«Es ist wirklich dringend, dass wir handeln»
Finanzminister Ueli Maurer über die Steuerreform, Trumps Wirtschaftspatriotismus und das WEF.

Wir treffen den gut gelaunten Finanzminister im Kongresszentrum. Ueli Maurer kommt direkt vom Gespräch mit der lettischen Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola. Seine Agenda für Davos ist prallvoll. Er führt hier 30 Gespräche mit Finanzministern, EU-Vertretern, Wirtschaftsführern und Vertretern der Finanzbranche. Gleich danach wird er den holländischen Finanzminister Wopke Hoekstra und anschliessend den französischen Amtskollegen Bruno Le Maire treffen. Es bleibt gerade Zeit für einen Kaffee und ein Sonntags-Gespräch.
Wie fühlen Sie sich im Zentrum der Globalisierungselite?
Eigentlich sehr gut. In den letzten zwei Jahren habe ich im Rahmen der G-20 die meisten der massgeblichen Leute kennen gelernt. Ich kann also hier direkt in die Gespräche einsteigen und auf Augenhöhe diskutieren. Wir haben etwa 30 Meetings; die Hälfte kam auf Wunsch der Gesprächspartner zustande, die anderen auf unsere Initiative. Spannend ist, dass nicht nur die Politik da ist, sondern auch die Wirtschaft.
Das WEF wird immer grösser, die Staus immer länger. Wird das WEF zu gross für die Schweiz?
Es wird räumlich und vom Verkehr her eng, aber sonst kriege ich nicht viel davon mit. Ich renne von einem bilateralen Gespräch zum nächsten. Für mich stimmt es; je mehr wichtige Gesprächspartner da sind, desto besser.
Das WEF wird in der Schweiz recht kritisch beurteilt.
Ja, aber es ist eine hervorragende Plattform für die Schweiz, die man unbedingt aufrechterhalten muss. Es trägt zum guten Renommee der Schweiz bei, und das hilft uns in vielen Fragen. Das WEF ist unverzichtbar, das muss man den Leuten immer wieder erklären. Die Kosten sind sehr bescheiden im Vergleich zur Wirkung.
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Video: «Ich habe die Schweiz noch reicher gemacht»
Trump und Berset bekräftigten am WEF, dass sie die engen Beziehung zwischen der Schweiz und den USA weiter vertiefen wollen. (27. Januar 2017) Video: Tamedia
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Sie haben den amerikanischen Finanzminister Steve Mnuchin getroffen. Wie war er?
Ich kannte ihn schon von den G-20- und IWF-Treffen her. Er ist ein Schnelldenker und hält sich erfrischend kurz. Man braucht mit ihm Minuten, wofür man bei anderen Stunden braucht. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass wir ähnliche Ansichten haben.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel bei Regulierungsfragen. Er hat wie wir das Gefühl, es sei zu viel reguliert worden in letzter Zeit.
Zum Beispiel?
Etwa im Finanzbereich. Wir müssen uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Da sind wir uns mit den Amerikanern einig. Dann ist die Schweiz der sechstgrösste Investor in den USA.
War das Mnuchin bewusst?
Ja. Aber wir betonen das natürlich bei jeder Gelegenheit nochmals. Dann sind beide Länder stark bei Innovationen: Die USA haben das Silicon Valley, die Schweiz hat das Crypto Valley in Zug.
Mnuchin hat sich aber hier kritisch zu den Kryptowährungen geäussert. Sie ermöglichten Geldwäsche, Terrorfinanzierung und illegale Geschäfte. Er will sie regulieren.
Das ist uns bewusst, das gehen wir mit der Arbeitsgruppe Blockchain/ICO an. Wir sehen das gleich wie die Amerikaner.
Dass man etwas dagegen unternehmen muss?
In einem neuen Bereich muss man auch Experimente zulassen. Der Staat muss Leitplanken geben, aber nicht überregulieren. Geldwäscherei geht gar nicht, das haben wir auf dem Radar.
Betreffend Regulierung muss man aber feststellen, dass uns die Amerikaner immer zu Massnahmen gezwungen haben – Geldwäscherei, Steuern, Bankgeheimnis. Aber sie selbst machen nicht, was sie von anderen fordern. Zum Beispiel beim automatischen Informationsaustausch, bei der Bankenregulierung. Im Bundesstaat Delaware können Firmen gegründet werden, ohne dass der eigentliche Eigentümer sich zu erkennen geben muss.
Diese Beispiele stammen von den Vorgängerregierungen. Die neue Regierung hat sich noch nicht festgelegt. Ich denke, wir werden da gemeinsame Lösungen finden. Aber es ist schon klar, dass sie eine eigene Agenda haben. Für uns ist es einfach interessant, zu wissen, was sie zu tun gedenken und wo wir uns einklinken können.
«Ja, Trump provoziert, und manchmal ist es offensichtlich, dass er es nicht mit vertieftem Wissen macht.»
Glauben Sie, dass die Regierung Trump Verständnis zeigen wird für den Sonderfall Schweiz?
Man darf solche kurzen Gespräche zwar nicht überbewerten. Aber die Tatsache, dass ich den Finanzminister schon ein paarmal getroffen habe, während meine Vorgängerinnen und Vorgänger eigentlich nie an ihn herangekommen sind, gibt ein bisschen Zuversicht. Dazu kommt, dass wir uns auch persönlich gut verstehen. Man kann sich anrufen und etwas besprechen. Das Klima und das Verständnis für die Schweiz ist sicher wesentlich besser mit der Regierung Trump als vorher mit der Regierung Obama.
Trumps Betonung von «America First» lässt eher das Gegenteil befürchten.
Mir ist das nicht unsympathisch. Ich denke da gleich, für mich heisst es einfach «Switzerland First». Ein Land muss primär die eigenen Interessen vertreten. Das ist doch nicht verwerflich, im Gegenteil. Wir müssen das auch wieder mehr machen.
Was heisst das?
Wir müssen entschlossener in Verhandlungen eintreten. Wir haben in der Vergangenheit hie und da den Fehler gemacht, schon mit einem Kompromiss in die Verhandlungen zu gehen. Dann kann das Resultat meistens nicht mehr befriedigen.
Wie bei der Kohäsionsmilliarde für Osteuropa, wo die EU dann der Schweizer Börse die Anerkennung verweigert hat?
Ich habe die Sorge, dass die Missverständnisse bestehen bleiben. Die EU geht davon aus, die Schweiz wolle ein institutionelles Abkommen, und das sei im März oder April bereit. Aber ein solches Rahmenabkommen ist zurzeit einfach nicht mehrheitsfähig.
Sondern?
Wir müssen die Ausgangslage klären für die künftige Zusammenarbeit. Wir sagen ja alle: Bilaterale ja, aber nicht mehr. Die EU erwartet jedoch, dass es mehr sein wird. Weil man sie in dem Glauben liess oder sie das so interpretiert hat. Ich habe nach den Gesprächen hier in Davos nicht das Gefühl, dass die Ausgangslage klar genug ist, um weiterzugehen.
Was dann?
Ich hoffe, dass wir im Bundesrat eine Lösung finden, der EU unsere Position klarzumachen. Damit wir nicht weiter falsche Erwartungen schüren und uns damit unter Druck setzen. Wir müssen das Verhältnis entkrampfen. Wir brauchen die EU, und die EU braucht uns eigentlich auch.
Aber die EU scheint wenig Entgegenkommen zu zeigen.
Die EU kann uns nach dem Brexit nicht Zugeständnisse machen, die sie gegenüber England nicht machen will. Wir müssen Zeit gewinnen und zuerst für uns die Ausgangslage klären.
«Die SVP hat die Sache jeweils schon durchdacht, bevor wir provoziert haben.»
Zurück zu Trump. Sie scheinen wenig Mühe mit seinem doch sehr unorthodoxen Stil zu haben.
Wenn jemand querschlägt, kann das erfrischend sein. Amerikanische Gesprächspartner sagen mir aber auch, dass er in den Medien übertrieben negativ dargestellt werde. Amerika hat wohl einen Wechsel gebraucht. Er hat vieles angesprochen, was die Leute bewegt.
Hat Ihr Verständnis damit zu tun, dass auch Ihre Partei, die SVP, gerne attackiert und provoziert?
Ja, er provoziert, und manchmal ist es offensichtlich, dass er es nicht mit vertieftem Wissen macht. Dagegen haben wir in der SVP die Sache jeweils schon durchdacht, bevor wir provoziert haben. Man darf die Regierung nicht auf Trump beschränken. Da gibt es einige sehr kluge Köpfe, die nicht ihr gesamtes Leben in der Verwaltung zugebracht haben, sondern in der Wirtschaft. Das ist anders und erfrischend.
Ein ungelöster Konflikt zwischen der Schweiz und den USA besteht weiterhin, weil einige Banken noch immer unter Strafandrohung stehen wegen Steuervergehen. Gibt es eine Lösung?
Wir haben festgestellt, dass auch die Amerikaner einen Schlussstrich ziehen möchten. Aber die Fälle liegen bei der Justiz, da herrscht wie bei uns Gewaltentrennung. Es wird nochmals ein paar Bussen für Banken geben, das ist zu akzeptieren. Aber ich sehe die Chance, dass es jetzt schneller vorangehen und bald abgeschlossen werden kann.
Die amerikanische Regierung hat die Schweiz auf eine Liste der Währungsmanipulation gesetzt, weil die Nationalbank am Devisenmarkt interveniert, um den Franken zu schwächen. Sehen Sie hier eine Lösung?
Wir reden darüber. Die Signale sind klar: Sie planen keine Sanktionen. Sie kennen unsere Situation und haben Verständnis.
Was bedeutet die US-Steuerreform für die Schweiz?
Sie hat sicher Auswirkungen.
Welche?
Wir sind noch am Analysieren. Die Reform umfasst etwa 600 Seiten. Ich kenne noch nicht alle Details, aber ein Problem betrifft die Versicherungen. Das haben wir jetzt bereits deponiert.
Müssen Sie an Ihrer Vorlage zur Unternehmenssteuerreform wegen der neuen Situation in den USA noch Anpassungen vornehmen?
Im Grossen und Ganzen nicht. Die Richtung stimmt. Wir haben ja schon damit gerechnet, dass sich das Umfeld verändern wird, zum Beispiel wegen des Brexit. England ist bei den Unternehmenssteuern ebenso wichtig wie die USA. Wir sind auf die Kritik eingegangen, haben die Vorlage etwas abgespeckt und ausgewogen gestaltet. Es ist das Minimum, das wir jetzt umsetzen müssen. Im März bringe ich sie in den Bundesrat. Wenn sie so durchkommt, dann bleiben wir wettbewerbsfähig.
Wenn nicht?
Wenn das Volk sie nochmals verwerfen sollte, dann würde das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Schweiz nachhaltig erschüttert. Es ist wirklich dringend, dass wir handeln.
Warum?
Die Rechtsunsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft. Die Gefahr ist, dass es keine Investitionen mehr gibt.
Diese Woche haben die Amerikaner Schutzzölle auf Waschmaschinen und Solarzellen bekannt gegeben. Eine stärkere Abschottung würde die Schweiz als Exportland treffen.
Die Gefahr besteht.
War das ein Thema mit Finanzminister Mnuchin?
Diesmal nicht, aber wir haben das mit ihm schon einmal angesprochen. Es gibt einen gewissen Patriotismus in der Wirtschaftspolitik. Unternehmen sollen nicht nur Gewinne machen, sie haben auch eine Verantwortung im Sozialen. Trump hat das nicht ungeschickt angesprochen. Das werden wohl auch andere Länder übernehmen.
Was meinen Sie damit?
Die Leute haben Angst vor der Globalisierung und wehren sich gegen eine grenzenlose Optimierung. Darauf muss die Politik Rücksicht nehmen. Wir hatten eine Phase absoluter Gewinnoptimierung und Steigerung der Chefsaläre bis ins Unendliche. Das verstehen die Leute nicht. Das wird die Wirtschaftspolitik beeinflussen. In der Handelspolitik wird das jetzt sichtbar.
Dafür haben Sie Verständnis?
Ja, man kann nicht Politik an den Leuten vorbei machen. Wenn die Wirtschaft florieren will, muss sie auch auf deren Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Das wird keine Kehrtwende, aber neben Steuern und Arbeitskräften wird das in Zukunft ein Faktor für den Standort sein.
Die amerikanische Regierung musste ihre Tätigkeit in den letzten Tagen teilweise einstellen, weil das Geld ausgegangen ist. Das könnte Ihnen auch blühen.
Nein, das kann uns nicht passieren.
Und wenn das Volk am 4. März Nein sagt zur Verlängerung der Bundes- und der Mehrwertsteuer?
Ah, ja, stimmt, die NFO-Abstimmung. Wir hätten immerhin anderthalb Jahre Zeit, etwas Neues zu finden.
Finden Sie es richtig, dass man darüber alle 15 Jahre abstimmen muss?
Im Grundsatz: Ja, die Leute sollen sich äussern können. Es ist eine Gelegenheit, neue Modelle vorzuschlagen und darüber zu diskutieren.
Es erinnert daran, dass die Schweiz föderalistisch aufgebaut ist.
Ja. Wir hatten zum Beispiel eine Diskussion mit der saudischen Delegation. Die haben erzählt, dass sie nur handeln können, wenn ihre Stämme einverstanden sind. Ich habe dann gesagt: Das ist bei uns genauso, nur sind es die 26 Kantone.
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