Fata Morgana in der Nase
Erstaunlich viele Menschen nehmen Phantomgerüche wahr. Wissenschaftler erforschen das Ausmass und die Ursachen der Sinneshalluzinationen.

Plötzlich riecht es so seltsam. Irgendwie verbrannt oder verdorben. Oder sind das Chemikalien? Ziemlich irritierend ist das, denn eine Ursache des unangenehmen Geruchs lässt sich partout nicht finden. Und die Mitmenschen riechen überhaupt nichts – dabei stinkt es hier doch gewaltig. Sollte man sich diesen Gestank wirklich nur einbilden?
So aussergewöhnlich ist das Phänomen der Geruchshalluzinationen gar nicht. Etwa jeder fünfzehnte Erwachsene nimmt Düfte und Gerüche wahr, für die sich auch nach akribischer Quellensuche keine Ursache finden lässt und die daher als nicht existent gelten müssen. Mithilfe einer landesweiten Erhebung haben Ärzte aus den USA nun das Ausmass und die Formen dieser Phantomgerüche erforscht. Im Fachblatt «Jama Otolaryngology – Head & Neck Surgery» stellen sie ihre Ergebnisse vor.
Das Team um Kathleen Bainbridge von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA (NIH) hat Daten von mehr als 7400 Erwachsenen über 40 Jahren analysiert. Dabei zeigte sich, dass 6,5 Prozent der Teilnehmer gelegentlich Phantomgerüche wahrnehmen. Frauen klagten häufiger über die nicht vorhandenen Gerüche als Männer; in der aktuellen Studie machten sie mehr als zwei Drittel der Betroffenen aus. Im Alter zwischen 40 und 60 Jahren ist es besonders schlimm. In dieser Phase erleben etwa 10 Prozent der Frauen gelegentlich die unangenehmen Empfindungen, Männer dieser Altersgruppe kennen das Phänomen nicht mal halb so oft.
Übererregte Nervenzellen
Betroffene können sich damit trösten, dass mit zunehmendem Alter die falschen Geruchswahrnehmungen nachlassen. Jenseits der 60 haben nur noch 7,5 Prozent der Frauen damit zu tun, von 70 an nur noch 5,5 Prozent. Dass die Geruchsempfindlichkeit wie auch olfaktorische Halluzinationen im Alter nachlassen, hat mit dem schleichenden Verlust an Geruchsnerven, ihrer nachlassenden Funktion und einer generell verringerten Sinneswahrnehmung zu tun.
«Probleme mit dem Geruchssinn werden oft übersehen, obwohl sie so wichtig sind», sagt die Forscherin Judith Cooper. «Sie können sich auf den Appetit wie auf Nahrungsvorlieben auswirken und ausserdem die Fähigkeit beeinträchtigen, Gefahrensignale wie den Geruch von Feuer, Gas oder verdorbenem Essen wahrzunehmen.»
Der genaue Grund für olfaktorische Halluzinationen, wie die Phantomgerüche auch genannt werden, ist allerdings noch unklar. Vermutlich sind jene Nerven, die Gerüche zum Gehirn weiterleiten, leicht zu irritieren oder senden Fehlsignale. Mitunter sind sie auch gestört oder beschädigt. Dazu passt, dass Phantomgerüche häufiger nach Schädel-Hirn-Verletzungen, Bewusstlosigkeit oder chronischen Entzündungen im Kopfbereich vorkommen. «Es kann auch an überaktiven Sinneszellen in der Nasenhöhle liegen – oder an einer Fehlfunktion in jener Hirnregion, in der die Nervensignale verarbeitet werden», sagt Bainbridge. «Wir haben das Phänomen auf einer grösseren Datenbasis beschrieben.» Bisherige Analysen beschränkten sich auf Einzelfallberichte oder begrenzte Altersgruppen.
Die Fähigkeit mancher Menschen, ihre Sinne gekoppelt wahrzunehmen, hat ebenfalls mit einer Übererregung der entsprechenden Hirnzentren zu tun. Synästhetiker nehmen Geräusche als Farben oder Geschmäcker als Formen wahr. «Der Geschmack meines Essens hat nicht genügend Punkte, sondern ist eher kugelförmig», soll ein Betroffener in einem berühmt gewordenen Fall gesagt haben. Für andere hört sich das Geräusch der Dusche «gelb» und ein Regenschauer «grünbraun» an, oder Buchstaben sind in Gedanken farbig und nehmen eine Position im Raum ein.
Ob eine Übererregbarkeit oder schlicht fehlgeleitete Signale die Geruchshalluzinationen auslösen, ist noch ungewiss. Dass und warum Frauen generell empfindlicher auf Gerüche reagieren und deshalb auch häufiger Phantomgerüche erschnuppern, beschäftigt allerdings nicht nur lang gediente Partnerschaften, sondern auch die Wissenschaft.
Männer finden sich damit ab
«Frauen sind besser darin,Gerüche zu benennen, und sie stören sich mehr an den Gerüchen ihrer Umgebung», schreiben David Hsu und Jeffrey Suh von der University of California in Los Angeles in einem begleitenden Kommentar: «Zu ihrer grösseren Empfindlichkeit für Gerüche kommt ihre niedrigere Schwelle, sich über unangenehme Gerüche zu beschweren.» Wenn Männer anstrengende Düfte überhaupt wahrnehmen, scheinen sie sich eher stoisch damit abzufinden, statt nach frischer Luft oder einem Deo zu verlangen.
Kein Wunder, dass besonders geruchssensible Männer wie etwa der von Al Pacino gespielte Frank Slade in «Der Duft der Frauen» oder Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Roman «Das Parfum» eine grosse Faszination ausüben – erst recht, wenn sie wie die beiden Roman- und Filmhelden keinen oder einen betörenden Eigengeruch aufweisen.
Phantomgerüche werden hingegen selten als verführerisch, sondern typischerweise als unangenehm beschrieben und mit Begriffen wie «faul», «verdorben» oder «chemisch» charakterisiert. «Patienten, die besonders starke Phantomgerüche wahrnehmen, haben oft eine schlechte Lebensqualität, ihnen wird das Essen vermiest, und sie können kein gesundes Gewicht halten», warnt Geruchsforscher Donald Leopold von der Universität Vermont.
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