Europa als Atom-Supermacht?
Polens Jaroslaw Kaczynski plädiert für eine atomare Aufrüstung Europas. Wenn auf die USA kein Verlass sei, brauche es ein neues Gegengewicht zu Russland.

US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf und noch kurz vor seinem Amtsantritt die Nato als obsolet bezeichnet – und damit grosse Verunsicherung in Europa ausgelöst. Inzwischen tönt es wieder anders. «Wir unterstützen die Nato nachhaltig», sagte Trump am Montag in einer Rede vor dem US-Zentralkommando auf dem Luftwaffenstützpunkt MacDill in Florida. Trump, der Ende Mai zu einem Nato-Gipfel in Brüssel kommt, bleibt trotzdem ein Unsicherheitsfaktor für die europäischen Verbündeten. Auch in der Verteidigungspolitik veranlasst Trump die Europäer, «das Undenkbare zu denken», wie die «Financial Times» schreibt.
Die EU müsste «zu gewaltigen Ausgaben bereit sein»
Ein Spitzenpolitiker, der laut über eine atomare Aufrüstung der EU denkt, ist Jaroslaw Kaczynski. Der frühere Ministerpräsident Polens ist heute Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PIS). Obwohl er kein Staatsamt mehr innehat, gilt Kaczynski als der starke Mann seines Landes. Er begrüsse die Idee einer atomaren «Supermacht Europa», sagte Kaczynski in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ). Der Krieg in der Ukraine habe die Lage dramatisch verändert. Polen betrachtet Russland als zunehmende Bedrohung. Russland hat kürzlich in seiner Enklave Kaliningrad, also an der Grenze zur Nato und EU, atomwaffenfähige Iskander-Raketen stationiert.
Mit Blick auf die Spannungen zwischen West und Ost müsste die EU für eine eigene Nuklearstrategie «zu gewaltigen Ausgaben bereit sein», was Kaczynski aber als unrealistisch betrachtet. «Eine eigene Atommacht müsste mit Russland mithalten können.» Kaczynski glaubt selber nicht wirklich an die Realisierbarkeit einer Atom-Supermacht Europa. Eine solche Idee stösst auch auf andere grosse Hindernisse.
«Wir brauchen keine zusätzlichen Nuklearmächte in Europa»
Wolfgang Ischinger, Chef der bedeutenden Münchner Sicherheitskonferenz, sagte in einem Bericht von SRF News, dass in Deutschland, aber nicht nur dort, die öffentliche Meinung mehrheitlich eine europäische Atombombe entschieden ablehnt. Erst recht nicht infrage kommt eine «deutsche Bombe». Ausserdem setzten sich zahlreiche europäische Länder in der UNO dafür ein, dass Atombomben grundsätzlich verboten würden, betont Ischinger. Dazu kommt, dass es gemäss dem internationalen Atomsperrvertrag nur fünf legitime Atommächte gibt: die USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich.
«Wir brauchen keine zusätzlichen Nuklearmächte in Europa», meint auch Roderich Kiesewetter, aussenpolitischer Sprecher der CDU im deutschen Bundestag. Falls der atomare Schutzschild der USA wegfallen sollte, braucht die EU einen eigenen nuklearen Abschreckungsplan, wie Kiesewetter kurz nach der Trump-Wahl in den USA der Nachrichtenagentur Reuters erklärte.
Französisch-britischer Schutzschild für EU
Eine entscheidende Rolle würden dann die Atomwaffen besitzenden Länder Frankreich und Grossbritannien spielen. Die Briten verfügen über rund 160 Atomsprengköpfe, die Franzosen haben knapp 300 Atomsprengköpfe. Im Vergleich zu den USA sind das aber sehr bescheidene Atomwaffenarsenale. Ein französisch-britischer atomarer Schutzschild wäre sehr teuer, wie Kiesewetter einräumt. Die Finanzierung würde über ein Verteidigungsbudget der EU erfolgen, an dem vor allem Deutschland einen substanziellen Beitrag leisten müsste. Es bleibt aber eine offene Frage, inwiefern sich Paris und London bei ihren Nuklearwaffen dreinreden lassen wollen.
Die Idee einer Atom-Supermacht Europa sei absurd und es gebe es keine ernsthafte Diskussion darüber, sagt Stephan Israel, Korrespondent von Redaktion Tamedia in Brüssel. «Wenn man sieht, wie schwer es die EU-Staaten haben, in militärischen Dingen überhaupt zusammenzuarbeiten, erscheint diese Idee so oder so abstrus.»
Video - 1945 explodierte beim sogenannten Trinity-Test die erste Atombombe:
Bildstrecke - Graus und Verblendung mit der Atombombe:
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch