
Viele Menschen in grösseren Städten denken, dass der akute Wohnungsmangel nur mit Hochhäusern zu beheben sei. In unserem Bericht zum Nationalen Forschungsprogramm «Neue urbane Qualität» (2015) haben wir stattdessen eine innere Verdichtung mit fünf- bis achtgeschossigen Häusern gefordert. Es ging uns um die Stadtwerdung der Agglomeration. Und ja, wir haben Strassenräume mit zusammengebauten Häusern, Blockrandbebauungen, vorgeschlagen, weil die Menschen in derartigen Quartieren überaus gern wohnen und arbeiten.
Als gutes Beispiel schwebt uns das Quartier rund um den Idaplatz im Zürcher Sihlfeld vor. Dort bietet verdichtetes Bauen mit öffentlichen Strassenräumen, halb öffentlichen Innenhöfen und privaten Gärten differenzierte, biodiverse Nutzungen. Angesichts der zunehmenden Globalisierung und Anonymität haben wir zudem eine «Raumgeborgenheit» für die Menschen in Neubaugebieten gefordert. Viele Architekten sahen in diesen Ideen eher eine verpasste Chance. Eine kritische Diskussion über intelligente Verdichtungskonzepte wurde in der Tat verschlafen.
2019 haben wir eine Alternative zur eintönigen Verdichtung mit Wohnhochhäusern auf einem der letzten verfügbaren Areale an der Thurgauerstrasse in Zürich-Seebach skizziert. Es ging uns um eine sorgfältig gestaltete Blockrandbebauung mit Einzelhäusern. Unterschiedlich gestaltete grüne Innenhöfe mit natürlichen Böden wären entstanden. Derartige Blockrandbebauungen bieten den Hausgemeinschaften wohnungsnahe Grünräume für ihre Treffen und geschützte Spielmöglichkeiten für Kinder. Dichte Alleebäume in den Strassen und Wohnhöfen sollten Schutz vor Hitze bieten.
«Parzellenstädtebau» ist das Geheimnis
Gleichzeitig haben wir eine neue Qualität des «Parzellenstädtebaus» mit Einzelhäusern angedacht. Diese Art der Kleinteiligkeit würde in Zukunft sehr viel Umweltbelastung vermeiden. Ein Einzelhaus lässt sich umweltgerechter ersetzen, als es der Abriss und die Neubebauung einer ganzen Siedlung sind. Darin liegt das pragmatische Geheimnis von Kleinteiligkeit und biodiverser Komposition neuer Quartiere.
Statt stets nur auf Hochhausverdichtung zu setzen, sind auch in der Stadt Zürich kleinteilige Konzepte zur Behebung des Wohnungsmangels dringend gefragt. Hochhausbebauungen mit mehrgeschossigen Tiefgaragen lassen sich in der Regel nur durch Grossinvestoren realisieren. Die Folge sind versiegelte Böden, die grossen Bäumen keinen natürlichen Lebensraum gewähren.
Es wäre wünschenswert, wenn in der Stadtplanung wieder mehr auf ein Klima der Kooperation und des Vertrauens Wert gelegt würde.
Zum Glück gibt es auch zukunftsweisende neue Stadtquartiere. Beispielsweise zeichnet sich mit dem Glasi-Quartier in Bülach eine schöne Alternative zu den üblichen Hochhauskonzepten ab. In erster Linie ist der klar gestaltete öffentliche Raum zu erwähnen. Im Glasi-Quartier hat jedes Haus ein eigenständiges Gesicht. Trotzdem stehen sie im Ensemble zueinander und bilden gemeinsam die öffentlichen Gassen, Strassen und Plätze. In der Tradition des Städtebaus um 1900 bis 1930 werden die Häuser mit einer zeitgenössischen Architektur versehen. Das neue Quartier verfügt über eine ähnlich hohe Ausnützung des Baulands, wie sie in Schweizer Hochhausgebieten besteht.
Es wäre wünschenswert, wenn in der Stadtplanung wieder mehr auf ein Klima der Kooperation und des Vertrauens Wert gelegt würde. Wenn alle stets nur das vertreten, was sie schon immer gemeint haben, fehlt das Lernen. Verdichtete und kleinteilige Stadtquartiere mit Wohnhöfen und natürlichen Böden für Bäume und Gärten sollten ein neues Lernen im Städtebau initiieren.
Neue Ideen für innere Verdichtung gesucht
In der Agglomeration von Bülach gelingt eine wünschenswerte «Stadtwerdung am Stadtrand». Derartige Entwürfe sind aber leider nicht im grossen Entwicklungsgebiet des Limmattals von Zürich-West bis Dietikon zu finden. Dort sind vorrangig Wohnblöcke ohne Gesicht mit dazwischengesetzten, abweisend wirkenden hohen Häusern entstanden. Nach Kleinteiligkeit, Achtsamkeit und Raumgeborgenheit für die Menschen sucht man vergebens. Dagegen kann das neue Glasi-Quartier in Bülach stark motivieren, mit ähnlicher Qualität die Innenverdichtung voranzubringen.
Neue gesetzliche Vorschriften in der Raumplanung werden nicht benötigt. Was allerdings jeder Stadt guttun würde, sind neue Ideen der inneren Verdichtung mit hochstehender Baukultur. Gefragt sind räumlich ausgerichtete Projekte von visionärer Schönheit und gestaltet von interessierten Stadtplanern, neugierigen Behörden und kreativen Architektinnen. Auf diesem Weg werden wir lernen, eine kleinteilige Innenverdichtung unserer Städte und Gemeinden zukunftsweisend zu realisieren. Damit würden wir im Wohnungsneubau weit rascher vorankommen, als wenn wir stets auf ausgefallene Hochhausverdichtungen setzen.
Jürg Sulzer war Stadtplaner von Bern. Er leitete das Schweizer Forschungsprogramm NFP 65, «Neue urbane Qualität» (2015).
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Kommentar zum Städtebau – Es braucht stadträumliche Quartiere statt Hochhäuser
Viele denken, angesichts der Wohnungsnot müsse nun eine innere Verdichtung der Städte stattfinden – mittels abweisend wirkenden hohen Häusern. Es gibt aber bessere Ansätze.