«Es fehlen Schweizer, die faszinieren»
Vor dem 15. Zürich Marathon blickt OK-Präsident Bruno Lafranchi zurück auf den steinigen Weg bis zur Premiere 2003. Und er sagt, wieso er nun Breitensportlern Prämien zahlt.

Sie waren einst Schweizer Rekordhalter im Marathon. Wie gern wären Sie den Zürich Marathon gelaufen?
Wäre ich heute noch Spitzenathlet, wäre er in meiner Planung. Es ist eine reizvolle Vorstellung, wenn ich mit der Form, mit der ich in den 80er-Jahren in Japan dreimal 2:11 Stunden lief, vor der Haustür hätte antreten können. Ein 13-stündiger Flug wäre weggefallen, keine Zeitverschiebung, Faktoren, die einen negativen Einfluss haben. Bevor ich 1988 in Beppu gewann, wechselte ich dreimal das Hotelzimmer, bis es mir passte. Ich war ekelhaft. Nach dem Sieg brachte ich dem Réceptionisten den Blumenstrauss und entschuldigte mich. Aber ich war so fokussiert, dass ich keine Kompromisse eingehen wollte. All dies fällt weg, wenn du im eigenen Bett schlafen kannst.
Von den schnellen Schweizern ist am Sonntag niemand am Start. Wieso?
Es ist die 15. Austragung, und wir haben uns über all die Jahre um die Schweizer gekümmert. Wir bemühten uns, dass Viktor Röthlin ein erstes Mal unter 2:10 Stunden laufen konnte, später unterstützten wir ihn, als er 2:08 unterbieten wollte. Tadesse Abraham lief seinen ersten Marathon in Zürich und gewann in knapp über 2:10. Wir gaben allen Schweizern, die unter 2:20 blieben, einen Bonus. Wir organisierten Tempomacher, wenn sie eine EM- oder WM-Limite laufen wollten. Es gab ein Zwischenhoch, das abgesehen von Abraham inzwischen wieder ein wenig abgeflacht ist. Bei den Frauen gibt es Maja Neuenschwander, aber sie läuft in zwei Wochen in London, das begreife ich. Martina Strähl startet erst an der WM wieder, mit ihr waren wir in Kontakt. Sie hat die Limite, ihre Planung ist klar. Und wenn Christian Kreienbühl, Michael Ott und Adrian Lehmann nicht antreten, ist da nichts mehr.
Wie hat sich die Schweizer Laufszene seit der Zürich-Premiere verändert?
(denkt nach) Nicht so wahnsinnig. Das Niveau an der Spitze ist weniger hoch. Generell laufen viel mehr – im Breitensportbereich. Der Hype, in Zürich laufen zu wollen, ist längst vorbei. In diesem Jahr sind es knapp 3000, nächstes Jahr werden wir es wieder darüber schaffen. Der Stellenwert des Laufens aber ist ein anderer geworden: Es laufen mehr, und es sind viel mehr Frauen. Schon der Hobbyläufer weiss alles übers Training, läuft aber deswegen nicht schneller.


Wieso ist es nach den ersten Jahren und in einem boomenden Umfeld nicht gelungen, die Teilnehmerzahlen von 6000 und 7000 zu halten oder gar auszubauen?
Bevor der Marathon überhaupt das erste Mal stattfand, hatten wir das beste Marketing mit dem «Tages-Anzeiger» und der NZZ. Wir kämpften drei Jahre für die Veranstaltung, die Zeitungen standen hinter dem Anlass und pushten ihn, aber die Stadt gab uns die Bewilligung nicht. Dieser Streit wurde öffentlich ausgetragen, und immer hiess es: «Wenn es ihn dann gibt, will ich auch dabei sein.» Und als der Marathon dann kam, päff, waren wir überrascht, wie viele Teilnehmer wir hatten. Wir waren wohl etwas einfach dazu gekommen, hinterfragten das dann aber nicht und analysierten auch die ersten Rückgänge drei, vier Jahre später zu wenig.
Mit der Einführung von Viererteams und dem 10-km-City-Run vermochten Sie die Teilnehmerzahlen auf 9000 zu schrauben. In diesem Jahr nun erstatten Sie erstmals sehr schnellen Breitensportlern das Startgeld zurück und verteilen sogar Boni. Mit welchem Ziel?
Die Elite ist dünn geworden. Deshalb bezeichnen sich schon Läufer, die 2:35 erreichen und den Schweizer Top Ten angehören, als Elite-Läufer – was früher, salopp gesagt, ein aufgepeppter Breitensportler gewesen wäre. Wir erhalten Anfragen von Leuten auch aus dem Ausland, die uns ihre Ziele mitteilen plus «könnten Sie mir vielleicht eine Übernachtung oder einen Gratis-Start...» und so weiter. Für uns ist das viel Aufwand. Deshalb machten wir aus der Anfrage ein Angebot: Der Athlet soll kommen, bezahlen, und wenn er erreicht, was er uns erzählte, dann sind wir grosszügig und zahlen ihm das Startgeld und je nach Leistung noch 50 bis 500 Franken.
Und was ist das Ziel dabei?
Weil wir zwischen der schmalen Spitze und der grossen Masse kaum mehr Läufer haben, müssen wir versuchen, diese Lücke zu füllen. Wenn einer 2:28 läuft, freut mich das, dann haben wir jemanden in diesem Bereich, dann zahle ich ihm gerne etwas, das tut nicht weh.
Die Sponsorensuche ist ebenfalls schwieriger geworden. Was fehlt dem Laufsport, um für Geldgeber attraktiv zu sein?
Schweizer Läufer, die faszinieren. Viktor Röthlin war ein solcher. Wenn man keine Gruppe hat wie damals in den 80er-Jahren mit Délèze, Ryffel, Wirz und auch mir, die in der Weltrangliste vorne waren, und es keine Frage ist, ob ein Schweizer Murten–Fribourg gewinnt, dann ist es schwierig. Laufen ist eine Sportart, die von der Dritten Welt dominiert wird, und es ist ein Managersport in der Ersten Welt. Das hat Auswirkungen auf Sponsoren. Natürlich wird aber auch die Aufteilung des Kuchens immer brutaler. Auf dem Platz Zürich haben wir zwei Fussballclubs und einen Eishockeyclub, allein die brauchen viel Geld.
«Heute bezeichnen sich Läufer als Elite, die früher salopp gesagt aufgepeppte Breitensportler gewesen wären.»
Ist die Einführung einer Halbmarathon-Distanz, die an den meisten Orten boomt, noch immer kein Thema?
Nein. Wo bliebe dann der Marathon? Ich würde über diese Distanz Läufer verlieren, und jene, die im Team die 17-km-Strecke laufen, würden auch umsteigen. Es würde mir den Marathon und den Team-Run kaputtmachen. Ich hätte zwar 2000 Läufer mehr, aber trotzdem weniger Geld in der Kasse.
Wie wollen Sie im nächsten Jahr wieder auf 3000 Läufer kommen?
Es wird Änderungen im Marketing geben, und wir brauchen neue Ideen.
Es gibt das Gerücht, dass Sie den Zürich Marathon verkaufen wollen.
Lassen wir das Gerücht Gerücht sein, es wird viel geredet. Ich bin 62, und ich muss die Nachfolge regeln. Sowohl beim Marathon als auch beim Silvesterlauf. Darüber mache ich mir Gedanken. Es reicht, dass der internationale Sport in den höchsten Chargen an alten, senilen Herren krankt, von denen höchstens 20 Prozent brauchbar sind. Zu diesen will ich nicht gehören. Ich will zu einer Zeit abgeben, in der es noch heisst: Schade, dass du es nicht mehr machst – und nicht: Es ist Zeit, dass er geht. Ich habe kein Problem mit Loslassen. Das Leben beginnt mit Loslassen, bei der Geburt muss man erstmals loslassen.
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