Fall Wila: «Chris D. war der uneingeschränkte Herrscher»
Im Prozess gegen die Freundin eines verurteilten Kinderquälers wurden heute die Plädoyers gehalten. Der Staatsanwalt fordert 16 Jahre, die Verteidigung eine bedingte Freiheitsstrafe für die 27-Jährige.
Am Montagnachmittag hat der Verteidiger sein Plädoyer gehalten, der 27-jährigen Anna B. vor dem Bezirksgericht Pfäffikon ZH im Prozess um tödliche Kindsmisshandlung vertritt. Er fordert eine zweijährige bedingte Freiheitsstrafe wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht sowie wegen fahrlässiger Tötung.
Falls das Gericht zu einem Schuldspruch wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Tötung gelangt, verlangt der Verteidiger als Eventualantrag eine Bestrafung mit maximal drei Jahren, wovon seine Mandantin eines abzusitzen hätte.
Nicht Mittäterin, sondern Gehilfin
Gemäss Verteidigung konnte die Staatsanwaltschaft nicht beweisen, dass die Angeklagte den Tod des Mädchens in Kauf genommen hatte. Hätte sie die Gefährdung erkannt, hätte anders gehandelt. Sie sei nicht Mittäterin, sondern bloss Gehilfin.
Auch sei die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass es sich bei Anna B. und Chris D. um gleichberechtigte Partner handle. Der verurteilte Kinderquäler Chris D. sei jedoch der uneingeschränkte Herrscher gewesen. Er habe keinen Widerspruch geduldet. Anna B. konnte sich nicht dagegen auflehnen.
Die Beschuldigte bereue ihre Tat zutiefst. Auch tue es ihr unendlich leid, dass sie nichts gegen die grausamen Erziehungsmethoden unternommen habe. Sie sei damals sehr jung und vom Chef der sektenartigen Gemeinschaft völlig abhängig gewesen.
Staatsanwalt fordert 16 Jahre
Bereits am Vormittag forderte der Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder 16 Jahre Freiheitsentzug wegen vorsätzlicher Tötung eines kleinen Mädchens und mehrfacher schwerer Körperverletzung.
Als Eventualantrag, falls das Gericht einen fehlenden Tatvorsatz annimmt, wie es die Beschuldigte versichert, verlangt Weder eine Verurteilung wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Tötung mit einem Strafmass von 11 Jahren.
Tod «gleichgültig in Kauf genommen»
Die 27-jährige Angeklagte hatte im Mai 2006 das knapp fünfjährige Kind, für das sie Mutterersatz war, derart geschüttelt, dass es in der darauffolgenden Nacht seinen schweren Schädel-Hirn-Verletzungen erlag. Das Kind war aufgrund der vorangehenden jahrelangen psychischen und physischen Misshandlungen derart geschwächt, dass sein Zustand dem eines zweijährigen Kindes entsprach.
Die heutige Studentin habe angesichts dieser nicht zu übersehenden Gebrechlichkeit um die Gefährlichkeit des Schüttelns gewusst, argumentierte der Ankläger. Sie habe den Tod des Kindes zwar nicht gewollt, aber «gleichgültig in Kauf genommen».
Kein abhängiges, willenloses Wesen
Weder sprach von einem «schweren bis sehr schweren» subjektiven Tatverschulden. Zugunsten der Angeklagten spreche deren – zumindest verbale – Einsicht und Reue und ihr Geständnis. Strafreduzierend wirke sich auch ihre gutachterlich festgestellte leichte Verminderung der Schuldfähigkeit aus.
Die 27-Jährige habe sich aus egoistischen Interessen – nämlich um ihren Freund halten zu können – als «gefühllose Vollstreckerin eines Horrorsystems» der vom Mann angeordneten systematischen Foltermethoden betätigt. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt auszusteigen. «Die Angeklagte war kein abhängiges, willenloses Wesen, das in Hörigkeit gegenüber Chris D. gehandelt hat», so der Staatsanwalt. Als einzige Konsequenz hätte sie dann den Mann verloren. Ihre Behauptung vor Gericht, sie habe sich in der letzten Zeit davon distanziert, sei schlicht gelogen: «Bis zur letzten Minute war sie ins sadistische System integriert».
Jahrelanges Erziehungs-Martyrium
Die Tat ereignete sich in einer sektenartigen Wohngemeinschaft in Wila im Zürcher Oberland. Die junge Frau wohnte dort mit einer heute 63-jährigen Frau, einem heute 45-jährigen Mann und dessen zwei kleinen Töchtern.
Auf Anordnung des Mannes, tatkräftig unterstützt von den beiden Frauen, durchlitten die Mädchen ein jahrelanges Erziehungs-Martyrium, das sie in ein «gottgefälliges Verhalten» zwingen sollte. Die seelischen und körperlichen Misshandlungen und Demütigungen gipfelten in der tödlichen Schüttelattacke.
Das überlebende Kind lebt seither in einer Pflegefamilie. Der Mann und die ältere Frau wurden im vergangenen Dezember vom Zürcher Geschworenengericht der mehrfachen schweren Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Mann erhielt eine Freiheitsstrafe von 9,5 Jahren, die Frau von 7 Jahren. Die Strafen sind noch nicht rechtskräftig.
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