Es geht um mehr als um die 8-Tage-Regel
Vertrauliche Papiere aus dem Bundeshaus zeigen, welche sieben Punkte der flankierenden Massnahmen zur Disposition stehen.

Am Tag nachdem die Gewerkschaften den grossen Eklat provoziert haben, geht im Ostflügel des Bundeshauses fast alles seinen gewohnten Gang. Wie geplant, kommt es am Donnerstagnachmittag zu technischen Gesprächen über mögliche Änderungen der flankierenden Massnahmen (Flam). Inhalt: höchst technisch und trotzdem politisch explosiv. Gastgeber: hochrangige Beamte des Departements von Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP). Teilnehmer: Gewerbeverband und Arbeitgeberverband. Prominente Abwesende: die Gewerkschaften, die tags zuvor den Boykott ausgerufen haben – mit dem Vorwurf, Schneider-Ammann wolle der EU die Flam auf dem Altar des Liberalismus opfern.
Ohne die Gewerkschaften, sagt der Direktor des Arbeitgeberverbands, Roland Müller, seien solche Gespräche natürlich «äusserst schwierig». Trotzdem sei sein Verband «interessiert zu erfahren, was die EU genau will».
Dass sich die Gespräche um eine Anpassung der 8-Tage-Regel drehen, ist bereits bekannt. Doch jetzt zeigen Recherchen von Redaktion Tamedia, welche weiteren Elemente der flankierenden Massnahmen zur Debatte stehen. In vertraulichen Papieren, die das Wirtschaftsdepartement den Teilnehmern vorab zugestellt hat, werden laut zuverlässigen Quellen sieben Punkte genannt, bei denen es Differenzen mit der EU gibt:
- 8-Tage-Regel: EU-Firmen müssen ihre Arbeitseinsätze in der Schweiz jeweils acht Tage im Voraus anmelden. Die EU will dies nicht.
- Kautionspflicht: EU-Firmen müssen vorgängig Zahlungen hinterlegen als Garantie für allfällige Bussen. Die EU will sie reduzieren oder abschaffen.
- Doppelsanktionen: Bei gewissen Verstössen gegen die Flam können fehlbare Firmen heute doppelt bestraft werden – einmal von einer paritätischen Kommission mit einer Konventionalstrafe, ein zweites Mal vom Kanton durch eine Busse. Die EU findet, eine Strafe genüge.
- Dokumentationspflichten: Selbstständige, die in der Schweiz Aufträge erledigen, müssen belegen können, dass sie keine Scheinselbstständigen sind. Die EU findet, dies sei zu viel Bürokratie.
- Kontrolldichte: Seit jeher wirft die EU der Schweiz vor, dass sie einseitig EU-Firmen kontrolliere. Bereits in der Vergangenheit hat die Schweiz ihr Kontrollregime deshalb angepasst. In seinem Papier schreibt Schneider-Ammann nun, dass es bei der Kontrollstrategie möglicherweise weitere «Verbesserungen» brauche. Die EU will viel weniger Kontrollaufwand.
- Kontrollkosten: Auch EU-Firmen müssen sich an den Kontrollkosten im GAV-Vollzug beteiligen. Auch das stört die EU offenbar.
- Dienstleistungssperren: Die Schweiz kann Firmen, die in krasser Weise gegen die Flam verstossen, für eine gewisse Zeit von Aufträgen in der Schweiz ausschliessen. Derzeit sind gegen rund 1400 Firmen solche Sperren in Kraft. Die EU findet dies unverhältnismässig.
Gegen all diese Elemente gibt es teilweise seit Jahren Kritik der EU, doch bisher hatte sie dagegen keine Handhabe. In den Verhandlungen um ein institutionelles Rahmenabkommen verlangt sie nun aber Anpassungen – wie ultimativ sie das in den einzelnen Punkten tut, ist unklar. Die Aufgabe, die Schneider-Ammann seinen Beamten, den Sozialpartnern und Kantonsvertretern aufgetragen hat, ist jedenfalls klar: Findet eine Lösung, welche den Lohnschutz ebenso gut gewährleistet, aber gleichzeitig EU-kompatibel ist! Insgesamt soll es weder einen Abbau noch einen Ausbau des heutigen Lohnschutzes geben. Das halten die Gewerkschaften jedoch für eine leere Worthülse, weshalb sie sich gar nicht erst an der Lösungssuche beteiligen.
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SP und FDP sind endlich wieder beste Feinde

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Eigentlich sollte eine Lösung bis spätestens Anfang September auf dem Tisch liegen. Denn noch im September muss der Gesamtbundesrat entscheiden, ob und wie er mit der EU überhaupt weiterverhandeln kann und will. In der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats kommt das Europathema bereits am 16. August aufs Tapet. Dort wird auch eine Stellungnahme von Aussenminister Ignazio Cassis erwartet. Was einst als Routineaussprache traktandiert wurde, bekommt nun den Charakter einer Krisensitzung mit den Aussenpolitikern aller grossen Parteien.
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