Falsche Zahlen – Heiratsstrafe soll nochmals vors Volk
Die wichtigste Zahl zur CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe war kreuzfalsch. Jetzt liebäugelt die Partei mit einer Wiederholung der Abstimmung.

Die Zahl stand gleich im ersten Satz des Abstimmungsbüchleins: 80'000. So wenige Doppelverdiener-Ehepaare sind bei der Bundessteuer von der sogenannten Heiratsstrafe betroffen. Dies behauptete zumindest der Bundesrat vor der Abstimmung über die CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe im Februar 2016. Mittlerweile weiss man, dass die Zahl falsch ist. Statt 80'000 sind 454'000 Paare betroffen. Die Steuerverwaltung hat sich um gut das Fünffache vertan. Dies hat der Bundesrat am Freitagnachmittag überraschend mitgeteilt.
In der CVP regt man sich fürchterlich auf. Die Partei sieht sich um einen grossen Abstimmungssieg betrogen. In der Tat ist sie 2016 nur knapp gescheitert, 49,2 Prozent hatten für ihre Initiative gestimmt. Naheliegend, dass Exponenten der Partei nun finden, wenn das wahre Ausmass des Problems bekannt gewesen wäre, hätte es für einen Sieg gereicht. CVP-Präsident Gerhard Pfister schimpfte auf Twitter über die «Dyskalkulie der Steuerverwaltung» und den «bundesrätlichen Betrug am Volk».
Höhere Hürden für Homo-Ehe
Pfister hat nicht vor, die Sache einfach so auf sich beruhen zu lassen. Die Parteispitze erwägt ernsthaft, schon heute Montag eine Abstimmungsbeschwerde einzureichen, wie Pfister gestern sagte. Der Entscheid sei nicht definitiv, da noch Abklärungen notwendig seien. «Aber meine Absicht ist, eine Beschwerde einzureichen», so Pfister. Das Bundesgericht soll überprüfen, ob die Abstimmung korrekt war, obwohl der Bundesrat die Bürger in einem zentralen Punkt falsch informiert hatte.
Die zu tiefe Zahl tauchte damals nicht nur in den Unterlagen auf, sondern auch im Abstimmungskampf war oft zu hören, die Heiratsstrafe treffe nur eine kleine Minderheit. Die neuen Zahlen zeichnen ein ganz anderes Bild: Demnach ist die Mehrheit der total 800 000 Doppelverdienerpaare von der Heiratsstrafe betroffen. Sie bezahlen mindestens 10 Prozent mehr Bundessteuern als ein gleich situiertes, unverheiratetes Paar.
Verlangt die CVP nun eine Wiederholung der Abstimmung? Es sei Sache des Bundesgerichts, dies zu entscheiden, hält sich Pfister zurück. Aber natürlich würde sich seine Partei über eine zweite Chance freuen. Auf den ersten Blick sind ihre Chancen nicht gut. Diesen Schluss legt der letzte ähnliche Fall nahe. Damals ging es um die Unternehmenssteuerreform II, die an der Urne 2008 knapp angenommen wurde. Weil sie viel grössere Steuerausfälle bewirkte als angekündigt, reichten SP-Vertreter 2011 Beschwerden ein.
Das Bundesgericht gab ihnen inhaltlich recht und übte harte Kritik am Bundesrat, der dem Volk keine korrekte Meinungsbildung ermöglicht habe. Trotzdem verzichteten die Richter darauf, die Abstimmung wiederholen zu lassen. Dies begründeten sie primär mit dem Hinweis auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz. Da sich viele Firmen bereits auf das neue Steuerrecht eingestellt hatten, wollten die Richter das Rad nicht zurückdrehen.
«Rein praktisch ist eine Wiederholung problemlos möglich.»
Dieses Problem stellt sich jedoch bei der Heiratsstrafe in keiner Weise. Daher scheinen die Chancen der CVP auf den zweiten Blick gar nicht mehr so schlecht. «Rein praktisch ist eine Wiederholung problemlos möglich», sagt Pfister. Der Staatsrechtler Rainer J. Schweizer pflichtet ihm bei: «Da wichtige Informationen offenkundig falsch oder gar irreführend waren, ist eine Beschwerde sicher nicht aussichtslos.» Der Professor hält auch eine Wiederholung für möglich. Durch die erste Abstimmung sei nichts entschieden worden, das sich nicht mehr rückgängig machen liesse.
Video – Maurers Vorschlag zur Abschaffung der Heiratsstrafe
Inzwischen hat der Bundesrat eine eigene Vorlage zur Abschaffung der Heiratsstrafe beschlossen. Sie ist jedoch kompatibel mit der CVP-Initiative und könnte auch umgesetzt werden, wenn diese in einer zweiten Abstimmung eine Mehrheit fände. Schwieriger würde es hingegen für die «Ehe für alle», weil die CVP in ihrem Initiativtext die Ehe als Verbindung von Mann und Frau definiert hat. Um sie für homosexuelle Paare zu öffnen, wäre eine Verfassungsänderung und somit eine Abstimmung – inklusive Ständemehr – zwingend.
Dem Bundesrat scheint die Sache nicht mehr ganz geheuer zu sein. Finanzminister Ueli Maurer (SVP) hat angeordnet, dass die Schätzmethoden seiner Steuerverwaltung von externen Fachleuten überprüft werden. Das kann man als Misstrauensvotum auffassen. Jedenfalls hat die Steuerverwaltung laut ihrem Sprecher nicht selber um eine externe Zweitmeinung gebeten.
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