Es geht nur um das schöne Lächeln
Ein neues Gutachten zeigt, dass die meisten Zahnkorrekturen medizinisch nichts bringen.

Muss es wirklich immer gleich eine Zahnspange sein? Das Fazit eines Gutachtens, das derzeit in Deutschland für Schlagzeilen sorgt, ist eindeutig: Die meisten kieferorthopädischen Behandlungen bringen medizinisch gesehen nichts. Oder in den Worten der Autoren: Es seien keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zur Nichtbehandlung gefunden worden. Das heisst, Zähne sind nach einer Korrektur vielleicht gerader oder Lücken im Gebiss kleiner. Die Zähne halten aber nicht länger oder das Zahnfleisch ist nicht gesünder als ohne Behandlung.
Der Bericht wurde vom deutschen Gesundheitsministerium bei einem privaten wissenschaftlichen Institut in Auftrag gegeben. Dies nachdem die deutsche Finanzkontrolle im Frühling letzten Jahres den Verdacht geäussert hatte, dass die öffentliche Grundversicherung zu viele Kosten für Zahnkorrekturen übernehmen muss. In Deutschland erhält heute rund jedes zweite Kind eine Spange.
In der Schweiz sind die Zahlen vergleichbar. Die neusten des Bundesamts für Statistik stammen aus dem Jahr 2012. Damals gaben bei der Gesundheitsbefragung 54 Prozent der 15- bis 24-Jährigen an, eine Zahnspange zu tragen oder getragen zu haben. Die Befragung zeigt auch, dass der Anteil der Spangenträger in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. Angefragte Kieferorthopäden geben zudem an, dass die Nachfrage zuletzt sicher nicht zurückgegangen sei.
Die Werte aus Deutschland und der Schweiz sind im internationalen Vergleich hoch. In Schweden trägt nur jeder vierte Jugendliche eine Spange, in Grossbritannien nur jeder sechste. «Die grosse Mehrheit der Weltbevölkerung lebt gut ohne Zahnspangen», sagt der Schweizer Kieferorthopäde Marc Schätzle. Er ist Titularprofessor an der Universität Zürich und führt in Luzern eine eigene Praxis. Es gehe bei den meisten Behandlungen denn auch nicht um ein rein medizinisches, sondern um ein ästhetisches und psychologisches Problem. Die Gesellschaft erwarte heute eine gute Zahn- und Kieferstellung, Menschen würden danach beurteilt. So werde zum Beispiel ein Mensch mit zurückstehendem Unterkiefer von vielen als dümmlich wahrgenommen.
Die Grundversicherung zahlt nicht
In der Schweiz deckt die obligatorische Krankenversicherung die meisten Zahnkorrekturen nicht ab. Sie werden in der Regel von den Eltern aus der eigenen Tasche bezahlt oder von einer privaten Versicherung. Nur bei schweren Fehlstellungen springt die Invalidenversicherung ein.
In Deutschland zahlt die öffentliche Krankenkasse vielfach einen grossen Teil der Behandlung: dann, wenn die Ärzte eine mögliche künftige gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Fehlstellung geltend machen. Den deutschen Kieferorthopäden wird deshalb vorgeworfen, Behandlungen mit vorgeschobenen medizinischen Argumenten durchzuführen.
In der Schweiz ist dies wegen der privaten Finanzierung der Behandlung nicht nötig. Jan Danz, Vizepräsident der Gesellschaft für Kieferorthopädie, sagt: In der Schweiz werde vor einer Behandlung in der Regel besprochen, zu welchem Zweck eine Zahnkorrektur vorgenommen wird. Gehe es nur um optische Perfektion, werde dies von Anfang an so festgehalten.
Medizinisch notwendig bei 10 Prozent der Kinder
Doch wie viele Spangen sind den nun tatsächlich sinnvoll – aus medizinischen oder ästhetischen Gründen? Medizinisch notwendig im Sinne einer Abweichung von der Norm mit Schädigung aufgrund einer definierten Ursache ist laut Jan Danz eine Behandlung bei wahrscheinlich etwa 10 Prozent der Kinder. Das bedeutet, dass eine Zahn- oder Kieferfehlstellung so weit von der Norm abgewichen ist, dass sie zu einer direkten Schädigung führt.
Weitere 20 bis 30 Prozent Prozent der Kinder, schätzt Dr. Danz, werden aus sinnvollen aber nicht medizinisch notwendigen Gründen behandelt. «Hat jemand eine schlechte Zahnstellung, kann das zum Beispiel später Auswirkungen auf seine Karriere haben», sagt Danz. Oder 8 Prozent der Kinder hätten einen fehlenden bleibenden Zahn (ohne Weisheitszähne), der rein zum Erhalt der Kaufähigkeit nicht ersetzt werden müsste. Es sei aber meistens der Wunsch der Jugendlichen und der Eltern, dass eine dadurch entstandene Zahnlücke kieferorthopädisch geschlossen wird. Beim Rest der Behandlungen geht es laut Danz primär um den Wunsch der Patienten nach einem möglichst perfekten Gebiss.
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