
Nordirland und Katalonien sind wunderbare Gegenden – politisch komplex, kulturell reich, landschaftlich reizvoll. Trotzdem würde man nun gern weniger hören von ihnen.
Um beide Orte wird ohne Not gestritten. Katalonien genoss in Spanien ein solides Mass an Autonomie, von Unterdrückung kann keine Rede sein. Den regierenden Nationalisten war das zu wenig, sie lancierten eine Unabhängigkeitsabstimmung – und Madrid liess sich provozieren. Hätte Spaniens Premier einfach nichts gemacht, die Volksbefragung als unverbindlich abgetan, es wäre nichts geschehen, es hätte niemanden interessiert. Erst die rabiate Verhinderung des Urnengangs legitimierte die Separatisten. Kein EU-Staat kann und sollte damit durchkommen, unbewaffnete Pensionäre vor Stimmlokalen niederzuknüppeln. Dass die Nationalisten diese Bilder ausgeschlachtet haben, ändert nichts.
Nordirland war nie richtig befriedet, Belfast bleibt eine geteilte Stadt voller Zäune. Trotzdem ist offene Gewalt seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 auf dem Rückzug. Wichtig dafür ist die offene Grenze zu Irland; der irische Aussenminister nennt es «heilenden Handel». Nordirland ist auf Kurs. Nun aber soll aus der Nichtgrenze eine EU-Aussengrenze werden, was den Friedensprozess gefährdet. Plötzlich ist Nordirland zentral in den Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London. Dass die EU mit Irland auf einer Lösung beharrt, empfinden die Brexiteure als lästig und frech. «Halt die Schnauze und werd erwachsen», riet die «Sun» Irlands Premier Leo Varadkar. Die anglo-irische Freundschaft scheint verhandelbar.
Nicht die Sklavenhalter bezahlen
Keine Frage: Für den nordirischen Milchbauern und die katalanische Politikerin geht es um alles. Für den europäischen Kontinent aber ist es eher ärgerlich, dass er sich Ende 2017 mit regionalen Krisen plagen muss, die noch vor Monaten keine zu sein schienen. Europa hätte Besseres zu tun.
Zum Beispiel: Aussenpolitik. Wenn weltweit die Autokraten tanzen, braucht es ein starkes Europa, das einig spricht – gegen Todesstrafe, für die Genfer Konventionen, für den Rechtsstaat. Das fängt auf dem eigenen Kontinent an: Letzte Woche war China Gast in Budapest, am Treffen der Gruppe «16+1». Peking verfolgt mit der «One Belt, One Road»-Strategie eine Neubelebung der Seidenstrasse, verspricht den Staaten Ost- und Mitteleuropas Investitionen in die Infrastruktur. Im Gegenzug erwartet Peking Zurückhaltung, wenn es um Chinas Seerechte und Menschenrechtsbilanz geht. «China investiert in Europas Spaltung», kommentiert der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Die demokratiemüden Regierungen Ungarns und Polens scheinen empfänglich für autoritäre Avancen. Europa muss hier dagegenhalten, und das geht auch die Schweiz etwas an, die per Ostmilliarde in der Region mitbezahlt.
Zweitens: Migration. Europa wird, da sind sich eigentlich alle einig, direkter in den Staaten Afrikas tätig werden müssen, um das Ertrinken im Meer zu stoppen. Damit kann nicht gemeint sein, dass wir in Libyen Milizen und Lagerbetreiber dafür bezahlen, die Menschen von Europa fernzuhalten. Mittelfristig muss der Auswanderungsdruck an sich gemindert werden. Ob es für Afrika einen Marshallplan mit Sonderwirtschaftszonen geben kann wie für Europa nach 1945, und ob so ein Engagement für Europa möglich wäre, ohne erneut als Kolonialmacht aufzutreten, das sind unangenehme, aber drängende Fragen.
Drittens: Europa muss militärisch zusammenfinden. Es kann nicht länger darauf vertrauen, dass die USA zu Hilfe eilen, wenn in Ankara, Moskau oder Teheran jemand durchdreht. «Wir Europäer müssen das Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen», erkannte die deutsche Kanzlerin im Mai. 23 der 28 EU-Staaten (alle ausser Grossbritannien, Irland, Dänemark, Malta und Portugal) haben letzten Monat das Bündnis Pesco begründet. Geplant ist eine vertiefte militärische Kooperation gegen Terrorismus, Cyberattacken und weitere Bedrohungen. Mitte Dezember sollen erste Beschlüsse gefasst werden, doch der Weg bleibt weit, die Waffensysteme und Armeekulturen der EU-Länder sind sehr verschieden. Offen ist auch, wie neutrale (Irland) oder zugewandte Staaten (die Schweiz) mittun können. Auch sie profitieren von einem Europa, das sich selber schützen kann.
All das beschäftigt Europa wirklich. Die Probleme der inneririschen Grenze und des katalanischen Selbstbestimmungsgrads sollten nicht den Blick darauf verstellen.
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Europa hätte Besseres zu tun
Wie gelingt die EU-Armee? Braucht Afrika einen Marshallplan? Kommt China Osteuropa zu nahe? Das wären Fragen für Europa. Doch wir reden über Nordirland und Katalonien.