisser Rauch aus einem vatikanischen Schornstein. Zweieinhalb Wochen zuvor hatten Millionen Gläubige den charismatischen polnischen Pontifex beweint, ihren Johannes Paul II., gestorben 84-jährig nach einem schlimmem Leiden.
Nun tritt abends im päpstlichen Gewand derjenige auf den Balkon des Petersdomes, der fast ein Vierteljahrhundert lang der mächtigste Mann hinter Karol Wojtyla war: Die Kardinäle haben im Konklave Joseph Ratzinger drei Tage nach seinem 78. Geburtstag an die Spitze der katholischen Kirche gewählt.
Ein deutsches Boulevardblatt titelt stolz: «Wir sind Papst.» Doch wie würde Joseph Ratzinger, zuvor strenger Präfekt in Rom, das Schiff lenken?
Hüter der Doktrin
Ratzinger wird 1927 in Marktl am Inn geboren. Ratzingers Jugend war von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg geprägt. 1939 wurde er, wie es damals üblich war, in die Hitler-Jugend aufgenommen. Den Nationalsozialismus prangerte er später als «inhuman» an. 1951 wurde Ratzinger als Priester geweiht. Die meiste Zeit verbrachte er dann in theologischen Lehrämtern, zunächst in Freising, später an den Universitäten Bonn, Münster und Regensburg. Der Kölner Erzbischof Joseph Frings schickte Ratzinger als Berater in den Vatikan, wo er sich mit den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils befasste. Papst Paul VI. ernannte Ratzinger 1977 zum Erzbischof in München.
Bereits als er 1981 von Johannes Paul II. in den Vatikan geholt wird, lautet Joseph Ratzingers bis zuletzt gültige Botschaft: «Nicht alle Meldungen, die aus Rom kommen, werden angenehm sein.» Der Geistliche hat sich selbst vor allem die Rolle eines Hüters der orthodoxen Glaubensdoktrin und eines Traditionalisten zugeschrieben. Viel länger als Papst, fast 25 Jahre hindurch, war Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan. In diesem Amt rammte er jene Pflöcke ein, die Anlass für zahlreiche Kontroversen mit anderen religiösen Gemeinschaften oder weltanschaulichen Richtungen boten.
Vatikanische Defizite
Als Präfekt der Glaubenskongregation und auch als Papst lehnte Ratzinger auch die Weihung von Frauen zu katholischen Priesterinnen ab. Er war ein Gegner von Abtreibung, Sterbehilfe und Homo-Ehen. Traditionelle Familien- und Paarbeziehungen hielt er hoch, Gegenwelten waren für ihn der Faschismus, der Kommunismus und die Befreiungstheologie aus Lateinamerika. Rock-Musik bezeichnete Ratzinger einmal als Ausdruck «niederer» menschlicher Gefühle.
Wiederholt liess der Papst Bemerkungen fallen, die zu Zerwürfnissen mit anderen Gemeinschaften führten. So zitierte er im September 2006 ausführlich einen byzantinischen Kaiser aus dem 14. Jahrhundert mit Aussprüchen, nach denen dem Islam Gewaltbereitschaft innewohne. Drei Jahre später brachte der Papst viele Juden gegen sich auf, als er die Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft aufhob – darunter auch jene des Holocaust-Leugners Richard Williamson. Ausgerechnet in Afrika, wo es die meisten Aids-Toten gibt, vertrat Benedikt XVI. die Ansicht, der Gebrauch von Kondomen könne das Problem verschärfen. In Südamerika brüskierte er die indigene Bevölkerung mit der Äusserung, diese habe die Christianisierung «unbewusst herbeigesehnt».
In die Amtszeit von Benedikt XVI fiel auch die Aufdeckung zahlreicher Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche. Benedikt XVI. verurteilte die Vergehen wiederholt und liess die Regeln für den Umgang mit Missbrauchsfällen verschärfen. Benedikt wurde allerdings wiederholt kritisiert, nicht genug gegen den sexuellen Missbrauch unternommen zu haben.
Vielschreibender Theologe
Seine Aufgabe als Papst sah Benedikt XVI. auch darin, als vielschreibender Theologe den Gläubigen Lesefutter zu bieten. Zum seinem Erbe werden auch seine religiösen Schriften zählen, darunter der während des Pontifikats erschienene Bestseller «Jesus von Nazareth», in dem politische Interpretationen des Wirkens von Christus zurückgewiesen werden, drei Enzykliken und rund 40 andere Werke.
Nach dem Tod von Johannes Paul II. wollte Ratzinger sich eigentlich auf das Schreiben von Büchern konzentrieren. Vergeblich habe er 2005 im Gespräch mit Gott darauf hingewiesen, das «Bessere ... mit ganz anderem Elan an diese grosse Aufgabe herantreten können», sagte er einmal. Knapp acht Jahre später ist der Papst nun endgültig zu der Überzeugung gelangt, dass dies der richtige Weg sei.
sda/AFP/mw
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