«Es ist wie auf einer Achterbahn»
Angesagt, abgesagt, jetzt wieder Thema: Korea-Spezialist John Park sagt, warum das Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim stattfindet.

Zuerst die 1000-Dollar-Frage: Findet der Gipfel am 12. Juni in Singapur statt?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Es ist wie auf einer Achterbahn: Der Gipfel wurde angesagt, abgesagt und ist jetzt wieder ein Thema. Das ist das Verdienst des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in. Seine Regierung war hinter den Kulissen sehr aktiv, um den Dialog zwischen dem nordkoreanischen Machthaber und dem US-Präsidenten zu fördern. Nach Donald Trumps Brief, in dem er den Gipfel absagte, setzte Moon alles daran, dass die beiden Seiten im Gespräch blieben. Er hat Donald Trump und Kim Jong-un persönlich beraten, er agiert wie ihr Coach.
Weshalb engagiert sich Moon so stark?
Das ist eine Folge von Trumps Strategie des maximalen Drucks. Aus amerikanischer Sicht hat die Kriegsdrohung kombiniert mit wirtschaftlichem Druck Kim Jong-un an den Verhandlungstisch gebracht. Entscheidend war aber, dass Moon einen zweiten Koreakrieg fürchtete. Deshalb investierte er so viel politisches Kapital, um einen diplomatischen Kanal zu etablieren. Das begann bei den Olympischen Winterspielen.
Vergrault Moon damit nicht die USA, den wichtigsten Alliierten?
Zunächst befürchtete Seoul, dass der Dialog mit Nordkorea Washington missfallen könnte. Gleichzeitig aber arbeitete das Blaue Haus eng mit dem Weissen Haus zusammen. Moon nützte die positive Dynamik des innerkoreanischen Dialogs, um den Kontakt zwischen Trump und Kim herzustellen.
Waren auch Trumps Rückzieher und dessen Relativierung ein paar Tage später koordiniert?
Die Absage des Gipfels war eine direkte Folge der nordkoreanischen Verbalattacke auf US-Vizepräsident Mike Pence. Trumps Brief war jedoch ausgewogen, der Präsident liess die Tür offen. Da wurde Südkorea aktiv. Moon und Kim sprachen über ihre Hotline und vereinbarten einen zweiten Gipfel an der Grenze, diesmal auf nordkoreanischer Seite. Damit bestätigte sich, dass die Südkoreaner die Brückenbauer sind in diesem Konflikt. Ebenso sind sie die Ambulanz, die als Erste am Unfallort eintrifft, wenn die Egos auf nordkoreanischer oder amerikanischer Seite verletzt sind. Südkorea ermunterte beide Seiten weiterzumachen. Es gibt viel mehr Kommunikation, als wir wahrnehmen.
Was wollen die USA mit dem Gipfel erreichen? Die Forderung, dass Nordkorea sein Atomprogramm ganz aufgibt, scheint unrealistisch.
Der ehemalige CIA-Direktor und jetzige US-Aussenminister Mike Pompeo war zweimal in Pyongyang. Er hat Kim Jong-un erklärt, was die USA wollen. Dabei geht es nicht um eine sofortige Denuklearisierung, sondern um einen Mechanismus, der in Phasen dazu führen wird. Ein US-Team reiste nun nach Nordkorea. Ein anderes Team flog nach Singapur, und Kim Yong-chol, die rechte Hand von Kim Jong-un ging in die USA. Es herrscht diplomatischer Hochbetrieb, um sich auf ein Statement von Trump und Kim zu einigen, das sie in Singapur veröffentlichen können. Darin dürfte angekündigt werden, dass der Prozess der Denuklearisierung gestartet wird.
Ist Kim Jong-un bereit dazu? Das Atomarsenal ist die Lebensversicherung seines Regimes.
Kim ist tatsächlich nicht sicher, ob ihm die USA die Sicherheit garantieren werden. Darum wird es in künftigen Verhandlungen gehen. Trump wie Kim wollen nach dem Gipfel zu Hause als Sieger dastehen. Für die USA wäre dies der Fall, wenn Nordkorea nicht länger das amerikanische Festland bedrohen könnte. Deshalb geht es vorrangig um die nordkoreanischen Interkontinentalraketen. Die atomaren Sprengköpfe kommen später dran.
Was erwartet Kim Jong-un?
Das ist nicht ganz klar. In den USA glauben viele, Kim Jong-un stelle enorme finanzielle Forderungen. Tatsächlich aber will er mit Südkorea und China ins Geschäft kommen. Voraussetzung dafür wäre, dass die USA die Wirtschaftssanktionen lockern.
In der Regel werden Gipfel während Monaten oder Jahren vorbereitet. Nun läuft alles innert Wochen ab. Ist eine Einigung überhaupt möglich?
Früher handelte man im Vorfeld einen Deal aus, der am Gipfel verkündet wurde. Diesmal will man den Prozess umkehren. Der Plan stammt von den Südkoreanern, den sie beim innerkoreanischen Treffen in Panmunjom am 27. April mit Nordkorea vereinbart haben. Erstens soll es einen permanenten Friedensprozess geben, zweitens grosse Investitionen in die Verkehrsverbindungen zwischen Nord- und Südkorea und drittens einen Mechanismus zur Denuklearisierung. Für die Denuklearisierung müssen die USA und Nordkorea an einen Tisch sitzen. Nur unter dieser Voraussetzung kann der Friedensprozess und die wirtschaftliche Zusammenarbeit beginnen. Aber das wird nicht einfach. Es ist ein gewagter Plan, der Erfolg ist keineswegs garantiert.
Könnte die Schweiz als Vermittlerin eine Rolle übernehmen?
Das ist denkbar, etwa wenn es zur Umsetzung der Denuklearisierung kommt. Die Rede ist auch von Blauhelmen an der Grenze. Die Schweiz hat Erfahrung im Korea-Konflikt und einen guten Ruf.
Vor einem Jahr schien der Konflikt zu eskalieren. Dann bot Kim Jong-un zum Jahreswechsel den Dialog an. Weshalb hat er so plötzlich seine Strategie geändert?
Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Daraus ergibt sich, wie seriös die nordkoreanische Offerte ist. Pompeo hat Kim zweimal besucht. Das zeigt, dass die USA annehmen, dass er es ernst meint. Es könnte aber auch sein, dass das nordkoreanische Angebot des Dialogs einfach ein Versuchsballon war. Dann kam aber Südkorea und schlug vor, dass man die Denuklearisierung schrittweise angeht. Ich glaube, dass Kim dazu bereit ist, aber es ist eine Frage des Timings.
Hatte Kim stets den Plan, zuerst aufzurüsten, um ein Pfand für Verhandlungen zu haben?
Ja. Entscheidend war der Test einer Interkontinentalrakete im Juli 2017, der Kim auf Augenhöhe mit den USA brachte. Denn nun konnte Nordkorea das amerikanische Festland angreifen. Nordkorea hatte bereits vor Jahren angekündigt, dass es sein nukleares Arsenal ausbauen werde, um mit den USA gleichberechtigt Abrüstungsverhandlungen führen zu können, so wie die Sowjets im Kalten Krieg. Die Nordkoreaner wurden belächelt, nun sind sie so weit.
Kim Jong-un ist zweimal nach China gereist, es waren seine ersten Auslandreisen als Staatschef. Hat er Peking seine Strategie erklärt, oder holte er Befehle ab?
Angeblich war sein Zug leer, als er in China ankam. Als er wieder abfuhr, war er voll beladen, vermutlich mit Hilfsgütern. Die US-Sanktionen, da ist die Regierung Trump klar, werden bestehen bleiben, bis Nordkorea denuklearisiert ist. Umso wichtiger ist die chinesische Hilfe. Peking ist daran interessiert, dass Kim Jong-un nicht länger die Region destabilisiert. Denn damit verhindert er, dass Peking in Nordkorea investieren kann. China hat sich in der Grenzregion massiv entwickelt und will zudem eine direkte Verbindung nach Südkorea. Das ist auch im Interesse von Präsident Moon, der die Verkehrswege in Nordkorea ausbauen will. So könnte die isolierte südkoreanische Wirtschaft direkt an China angeschlossen werden.
Sind Seoul und Peking also Alliierte?
Was den wirtschaftlichen Einfluss auf Nordkorea betrifft, sind sie auch Konkurrenten. In Sicherheitsfragen aber kooperieren sie gut.
Braucht China Nordkorea als Puffer, um die USA auf Distanz zu halten?
Im Kalten Krieg war das der Fall. Mit den modernen Waffen ist man strategisch aber nicht mehr auf solche Pufferzonen angewiesen. Politisch hingegen schon noch. Wegen Südkorea, das an Bedeutung gewinnt, und vor allem wegen einer möglichen Wiedervereinigung. China will kein vereintes Korea, das den USA sehr nahe steht, also keinen feindlichen Staat an seiner Grenze.
Will Südkorea die Wiedervereinigung überhaupt?
Nein, im Gegenteil. Präsident Moon versucht – im Gegensatz zu seinen konservativen Vorgängern – Nordkorea zu stärken. Damit rückt die Wiedervereinigung in weite Ferne. Das ist das Resultat der Deklaration von Panmunjom, auf die sich Moon und Kim beim innerkoreanischen Gipfel geeinigt haben. Damit wurde Nordkorea als Staat anerkannt, die deutsche Wiedervereinigung dient nicht länger als Modell.
Ist Kim Jong-un der alleinige Führer Nordkoreas, oder ist er nur der Kopf eines Führungszirkels?
Nach allem, was wir jetzt sehen, ist er der Führer des Landes. Er ist kein Strohmann, kein Aushängeschild, keine Marionette des Militärs. Er hat in kurzer Zeit viel Selbstvertrauen gewonnen, das sehen wir daran, wie er sich bei Treffen mit ausländischen Besuchern verhält, insbesondere mit US-Aussenminister Pompeo.
Kim Jong-un ist immer noch ein Diktator. Wird Präsident Trump beim Gipfel das Gulagsystem für politische Gefangene kritisieren?
Aussenminister Pompeo hat gegenüber Kim Menschenrechtsfragen angesprochen. Und Trump will das in Singapur auch tun, für die USA hat der nordkoreanische Gulag derzeit aber keine Priorität. Pyongyang ist sich allerdings bewusst, dass Menschenrechtsfragen auch schon zu militärischen Interventionen geführt haben.
Ist Kim Jong-un in fünf Jahren noch an der Macht?
Er wird durch die Annäherung mit Südkorea und dem möglichen Gipfel mit Trump gestärkt. Unklar ist, wie es um seine Gesundheit steht. Er ist noch jung, aber in seiner Familie gab es mehrere Fälle von Diabetes, Herz- und Hirnschlägen. Dazu kommt, dass er viel raucht und viel trinkt.
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