«Es werden zu viele Bullshit-Jobs kreiert»
Mehr als zwei Drittel der Schweizer sollen laut einer neuen Studie gelangweilt im Job sein. Arbeitspsychologe Felix Frei erklärt die Gründe – und mögliche Lösungen.

Laut einer Studie gehen 74 Prozent der Manager davon aus, dass ihre Mitarbeitenden sich bei der Arbeit langweilen (wir berichteten). Das klingt nach einer ziemlich hohen Zahl – finden Sie das realistisch? Ich halte das nicht für realistisch. Ich höre von Managern oft auch das Gegenteil: Ihre Leute stünden alle unter totalem Leistungsdruck und seien bis an den Rand ausgelastet mit Arbeit.
Und – was stimmt? Ich halte beide Aussagen für taktisch motiviert. Die mit der Langeweile, damit man weiter Druck machen und rationalisieren kann – und die anderen mit der Auslastung sagen es, damit man ihnen nicht sagen kann, dass ihre Teams nicht genügend leisten.
Und wie steht es nun um die Schweizer – langweilen sie sich im Job oder nicht? Ich glaube schon, dass viele Leute immer wieder mal gelangweilt sind. Ich glaube auch, dass es zu viel vorkommt.
Und was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür? Der Anthropologe David Graeber hat den Begriff der sogenannten Bullshit-Jobs geprägt. Und ich glaube, es werden zu viele dieser Bullshit-Jobs kreiert. Also Jobs, die überflüssig sind.
Was sind denn zum Beispiel solche Bullshit-Jobs? Darüber kann man sich streiten. Graeber sagt auch, dass jeder eine andere Sicht haben kann, was solche Bullshit-Jobs sind – auch der des Anthropologen dürfte für einige Leute dazu zählen. Meiner Meinung nach gehören zum Beispiel viele Jobs im Security-Bereich dazu. Wenn etwa Männer im Anzug stundenlang vor einer Uhrenboutique stehen müssen und warten, dass oder ob etwas passiert. Das muss grauenhaft sein. Zudem nimmt das Bedürfnis nach Kontrolle immer weiter zu. Für so viele erwachsene Menschen, die einer Tätigkeit nachgehen, gibt es andere Erwachsene, die ihnen über die Schulter schauen. Auch das sind für mich Bullshit-Jobs. Mit der expandierenden Compliance-Kultur gibt es immer mehr davon.
Als ein Grund wird in der Studie auch mangelnder sozialer Kontakt mit Arbeitskollegen genannt. Aber der steigert die Produktivität ja auch nicht wirklich … Soziale Kontakte im Job sind absolut wichtig. Man spricht in der Arbeitswissenschaft vom jiddischen Begriff Schmoozing. Wenn man miteinander auch mal über Fussball, das Wetter oder die Dinge daheim reden kann, fühlt man sich wohler und erledigt seine Arbeit effektiver. Streicht man die Kontakte, gibt es keinen Effizienz- oder Produktivitätsgewinn. Im Gegenteil.
Die meisten Jobs werden immer noch nach Stunden bezahlt und nicht nach Produktivität – macht das Sinn? Nein, wirklich Sinn macht es nicht. Aber es ist nun mal so, dass wir im Beschäftigungsverhältnis immer noch unsere Zeit verkaufen. Und nicht unsere Leistung.
Warum? Leistung ist leider sehr schwer messbar. Und wenn man nach Leistung misst, kann das auch schnell ausarten. Dinge könnten etwa unter Leistung fallen, die nicht wirklich zum Gesamterfolg beitragen. Wie der Stürmer, der nur selbst Tore schiessen will, aber nie auch mal assistiert. Dann fällt der Gesamterfolg dem individuellen Erfolg zum Opfer.
Wenn Mitarbeitende sich langweilen – wie viel Schuld tragen sie selbst und wie viel der Vorgesetzte? Es sind je 100 Prozent. Denn das sind zwei verschiedene Arten von Verantwortung, die lassen sich auch nicht gegeneinander aufwiegen.
Was sollte man tun, wenn man seine Arbeit zunehmend öde findet? Zuerst sollte man zum Chef gehen und mit ihm reden. Und wenn es schlimm wird, sollte man auch keine Angst haben, ganz zu gehen und sich einen neuen Job zu suchen.
Und was sollten Vorgesetzte tun, wenn sie merken, dass ihre Mitarbeiter sich langweilen? Vorgesetzte sind heute meist viel zu weit weg von ihren Leuten und haben in Tat und Wahrheit keine Ahnung, was diese machen. Sie bilden sich ein, das sei eine lange Leine, eine gute Führung. Aber das ist im Endeffekt eine Beschönigung, weil sie sich schlicht zu wenig für ihre Leute interessieren. Der Vorgesetzte muss über die Arbeitsorganisation nachdenken. Oft ist es ja so, dass die einen sich langweilen und die anderen zu viel zu tun haben.
Was ist das Geheimnis der Leute, die sich jeden Tag auf ihre Arbeit freuen? Das kann ich mit einem Wort beantworten: Sinn. Das ist nicht etwas, das in der Arbeit steckt, sondern etwas, das ich für mich entworfen habe. Das ist eine subjektive Sache, die man sich selber schaffen muss, um sich zu motivieren. Aber klar – jemandem, der im Kindergarten arbeitet, fällt das vielleicht leichter als jemandem, der in der Uhrenboutique an der Tür steht.
Ganz ehrlich: Sind Sie selbst auch manchmal gelangweilt im Büro? Nein! Aber das liegt daran, dass ich selbstständig bin. Ich muss nie eine Minute absitzen, und wenn ich etwas erledigt habe, dann kann ich danach schwimmen oder laufen gehen. Klar kenne ich auch Langeweile, nur einfach nicht im Büro. Gelegentliche Langeweile ist auch nichts Schlimmes, sie gehört zum Leben und ist Teil der Fähigkeit, Musse zu pflegen. Man kann ja auch nicht nur aus- oder einatmen. Für einen guten Rhythmus braucht es beides. Lernen kann man das nur in guter, verantwortungsbasierter Arbeit.
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