Erneute Kritik an Mario Fehrs Nothilfe-Regime
Die Sicherheitsdirektion von SP-Regierungsrat Mario Fehr setzt einen Nothilfe-Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts nur zögerlich um. Anwälte legen Aufsichtsbeschwerde ein.

Die Verschärfungen traten in diesem Februar in Kraft: Neu erhielten abgewiesene Asylbewerber im Kanton Zürich nur noch ihre Nothilfe von 8.50 Franken pro Tag, wenn sie an jedem Arbeitstag morgens und abends zu bestimmten Zeiten in ihrer Unterkunft eine Unterschrift leisteten. Auswärts zu übernachten oder an Kursen teilzunehmen, wurde damit praktisch unmöglich. Zuvor mussten sie nicht zum Signieren kommen, und sie mussten auch nicht fünf-, sondern nur dreimal pro Woche zum Geldabholen erscheinen.
Der für die Verschärfungen verantwortliche Chef der Sicherheitsdirektion, SP-Regierungsrat Mario Fehr, wurde für die harte Praxis stark kritisiert. Über 50 Betroffene legten Rekurse gegen das neu eingeführte Regime ein – und erzielten einen Zwischenerfolg. Diesen Sommer entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich in einem Fall, dass die Beschwerde gegen die Sicherheitsdirektion von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hat. Das heisst: Bis letztinstanzlich über den Rekurs entschieden ist, muss der ursprüngliche Zustand vor den Verschärfungen gelten.
Urteil nicht umgesetzt
Doch die Sozialdirektion setzte den Entscheid des Gerichts nicht um – auch nicht für den einzelnen Beschwerdeführer, in dessen Fall das Gericht den Zwischenentscheid gefällt hatte. Eine Woche später musste der Betroffene immer noch zweimal pro Tag unterschreiben. Der Anwalt hakte nach. Das kantonale Sozialamt reagierte abweisend. Amtschef Ruedi Hofstetter erklärte, dass «die aufschiebende Wirkung ins Leere» laufe. Man könne der Deutung des Verwaltungsgerichtsentscheids durch die Anwälte nicht folgen und interpretiere die Verfügung anders. Den Anwälten riet er, nochmals beim Gericht nachzufragen.
Erst mehr als einen Monat später gab die Sozialdirektion nach – nachdem die Anwälte eine Aufsichtsbeschwerde gegen Amtschef Hofstetter eingereicht und das Gericht entschieden hatte, den Entscheid nicht zu erläutern, weil kein Erklärungsbedarf bestehe. Man habe bloss die Rechtskraft des Urteil abgewartet, erklärte Mario Fehr in einem Brief an den Anwalt. Für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten gegen Hofstetter gebe es keinen Grund.
Die beschwerdeführenden Anwälte halten den Brief für «juristischen Nonsens». «So etwas habe ich in meiner ganzen Karriere nicht gesehen», sagt Rechtsanwalt Peter Nideröst, spezialisiert auf Migrationsrecht. Die Sicherheitsdirektion verhalte sich wie ein Kind, das «täubelet». «Wenn eine Verwaltungsbehörde sich nicht an ein Urteil halten will, muss sie ein Rechtsmittel dagegen ergreifen», sagt Nideröst. «Wenn sie das nicht tut, muss sie sich an das Urteil halten, wie jeder normale Bürger.»
Staatsrechtler anderer Meinung
Nach Auffassung von Anwalt Nideröst müsste aufgrund des Urteils bei allen Nothilfe-Empfängern im Kanton Zürich – momentan sind es 589 – wieder die alte Praxis angewendet werden.
«Dass das Gericht die aufschiebende Wirkung beschlossen hat, zeigt, dass es sich ernsthaft mit der Rechtmässigkeit der Verschärfungen auseinandersetzen will.»
Die Chancen stünden gut, dass die Rekurse gegen die Verschärfungen Erfolg hätten und diese wieder gelockert werden müssten.
Andreas Glaser ist Professor an der Universität Zürich und spezialisiert auf Staats- und Verwaltungsrecht unter besonderer Berücksichtigung von Demokratiefragen. Auch für ihn ist das Urteil des Verwaltungsgerichts eindeutig so zu verstehen, dass wieder wie vorher drei- statt fünfmal pro Woche Nothilfe auszuzahlen sei. «Alle Beschwerdeführer haben also weiterhin Anspruch auf dreimalige Auszahlung», sagt Glaser.
Für einen einzigen Asylbewerber gilt das alte Regime
Überdies könne man von einer Behörde erwarten, dass sie möglichst zeitnah für alle Betroffenen wieder eine rechtsgleiche Anwendungspraxis finde. Momentan gilt nur für einen einzigen abgewiesenen Asylbewerber wieder das alte Regime, obwohl 50 dagegen rekurrieren und über 500 weitere davon betroffen sind.
Mario Fehr wollte sich gestern nicht zur zögerlichen Umsetzung des Verwaltungsgerichtsentscheids äussern. Sein Kommunikationsbeauftragter Urs Grob teilte mit, dass man keine Auskunft über ein laufendes Verfahren geben könne. «Wenn das definitive Urteil des Verwaltungsgerichts über den Rekurs vorliegt, fügen wir uns. Das machen wir immer.»
Das neue Melderegime hat die Flüchtlingsunterbringungsfirma ORS Service AG im Auftrag der Sicherheitsdirektion eingeführt. Abgewiesene Asylsuchende sollen durch harte Bedingungen dazu gedrängt werden, das Land zu verlassen. Für mehrere Dutzend von ihnen laufen jedoch Härtefallverfahren. Bei einem positiven Bescheid dürfen sie bleiben.
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