Single-Dasein in JapanExpertin für einsames Sterben
Die japanische Reinigungskraft Kojima Miyu stellt Zimmer nach, in denen Menschen allein gestorben sind. Das hat sie zu einer anerkannten Künstlerin gemacht.

Foto: PD
Die junge Japanerin Kojima Miyu hat aus ihrem traurigen Job Kunst gemacht. Nun rückt sie ins nationale und internationale Rampenlicht, denn Kojima Miyu ist eine Spezialistin für Einsamkeit. Und Japan hat neuerdings einen Einsamkeitsminister, was es sonst nur in Grossbritannien gibt.
Offiziell heisst der japanische Einsamkeitsminister natürlich nicht so, sondern: «Minister zur Förderung der dynamischen Beteiligung aller Bürger». Aber seine Aufgabe ist es, gegen Vereinzelung, Depression und Suizid zu kämpfen. Corona erschwert diese Herausforderung zusätzlich. 2020 haben die Suizide in Japan zum ersten Mal seit 11 Jahren wieder zugenommen, bei den Frauen resultierte ein Anstieg um fast 15 Prozent.
Die Einsamsten der Welt – japanische Männer in mittleren Jahren.
Im Jahr 2040 werden laut einer Studie 40 Prozent der japanischen Haushalte aus einer einzigen Person bestehen. Es gibt ein japanisches Buch mit dem Titel: «Die Einsamsten der Welt – japanische Männer in mittleren Jahren». Darin steht etwa, dass viele Restaurants Einzeltische anbieten, mit einem einzelnen Stuhl und schöner Aussicht, aber weit entfernt von den Tischen, an denen Familien und Freundesrunden sitzen.
Oder dass viele Japaner die Einsamkeit als Schicksal betrachten, das man stoisch ertragen müsse wie eine chronische Krankheit.
Fotos wären zu makaber
Kojima Miyu ist vor allem Expertin für einsames Sterben, für Leute, die allein in ihren eigenen vier Wänden die letzte Reise antreten und oft tage-, wochen-, ja monatelang unentdeckt bleiben. Dafür gibt es im Japanischen einen eigenen Ausdruck, «kodokushi».
Kojima arbeitet in einem Reinigungsunternehmen, das sich auf solche Fälle spezialisiert hat: Wohnungen mit unvorstellbarem Durcheinander, übersät mit Abfall. Winzige Zimmer mit einer halb verwesten Leiche darin, Körperflüssigkeiten, Würmer, Gestank.
Um Hausverwaltungen oder Vermietern zu veranschaulichen, warum nur Expertinnen wie Kojima solche Wohnungen wieder sauber kriegen, bräuchte es eigentlich Fotos. Aber die wären zu makaber, zu eklig. Also kam die 29-Jährige auf die Idee, die Szenerien, denen sie jährlich rund 150-mal begegnet, in detailreichen Modellen nachzubilden, genannt Dioramen.
Die Zeit steht still
Auf den ersten Blick wirken sie wie Puppenstuben, in Wirklichkeit sind es Illustrationen einsamer Verzweiflung. Kleider, Essensreste, Dosen, Abfall, blutverschmierte Matratzen, aber alles en miniature.


Zum ersten Mal zeigte Kojima ihre Werke vor einigen Jahren an einer Messe für Särge, Grabsteine und Begräbnisse. Der Erfolg war überwältigend. Fotos der Dioramen begannen in sozialen Medien zu zirkulieren und wurden als Kunstwerke gewürdigt. 2019 entstand daraus ein Buch mit dem Titel: «Das Zimmer, in dem die Zeit stillsteht». Es wurde bereits drei-mal neu aufgelegt.
In einer englischsprachigen japanischen Fernsehsendung erzählt Kojima, ihr gewalttätiger, trunksüchtiger Vater sei nach der Scheidung von ihrer Mutter ebenfalls einsam gestorben. Sie frage sich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn trotz allem manchmal zu besuchen.

«Mein Werk fordert die Menschen auf, Kontakte mit Freunden und Verwandten lebendig zu erhalten», sagt Kojima. Auf die Frage, woran sie denke, wenn sie ein vermülltes Todeszimmer nachbilde, antwortet sie: «An nichts. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit.»
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Die Kunst ist es Dinge zu vermarkten, nicht sie zu machen.