FDP lehnt Kindesschutz-Vorlage ab
Die Meldepflicht bei Verdacht auf Kindsmisshandlung soll ausgeweitet werden. SVP und FDP stemmen sich dagegen.

Gegenüber Straftätern will die Bevölkerung durchgreifen. Das hat sie mehrmals gezeigt. 2008 wurde zum Beispiel die Initiative für die «Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten» angenommen. Kurz darauf reichte die Waadtländer SP-Nationalrätin Josiane Aubert eine Motion ein, in der sie eine allgemeine Meldepflicht bei Verdacht auf Missbrauch und Misshandlung von Kindern forderte.
Heute sind nur Personen in amtlicher Tätigkeit dazu verpflichtet – etwa Lehrer, Sozialarbeiter und Polizisten. Man könne nicht nur das Strafrecht verschärfen, sagte Aubert. Auch die Früherkennung müsse verbessert werden. Sie sei eine erprobte «Kampfmassnahme». Ihr Heimatkanton hatte drei Jahre zuvor eine Meldepflicht eingeführt und machte damit gute Erfahrungen.
Doch das Parlament tut sich schwer mit dem Anliegen. Nicht nur die SVP wehrt sich dagegen, sondern auch die FDP. Die Freisinnigen werden für Nichteintreten stimmen, wenn der Nationalrat am Dienstag zum zweiten Mal über die Vorlage berät. Der Ständerat hat sie gutgeheissen, die Rechtskommission des Nationalrats ebenfalls.
40 Prozent der Opfer unter 6
Der Bundesrat will das Zivilgesetzbuch im Bereich Kindesschutz so ändern, dass künftig alle Personen, die beruflich regelmässig mit Kindern zu tun haben, einen Verdacht melden müssen. Wenn sie Hinweise haben, dass das Kindeswohl gefährdet ist, sollen sie dies der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde melden. Das gilt etwa für Psychologen, Mütterberater und Betreuer einer Kindertagesstätte.
Auf sie zielt die Gesetzesänderung im Besonderen ab: Denn während Lehrer heute einen Verdacht melden müssen, wenn sie etwa glauben, dass ein Kind zu Hause geschlagen wird, gilt dies nicht für das Kita-Betreuungspersonal. Viele der betroffenen Kinder sind aber noch klein und daher weniger geschützt: 40 Prozent sind jünger als 6, 20 Prozent sind jünger als 2 Jahre. Dies besagt die Statistik der Schweizer Spitäler.
Weiter wollen Bundesrat und Ständerat Personen, die heute ans Berufsgeheimnis gebunden sind, von diesem entbinden. Dies betrifft etwa Anwälte oder Ärzte, die damit aber nicht zur Meldung verpflichtet, sondern lediglich berechtigt würden.
«Das heutige Gesetz genügt»
Bemerkenswert ist, dass sich nicht nur die SVP gegen die Vorlage sperrt, die Staatsinterventionen in familiäre Angelegenheiten generell ablehnt, sondern auch die FDP.
«Die heutigen Meldepflichten genügen», sagt der Aargauer Nationalrat Thierry Burkart. Er gehört jener Minderheit der Rechtskommission an, die Nichteintreten beantragt. Die Kantone könnten weitergehende Meldepflichten erlassen, wenn sie wollen, sagt Burkart. Es bedürfe keiner Bundesregelung. Der Tessiner Nationalrat Giovanni Merlini weist darauf hin, dass der Bund im Zivilrecht die Hoheit habe. «Das bedeutet, dass die Kantone keine weitergehenden Gesetze bezüglich Kindesschutz und Meldepflicht erlassen dürften.» Einige Kantone, auch das Tessin, müssten deshalb ihre Gesetze anpassen.
Ausserdem, sagt Merlini, seien die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden heute schon heillos überlastet. Sie wären es noch viel mehr, wenn der Kreis der Meldepflichtigen erweitert würde.
Deutlicher Anstieg von Kindsmisshanldungen
Andere legen den Fokus auf die Kinder. «Ich bitte Sie, überlassen Sie doch nicht ausgerechnet die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die kleinen Kinder, sich selber, wenn sie unseren Schutz am nötigsten haben», sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) während der letzten Nationalratsdebatte. CSP-Nationalrat Karl Vogler versteht die formaljuristischen Bedenken der FDP nicht, wo es doch um die Schwächsten der Gesellschaft gehe.
Die Statistik der Kinderspitäler vermeldete bisher jedes Jahr einen deutlichen Anstieg der Kindsmisshandlungen. Seit Beginn der Buchführung vor acht Jahren haben sich die Fälle auf rund 1500 Fälle pro Jahr verdoppelt. Die Statistik umfasst nur jene, die im Spital behandelt werden.
Immerhin wird der Nationalrat am Dienstag wohl Eintreten beschliessen, da erwartungsgemäss einige FDP-Nationalräte von der Fraktionsmeinung abweichen werden. CVP, SP, Grüne, BDP und Grünliberale befürworten die Gesetzesänderung.
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