
Manchmal bedarf es eines besonderen Ereignisses, eines Kristallisationspunkts, um der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, was sie ohnehin schon geahnt hat. Vor zehn Jahren, im September 2008, war dies der Lehman-Moment: Schon vor der Pleite der amerikanischen Investmentbank war vielen klar, dass die Liberalisierung der Finanzmärkte und der ungezügelte Kapitalismus zu weit gegangen waren; aber die Politik griff nicht ein, solange alles gut lief.
Und heute, im Frühjahr 2018, ist es der Facebook-Moment: Schon vor dem Datenskandal war vielen klar, dass die Sammelwut der Internetkonzerne und deren ungezügelter Digital-Kapitalismus zu weit geht; aber die Politik liess sie gewähren, weil alle an der digitalen Revolution teilhaben wollten.
Nun aber, nach dem Skandal um Facebook, dreht sich die Debatte ähnlich wie vor einem Jahrzehnt, als die Wall Street zusammenbrach: Die Politiker erkennen, dass sie endlich handeln müssen, auch weil die empörte Öffentlichkeit dies von ihnen fordert; und sie tun das plötzlich mit Verve – nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Dort zitiert der Kongress den Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, vor einen Ausschuss, ähnlich wie damals Richard Fuld, den Chef von Lehman Brothers. Auch der Bundestag verlangt nach Auskunft, Sheryl Sandberg, die Nummer zwei bei Facebook, soll erklären, wie es zum millionenfachen Missbrauch von Daten kommen konnte.
Internetkonzerne dürfen nicht «too big to fail» sein
Aber die Politik will nicht bloss Antworten, sondern sie erkennt mit einem Mal, dass sie dem zügellosen Treiben der Internetkonzerne Grenzen setzen muss – und dies auch kann: beim Schutz der Daten und Privatsphäre vor allem, aber auch bei der Frage, welche Geschäftsmodelle eigentlich erlaubt werden sollen, welche Marktmacht die Internetunternehmen haben dürfen; und auch Steuern lassen sich eintreiben, wenn man nur will.
Nach dem Lehman-Moment wurde der Handel mit riskanten Finanzprodukten eingeschränkt, nach dem Facebook-Moment muss der Handel mit Daten begrenzt werden. Nach der Finanzkrise, die auf Lehman folgte, wurden die Rechte der einzelnen Anleger gestärkt, nun müssen die Rechte der einzelnen Internetnutzer verbessert werden. Und so wie damals gefordert wurde, dass eine Bank nicht «too big to fail» sein darf (zu gross, um sie zusammenbrechen zu lassen), so dürfen auch Internetkonzerne nicht «too big to fail» sein: zu voll mit Daten, als dass sie bei deren Schutz versagen dürften.
2008 hat der Lehman-Crash allen die Augen geöffnet
Man muss dabei auch über radikale Massnahmen nachdenken, wie sie etwa Paul-Bernhard Kallen, der Chef des Burda-Verlags, gerade vorgeschlagen hat: Wie wäre es zum Beispiel, die Regeln für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung bei Telekommunikationsdaten auch auf alle Inhalte bei Facebook und Co. zu übertragen? Dann dürften die Internetriesen personenbezogene Daten nur noch maximal 90 Tage speichern; anschliessend müssten sie diese löschen.
Leider könnte es aber noch eine Parallele zum Lehman-Crash geben: So wie damals die Banken gegen die Regulierung gekämpft haben, weil diese angeblich Jobs gefährde, so werden sich auch die Internetkonzerne gegen harte Eingriffe sperren. Die Politik sollte massvoll vorgehen, gewiss, sich aber von rein eigennützigen Warnungen nicht beirren lassen.
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Facebooks Sturz erinnert an die Lehman-Pleite
Der Skandal um missbrauchte Daten zeigt, dass der ungezügelte Digital-Kapitalismus Grenzen braucht. Die Politik muss über radikale Massnahmen nachdenken.