«Es geht nicht um Abtreibung auf Verlangen»
Irland stimmt am Freitag über die Aufhebung des Abtreibungsverbots ab. Warum dies nötig ist, sagt die Medizinerin Rhona Mahony.

Doktor Mahony, warum ist es Ihnen so wichtig, dass das Abtreibungsverbot in der irischen Verfassung aufgehoben wird?
Ich halte das schon aus medizinischer Sicht für nötig. Im Augenblick qualifiziert sich eine Frau hierzulande ja nur für einen Schwangerschaftsabbruch, wenn echte Gefahr besteht, dass sie stirbt. Das führt uns zur Frage: Was ist echte Gefahr? Ein Risiko von 10 Prozent? Von 20 Prozent? Von 40 Prozent? Und wann wird eine Gefahr für die Gesundheit zur Lebensbedrohung? Die Verfassung gesteht uns keinerlei Flexibilität in diesem Punkt zu. Auch die Frage der Überlebensfähigkeit eines Fötus berücksichtigt sie nicht.
Der achte Verfassungszusatz, das «Eighth Amendment», versetzt Ärzte und Patientinnen in eine hoffnungslose Lage?
Es verzögert und verfälscht jede ärztliche Entscheidungsfindung. Das ist, in meiner Auffassung, das reinste medizinische Roulette. Alle Entscheidungen, die wir treffen, werden überschattet von der Aussicht auf eine 14-jährige Gefängnisstrafe. Damit wird die medizinische Fürsorge für Frauen schlicht kriminalisiert.
Was können Sie für Frauen, die Hilfe brauchen, tun?
Wir können ihnen bestenfalls eine Telefonnummer und etwas Information überreichen. Arrangieren muss die Betreffende ihre ärztliche Betreuung selbst. Sie muss dafür eine andere Jurisdiktion, ein anderes Land aufsuchen – ohne propere Überweisung, mit den Gesundheitsrisiken, die das birgt, und im Wissen, dass das, was sie plant, in ihrer Heimat ein Verbrechen wäre. Viele Frauen wagen es nicht mal, darüber mit ihren Angehörigen zu sprechen. Und schon gar nicht mit Dritten: aus Angst davor, dass ihre Entscheidungen von anderen verurteilt werden.
Die UNO hat Irland ja mal Unmenschlichkeit und Grausamkeit vorgeworfen, weil es seine Mädchen und Frauen zur Abtreibung im Ausland zwingt?
Die Frauen fühlen sich völlig im Stich gelassen. Und das in einer Zeit, in der sie zusätzliche Hilfe bräuchten. Ziemlich teuer ist der Trip nach England übrigens auch. Aber vor allem ist er beängstigend und bedrückend – in einem fremden Land, einer fremden Stadt, ohne das dortige Krankenpersonal zu kennen, ganz allein. Und danach, wieder zu Hause, oft das Warten auf den Postboten. Wenn nämlich die Überreste per Post übermittelt werden. In einer Versandtasche, mit den übrigen Online-Bestellungen. Das passiert wirklich noch immer in Irland. Unmenschlich ist das auf jeden Fall.
«Niemand denkt an zügellose Schwangerschaftsabbrüche, an eine Automatik in diesem Prozess.»
Abtreibung an sich ist ja kein Verbrechen – laut irischer Verfassung. Nur eben in Irland selbst darf sie nicht vorgenommen werden.
Es ist die reinste Heuchelei. Unsere Verfassung garantiert ausdrücklich das Recht von Frauen, ins Ausland reisen und dort etwas zu tun, was ihnen daheim 14 Jahre Haft eintragen würde. Sie sagt nur: Nicht bei uns! Besonders extrem ist dabei natürlich das Verbot von Abtreibungen im Falle von Vergewaltigungen. Das ist sowieso vollkommen unakzeptabel. Es sagt wohl auch etwas über die Haltung zu Frauen hierzulande aus.
Ein relativ neues Problem ist die aus dem Ausland importierte Abtreibungspille?
Ja, mit der haben wir es in den letzten zehn Jahren zu tun bekommen. Forscher gehen davon aus, dass in Irland im Jahr rund 1500 solcher Pillen – natürlich ganz illegal – bestellt und eingenommen werden. Normalerweise sind diese Pillen recht sicher. Aber sie sollten unter ärztlicher Anleitung eingenommen werden. Sie können zu Komplikationen führen. Wenn es zu solchen Komplikationen kommt, wagen sich viele Frauen nicht ins Krankenhaus, weil sie denken: Könnte ich dafür 14 Jahre lang hinter Gittern sitzen? Auch in diesem Fall verzerrt die Strafandrohung die ärztliche Behandlung auf gefährliche Art.
Die Verteidiger des «Achten Amendment», die sogenannten Pro-Life-Aktivisten, werfen Ihnen vor, irischen Frauen «Abtreibung auf Verlangen» verschaffen zu wollen.
Es geht nicht um Abtreibung auf Verlangen. Schon der Ausdruck liegt schief. Niemand denkt an zügellose Schwangerschaftsabbrüche, an eine Art Automatik in diesem Prozess. Wir Gegner des «Achten» wollen lediglich, dass eine Frau sich nicht mehr von einem Richter oder einer Jury sagen lassen muss, ob sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch qualifiziert oder nicht. Wir wollen, dass diese Frau und ihr Arzt sich stattdessen zusammensetzen und in Ruhe alle Fakten durchsprechen können, um in einem festgelegten Prozess gemeinsam zu entscheiden, welches die geeignete Behandlung ist.
«Bei Abtreibung geht es im Kern um eine persönliche Notlage, um einen Verlust, um Schmerz und Pein.»
Einerseits waren in Irland noch vor nicht allzu langer Zeit Dinge wie Ehescheidung oder Verhütungsmittel gesetzlich verboten. Andererseits scheint sich die irische Gesellschaft aber sehr gewandelt zu haben in den letzten Jahren?
Irland hat sich, wenn auch sehr langsam, gewandelt. Und das hat nicht nur mit der zunehmenden Trennung von Staat und Kirche zu tun. Das ist nur ein Teil der Entwicklung. Wichtig ist auch, dass wir 1973 der EU beigetreten sind und in der Folge das Reisen gelernt haben. Dass viele von uns zur Uni gingen und einige Zeit im Ausland gearbeitet haben. Wir haben ja eine gewaltige Diaspora.
Vor drei Jahren gab es doch auch das irische Ja zur Homo-Ehe. War das nicht für Irland ein erstaunlicher Schritt?
Beim Referendum zur Homo-Ehe ging es im Wesentlichen um Liebe. Das war hier, bei den meisten, sehr populär. Wir haben uns dabei sehr gut gefühlt. Aber mit dem Abtreibungsreferendum ist das etwas völlig anderes. Bei Abtreibung geht es im Kern um eine persönliche Notlage, um einen Verlust, um Schmerz und Pein. Das ist sehr viel komplexer. Vergleichen lässt sich das nicht.
Und was denken Sie: Wie stehen die Chancen fürs Referendum?
Niemand weiss wirklich, wie es ausgehen wird. Auf die Umfragen darf man wahrscheinlich nicht viel geben. Viele Leute wollen nicht damit herausrücken, wie sie abstimmen werden. Ich befürchte, es könnte sehr knapp werden. Ich bin da ziemlich nervös.
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