Kinos öffnen wiederEs lohnt sich, diese Filme zu schauen
Nach vier Monaten sind die Zürcher Lichtspielhäuser wieder offen. Zu sehen gibt es einen modernen Jesus, einen französischen Thriller und einen finnischer Designer.

The Nest
Drama von Sean Durkin, UK/CA 2020, 107 Min.
Am besten ist Jude Law ja immer dann, wenn er seinen Figuren eine Grossspurigkeit gibt, in der eine Portion Verletzlichkeit mitschwingt. So gesehen, ist «The Nest» ein idealer Film für Law. Er spielt den eitlen Rohstoffmakler Rory, der wegen eines Jobs mit seiner amerikanischen Familie nach England zurückkehrt. Als Wohnsitz dient ein riesiges, eiskalt wirkendes Landhaus, und es dauert nicht lange, bis sich die Familienmitglieder voneinander entfremden. Rorys Aufschneidertum wird immer riskanter, und seine Frau Allison (Carrie Coon) straft ihn mit nackter Verachtung. Das ist psychologisch raffiniert gebaut, und weil der Film in den glamour- und handylosen Achtzigern spielt, liegt gerade in den stilleren Szenen das eigentliche Grauen. (zas)
Arena, Arthouse Le Paris, Arthouse Piccadilly, Corso, Houdini, Kosmos
Aalto
Dokumentarfilm von Virpi Suutari, Fin 2020, 103 Min.
Passt wunderbar zur Kino-Wiederöffnung, dieses Porträt des Architekten und Designers Alvar Aalto (1898-1976) aus Finnland. Wollten wir nicht das Entree mit seinem Hocker Nr. 60 auffrischen, als wir die ganze Zeit zu Hause sassen? Die stimmige Doku zeigt Aalto als Architekten, der mit seinen organischen Bauten eine Form suchte, die vom Leben der Menschen ausgeht. Aber auch als Freigeist – davon zeugt der erstaunliche Briefwechsel mit seiner Frau und engen Mitarbeiterin Aino Aalto. Am Ende hat man sogar verstanden, wieso die Aalto-Vase diese schön geschwungene Form haben muss. (blu)
Riffraff
Seules les bêtes
Kriminalfilm von Dominik Moll, Frankreich 2019, 117 Min.
Das ist die Verfilmung eines Romans von Colin Niel, die einen gerne auf falsche Fährten lockt. Angesagt ist eine Geschichte aus einem schneebedeckten französischen Hochplateau, aber der Film beginnt in Afrika, mit einem jungen Mann und einer Ziege. Regisseur Dominik Moll, der schon mit «Harry, un ami qui vous veut du bien» einen kunstvollen Krimi realisierte, verwebt gekonnt die Schicksale von sechs Personen. Die Perspektiven verschieben sich ständig, die gleichen Ereignisse wirken plötzlich ganz anders, zufällig ist nichts und alles. Aber wie sagt ein Magier im Film: «Der Zufall ist grösser als du!» (ml)
Riffraff
Los Lobos
Drama von Samuel Kishi Leopo, Mex 2020, 94 Min.
«Ihr seid beide starke Wölfe. Wölfe weinen nicht. Wölfe beissen.» Das bläut Lucia (Martha Reyes Arias) ihren kleinen Söhnen ein. Sie ist mit ihnen von Mexiko in die USA gereist, unter dem Vorwand, Disneyland zu besuchen – in Wirklichkeit lässt sie sich illegal nieder. Während sie arbeiten geht, müssen sich die Brüder in ihrem Apartment verstecken. Die Langeweile wird erdrückend. So malen die zwei die Wände voll und stellen sich vor, dass sie Ninja-Wölfe wären, die Monster bekämpfen. Das setzen die Filmemacher in kurzen Trickfilm-Sequenzen um, die zu den Highlights dieses Dramas gehören. «Los Lobos» basiert auf den Kindheitserinnerungen von Regisseur Samuel Kishi Leopo, der das in den 80ern ganz ähnlich erlebt hat. Die Kinderdarsteller Max und Leo Najar Marquez sind auch im echten Leben Brüder, und sie machen ihre Sache wunderbar. (ggs)
Houdini
Mank
Drama von David Fincher, USA 2020, 131 Min.
«Citizen Kane» (1941) gilt als einer der besten Filme, die je realisiert wurden. Es war der Geniestreich des 25-jährigen Regisseurs und Hauptdarstellers Orson Welles. Aber die erste Drehbuchversion schrieb Herman J. Mankiewicz, von allen Mank genannt. Er arbeitete wegen eines Unfalls meist im Bett, kannte jedoch die Welt der Zeitungszaren und Hollywoodgrössen, die er beschreibt, bestens: Trotz seiner bösen Sprüche wurde er in diesen Kreisen als Mitarbeiter und Hofnarr geschätzt. «Mank» ist ein Herzensprojekt des «Fight Club»-Regisseurs David Fincher, denn das Drehbuch dazu schrieb vor vielen Jahren sein Vater. In nostalgischem Schwarzweiss beschreibt «Mank» das Dilemma der von Gary Oldman grandios gespielten Titelfigur. Alles ist so virtuos und anspielungsreich inszeniert, dass einem beinahe der Kopf zu rauchen beginnt – ein Fest für Filmbesessene! An der kommenden Oscarverleihung ist «Mank» mit zehn Nominierungen der Favorit. (ml)
Corso, Riffraff
Das neue Evangelium
Dokumentarfilm von Milo Rau, CH/D 2020, 107 Min.
Im süditalienischen Städtchen Matera wurden immer wieder Bibelfilme gedreht. So filmte hier Pasolini in den 60ern sein «Matthäusevangelium», Mel Gibson 40 Jahre später «The Passion of the Christ». 2019 wird Milo Rau nach Matera eingeladen, das in dem Jahr europäische Kulturhauptstadt ist. Rund um den Ort stösst der Schweizer Theater- und Filmemacher auf Lager, in denen Flüchtlinge und Fremdarbeiter unter erbärmlichen Verhältnissen leben. Mit ihnen stellt Rau eine eigene Version der Jesusgeschichte auf die Beine und hält das Projekt mit der Kamera fest. Er betont die revolutionäre Botschaft der Evangelien, hatte Jesus doch stets zu den Ärmsten gehalten. «Das neue Evangelium» gewann vor Kurzem den Schweizer Filmpreis für die beste Doku. (ggs)
Arena, Arthouse Piccadilly, Houdini, Kosmos
Der Richter und sein Henker
Kriminalfilm von Maximilian Schell, D/I 1975; 92 min.
Ein Kriminalbeamter wird erschossen. Kommissar Bärlach (Martin Ritt) ermittelt und nimmt einen alten Feind (Robert Shaw) ins Visier. Dem hetzt er einen Jungpolizisten (Jon Voight) auf den Hals. Maximilian Schell übernahm die Regie bei dieser Dürrenmatt-Verfilmung mit internationaler Starbesetzung. Selber tritt er darin nicht auf, dafür spielt Dürrenmatt eine kleine Rolle. Der Schriftsteller war ganz zufrieden mit dieser Verfilmung; er hat ja auch am Drehbuch mitgeschrieben. Davon abgesehen lohnt sich «Der Richter und sein Henker» schon fürs Zeitkolorit – so spielt das Finale auf dem Berner Felsenauviadukt, das sich damals noch im Bau befand. Der Film läuft in der Reihe «Dürrenmatt im Kino». (ggs)
Filmpodium, Do 22.4., Mo 26.4., Mi 28.4.

Rubber
Groteske von Quentin Dupieux, F 2010, 84 Min.
Bekannt geworden ist Quentin Dupieux als Musiker mit dem Pseudonym Mr. Oizo; als solcher hat er sich auch die gelbe Technopuppe Flat Eric ausgedacht. Inzwischen ist Dupieux besser bekannt für seine schrägen Spielfilme. «Rubber» war sein erster grosser Erfolg als Regisseur. Da erwacht ein alter Autoreifen zum Leben, überfährt einen Skorpion und jagt einen Hasen per Gedankenkraft in die Luft – und das ist erst der Anfang seines Amoklaufs. Bei seinem Tun wird er beobachtet von einer Gruppe Zuschauer, die ihm mit Feldstechern folgen. (ggs)
Xenix, Mo 26.4., 19 Uhr
Sami, Joe und ich
Jugenddrama von Karin Heberlein, CH 2020, 94 Min.
Ein Sofa am Rande eines Fussballfelds, irgendwo am Rande von Zürich. Ein Treffpunkt für die drei jungen Frauen Sami, Joe und Leyla, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Verbinden tut sie vor allem eins: ihre Freundschaft. Diese wird in einem schicksalsträchtigen Sommer auf die Probe gestellt. Drehbuchautorin und Regisseurin Karin Heberlein gelingt es in ihrem Spielfilm-Debüt, diese Coming-of-Age-Geschichte feinfühlig und realitätsnah zu erzählen. «Sami, Joe und ich» wurde am Zurich Film Festival (ZFF) mit dem Preis der Zürcher Kirchen sowie dem Publikumspreis ausgezeichnet. (bes)
Arena, Kosmos
Fehler gefunden?Jetzt melden.