«Es wäre schön, wenn Männern mal etwas Originelles einfallen würde»
Erfolgreiche Autorin für Sex-Romane: Im Interview spricht Sophie Andresky über Verführungskunst und männliche Fan-Post.

Sie gilt als erfolgreichste deutsche Autorin von Sexromanen: Die Frau, die unter dem Pseudonym Sophie Andresky schreibt. Ihr neues Buch «Hotel D'Amour» spielt in Berlin, wo die promovierte Kunsthistorikerin, geboren 1973, in einer festen Beziehung lebt. Wie spielt man mit dem Leser und der Leserin, ohne sich zu wiederholen? Ein Gespräch über Lust, Humor und Verführungskunst.
Frau Andresky, wie viel Handlung braucht eigentlich ein guter Sexroman? Also, ich brauche schon eine grössere Erzählung, man soll ja auch gut durchkommen, wenn man einen meiner Pornos liest, nur das Körperballett reicht dann nicht ganz. Ich finde das bei Büchern übrigens sinnvoller als bei Filmen. Wer braucht bei Pornofilmen denn eine Handlung? Will man wirklich wissen, wie das weitergeht, nach dem Sex? Dieser Ausruf «Oh, da kommt der Klempner. Sie müssen mal ein Rohr verlegen« hat ja immer etwas Lächerliches.
Und wie viel eigene Lebenserfahrung fliesst in Ihre Bücher? Das kommt aufs Thema an. Es ist aber ganz sicher keine hermetische Literatur, die ich schreibe, es sind auch keine autobiografischen Lebensbeichten. Ich bin Erzählerin ohne allzu viel Neurosen. Man soll sich damit eine schöne Stunde am Strand oder in der Badewanne machen. Eine Grundvoraussetzung, um überhaupt so etwas schreiben zu können, ist eine gewisse Fröhlichkeit, zu der ich als Rheinländerin ohnehin neige. Ich komme nicht in Stimmung, wenn ich traurig bin. In meinen Büchern gibt es daher auch nie richtig eklige Szenen. Ich versuche, nie Bilder in den Kopf der Leser zu projizieren, die sie von der Erregung abhalten könnten.
Wie schafft man das: immer wieder über einen körperlichen Akt zu schreiben, ohne sich selbst dabei zu langweilen? Die Sexszenen stehen ja nicht für sich, sie entwickeln sich aus den Charakteren heraus. Wenn ich einen schüchternen Mann habe, der es mal wissen will, hat der natürlich auf eine andere Art Sex als jemand, der immer Erfolg hatte und schon weiss, wie die Dinge laufen, oder wie jemand, der sich rächen will oder der gerade verletzt wurde. Und dann schreibe ich so, dass es mich immer anmacht. Bei manchen Szenen muss ich allerdings im eigenen Archiv nachschauen, ob ich das schon mal hatte oder nicht. Ich habe die alle in einer grossen Datei gesammelt - «Hotel D'Amour« verfügt beispielsweise über 35 Sexszenen, die ich alle nacheinander geschrieben habe. Acht Wochen lang.
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In Ihrem neuesten Buch geht es um die schillernde Tänzerin Anita Berber, die 1928 in Berlin starb. Wie sind Sie auf diese Figur gestossen? Durch das berühmte Gemälde von Otto Dix, eine einzige Orgie in Rot. Ich habe mich immer gefragt: Wer ist diese Frau, warum sieht sie so todgeweiht aus? Dann habe ich mich eingelesen und festgestellt, dass sie die erste Nackttänzerin in Berlin war, ein höchst abwechslungsreiches Liebesleben hatte und einen Skandal nach dem anderen produzierte.
Wie sind Sie als junge Studentin auf die Idee gekommen, erotische Romane zu schreiben? Ich habe einfach festgestellt, dass es da nicht so viel Gutes gibt. Pornografische Literatur von Männern zu finden, ist gar kein Problem, aber da dominieren die ewig gleichen Muster und Dialoge. Moderne Sexromane von Frauen sind mir zu soziologisch oder esoterisch: Da öffnen sich dann Blütenkelche, und die grosse Göttin der Liebe steigt herab. Ich frage mich immer: Was macht die da? Verschwurbelt ist ja oft nur eine andere Art von verklemmt. Aber so richtige Pornografie von Frauen, die sich auch noch erlaubt, witzig zu sein: Das ist eine Marktlücke.
Sie sagen, Sie schreiben feministische Pornografie. Was bedeutet das für Sie? Dass die Hauptfiguren Frauen sind, die selbstbestimmt und vergnügt bestimmen, was sie im Bett wollen. Natürlich könnte ich auch eine Hauptfigur einführen, die sich ständig nach etwas sehnt, was sie dann nicht bekommt, was wohl eher typisch wäre für einen modernen Roman, aber das ist in meinem Genre auf Dauer sehr unbefriedigend - schliesslich bin ich Autorin, keine Sextherapeutin.
Aber gehört das Scheitern nicht immer auch zum Sexleben dazu? Natürlich. Aber doch nicht die ganze Zeit. Ich finde ja auch nicht, dass es die Erotik fördert, wenn erst mal diskutiert wird, wer am Abend die Küche macht. Dann doch lieber das Prinzip der fantasievollen Verführung, was im besten Falle vielleicht die Leserinnen animiert, zu ihrem Mann mal zu sagen: Hey, der Typ aus dem Buch macht das auch, lass uns doch mal experimentieren! Wünsche zu formulieren: Das wollen viele Frauen, selbst wenn sie es verbal nicht äussern.
In Ihren Büchern achten Sie sehr auf Abwechslung, auch sprachlich. Wie viele verschiedene Begriffe haben Sie für Klitoris? Hundert. Mindestens. Und wenn sie mir ausgehen, habe ich immer das schöne Handbuch des Sexualtherapeuten Ernst Bornemann: «Der obszöne Wortschatz der Deutschen«. Ein Standardwerk aus den Siebzigerjahren, aber da findet man immer noch herrliche Begriffe. Ich persönlich verwende gerne das Kürzel «Klit» oder auch einfach nur das Adjektiv «feucht», aber das streicht mir dann mein Lektor immer raus, mit der Begründung: Wir sind hier nicht im Sumpfgebiet.
Müssen Sie sich selbst in Stimmung schreiben? Oder reicht inzwischen die Routine? Ich bin ja Verbalerotikerin von Beruf, das hilft. Insgesamt finde ich, dass Spontaneität total überschätzt wird, eindeutige Verabredungen sind viel wirksamer. In französischen Adelskreisen des 18. Jahrhunderts war das amouröse Rendezvous völlig normal, heute nimmt man dafür seinen Smartphone-Kalender zur Hand. Für alles Wichtige macht man sich einen Termin, warum nicht für den Sex? Das ist ja ein wichtiger Punkt in einer Beziehung.
Reagieren Männer und Frauen unterschiedlich auf Ihre Bücher? Kurioserweise schreiben mir häufiger Männer. Vielleicht auch, weil Frauen nicht auf die Idee kämen, mir Fotos von ihren Geschlechtsteilen zu schicken. Die Männer, die so was mailen, glauben wirklich, dass das angemessenes Flirtverhalten ist. Andere wiederum beschweren sich bei mir darüber, dass ihre Frauen gar nicht über Sex reden wollen - in manchen Beziehungen gibt es offenbar eine ganz grosse Verklemmung. Man spricht sehr ungern über die eigene Lust, die eigenen Wünsche, trotz der medialen Reizüberflutung.
Seltsam. Wo man sich doch im Internet alle Wünsche erfüllen kann. Ich glaube ja eher, dass wir zunehmend verspiessern. Vor allem die Jüngeren werden immer konservativer. Zugleich geht es darum, sich als Ware attraktiv zu machen und zu posieren: Bin ich die Superliebhaberin, habe ich den perfekten Körper? Und welche Oraltechniken kann ich noch lernen? Aber wer so denkt, hat nicht verstanden, was schöner Sex ist - eben keine Hochglanzästhetik.
Gibt es überhaupt so etwas wie entspannten Sex? Na ja, die grösste Chance darauf haben Frauen, die sich nicht von irgendwelchen Körperbildern terrorisieren lassen, und Männer, die sich nicht dem eigenen Leistungsdenken unterwerfen. Entspannt euch mal, mit allen Fettröllchen und Falten, wenn es lustig wird, umso besser, es ist ja kein Wettbewerb. In meinen Büchern ist noch etwas anderes wichtig: Frauen entschuldigen sich nicht dafür, was sie machen, selbst wenn es extrem ist. Niemals.
Für einen Schriftsteller sei das Schwierigste überhaupt, über Sex zu schreiben, ohne sich lächerlich zu machen, hat der Schriftsteller Martin Amis gesagt. Gibt es Werke, die Sie für gelungen halten? In Nicholson Bakers Roman «Die Fermate» gibt es eine grossartige Sexszene im Tulpenbeet. Sie ist so genial, weil sie in Erregungsschüben geschrieben ist; der Autor setzt immer noch einen drauf, bis zum fantastischen Höhepunkt. Ich finde auch Marquis de Sade nicht schlecht, weil bei ihm das Mechanische gut beschrieben ist. Es wird nicht lange herumgelabert.
Seit dem Hype um «Fifty Shades of Grey» träumen viele Autorinnen davon, einmal einen solchen Weltbestseller zu landen wie die Britin E. L. James. Sie auch? Einen Weltbestseller hätte ich auch schon gerne. Doch irgendwie ist diese ganze S/M-Light-Kultur nicht ganz mein Ding. Ich finde das zu klischeehaft: Konsum macht auf Spanking. Sie kommt sich verrucht vor, und er darf ein bisschen maskulin sein, aber nicht zu sehr. Eine Agentin hat mir gesagt, dass momentan eine Erotik besonders gut läuft, die an die Collegeträume amerikanischer Girls anknüpft.
Warum hat diese Fifty-Shades-Masche so gewaltigen Erfolg? Es ist eine moderne Courths-Mahler-Geschichte. E. L. James und ihre Nachahmerinnen bedienen den alten Kitschtraum vom reichen Prinzen auf dem weissen Pferd, der die Dinge in die Hand nimmt und die Frauen überrascht. Meine Vermutung ist, dass die ganze Zeitgeist-S/M-Welle eine tiefere Ursache hat: Frauen wünschen sich sehr, dass sich Männer beim Sex etwas einfallen lassen. Es geht weniger darum, seine Dominanz auszuleben oder dem anderen Schmerzen zuzufügen, sondern um eine Sehnsucht nach Kreativität. Wir emanzipierten Frauen haben das Problem, dass wir immer alles selbst machen müssen. Ja, das können wir schon; aber es wäre schön, wenn dem Mann zur Abwechslung etwas Originelles einfallen würde. Dieser Herr Grey aus den «Fifty Shades» zeigt ja wenigstens mal Initiative.
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