Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Europa könnte viel von der Türkei lernen»

Die türkische Journalistin und Schriftstellerin Ece Temelkuran

Frau Temelkuran, die Türkei ist seit dem Referendum im April wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Wie ist das zu erklären?

Ihr Schriftstellerkollege Orhan Pamuk hat jüngst appelliert, die türkischen Demokraten nicht im Stich zu lassen. Wie stark ist die Gefahr für sie?

Sie sprechen den Populismus an?

In Ihrem Türkei-Essayband kamen Sie vor zwei Jahren noch zu einem optimistischen Fazit: Das Land stehe vor der «kurdischen Dekade». Von Politikern wie Selahattin Demirtas werde man noch viel hören.

In Ihrer Kolumne in der «WochenZeitung» hielten Sie aber fest, dass die Opposition seit dem Referendum wisse, dass sie in der Mehrheit sei.

Pamuk hofft auf die neue Mittelklasse, die eine Ein-Mann-Herrschaft nicht akzeptieren werde. Sie haben da eine andere Einschätzung.

Im Westen galt die Türkei lange als demokratisches Vorzeigemodell für andere muslimische Länder. Erdogan hat einst auch eine Aussöhnung mit den Kurden angestrebt. Sie haben nie daran geglaubt?

Erdogan hatte sein wahres Gesicht nie verborgen.

Wann hat Erdogan denn sein wahres Gesicht gezeigt? Bei der Wiederholung der Wahlen im Herbst 2015 oder bereits beim Abbruch der Aussöhnung mit den Kurden?

Bereits im Jahr 2007 haben Sie einen Artikel über die Opposition mit dem Titel «Wir sind in diesem Land nur noch die Beilage» versehen.

Warum haben Sie nie an die Versöhnung mit den Kurden geglaubt?

Sie verloren Ihren Job als Journalistin Ende 2011, weil sie einen Artikel über die Bombardierung von Kindern durch die türkische Luftwaffe verfasst hatten. Haben Sie damals mit Ihrer Entlassung gerechnet?

«Leute wie ich schrieben stets auf Messers Schneide.»

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Sie nach der Entlassung zum «ersten Opfer türkischer Lynchjustiz in der digitalen Welt» geworden sind.

Sie beschreiben in Ihrem Buch einen extremen Wandel der Mentalität in der Türkei – zu einer Gesellschaft des Hasses und der Missgunst.

Aber Sie beschreiben nicht bloss eine unglückliche Gesellschaft, sondern auch eine hasserfüllte.

Ist diese Atmosphäre mit ein Grund dafür, dass Sie das Land verlassen haben?

In Ihrem Roman «Stumme Schwäne» sagt eine exilierte türkische Lehrerin: «Wegzugehen macht einen zu einem Waisenkind. Man wartet darauf, dass die Heimat einen zurückruft wie einen treuen Hund.»

Warten Sie auf diesen Rückruf?

Sie haben in einer Kolumne geschrieben, Sie hätten sich von der Alltagsrealität zurückgezogen und seien in die Literatur geflohen.

Sie schrieben, dass die Literatur in einer Gesellschaft der Propaganda dazu diene, die Schönheit der Welt für kommende Generationen zu bewahren. Das klingt nach Flucht.

Sie wollen mit den Mitteln der Literatur diesen Verhältnissen etwas entgegensetzen?

Im erwähnten Roman gibt es zwar Schönheit, aber auch viel Brutalität. So wird etwa beschrieben, wie es vor dem Militärputsch von 1980 eine Art Bürgerkrieg gegeben hatte.

Im Roman thematisieren Sie auch die Liquidation eines Teils der Linken vor und nach dem Putsch von 1980.

Wieso hätte die Armee letzten Sommer denn noch putschen sollen?