Feldzug gegen die «hässlichen Fratzen» der Stadt
«Oisi Stadt, oisi Quartier»: Rund 300 Leute demonstrierten gegen die Aufwertung in Zürich. Überschattet wurden das politische Anliegen durch die Aktionen einiger Hitzköpfe.
Es fühlt sich an wie eine sehr verspätete Sommerparty: Auf dem Röntgenplatz im Kreis 5 versammeln sich am Samstagnachmittag etwas mehr als 300 Leute. Aus den Boxen hallen fröhliche Latinosounds, Bierdosen zischen und bunte Transparente werden angefertigt. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die Anwesenden kein Freudenfest veranstalten, sondern ernsthafte Anliegen verfolgen. Auf einem Flugblatt, das ein Vertreter der Jugendbewegung für den Sozialismus verteilt, steht: «Den öffentlichen Raum zurückerobern – gemeinsam gegen die kapitalistische Stadtaufwertung!»
Dafür sind die Leute heute zusammengekommen: Um gegen die Gesichter der Aufwertung – «diese hässlichen Fratzen der Stadt», wie eine Sprecherin mit Megafon in die Menge ruft – ein Zeichen zu setzen. Aufwertung, steigende Mietpreise, mehr Überwachung im öffentlichen Raum. Das sind in Zürich Dauerbrenner. Jeder hat dazu was zu sagen, weil er oder sie in irgendeiner Art davon betroffen ist. Gewisse Stadtviertel entwickeln sich rasant. Etwa das Gebiet rund um die Langstrasse, wo sich die Bodenpreise in den letzten Jahren beinahe verdoppelt haben. In Zürich West, dem einstigen Arbeiterquartier, in dem das durchschnittliche steuerbare Einkommen mittlerweile höher ist, als am Zürichberg. Es sind rasante Prozesse, die niemandem entgehen – ob er sie nun gutheisst oder kritisiert.
Die Demonstration verlief grösstenteils friedlich.
Entsprechend breit aufgestellt ist der Protestzug: Von der Mutter mit Kinderwagen über Rentnerpärchen bis zum Kunststudenten skandieren sie gemeinsam: «Oisi Stadt, oisi Quartier!» Ein Schlachtruf im Sinne einer «Rückeroberung». Gerichtet an profitorientierte Immobilienfirmen, Banken, Stadtregierung aber auch Start-Ups, die mit ihren «hippen Zwischennutzungskonzepten» die Aufwertung vorantreiben würden, wie es aus dem Megafon donnert. Der Umzug gestaltete sich zunächst als informativer Stadtrundgang entlang ausgewählter Objekte. Da wurde das SBB-Überbauungsprojekt Neugasse ebenso an den Pranger gestellt, wie die Europaallee, wo die Miete einer Drei-Zimmer-Wohnung über 5000 Franken koste. Dutzende Plakate und Transparente werden an den Fassaden angebracht: «Bsetzt's Züri».
Die linke Stadtpolitik, von der am ehesten aufwertungskritische Stimmen zu erwarten ist, hielt sich im Vorfeld zurück. Eine öffentliche Solidarisierung mit der Kundgebung war nicht vernehmbar. Dennoch sind einzelne, politische Vertreter anwesend: «Als Privatperson, weil ich die politische Aussage der Demonstration unterstütze», sagt eine AL-Politikerin, die nicht namentlich genannt werden will. Die öffentliche Zurückhaltung hat einen Grund: der Revolutionäre Aufbau fungiert als Mitorganisator der Demonstration. Die marxistisch-leninistische Organisation, die regelmässig zum gewaltsamen Widerstand aufruft und mit der sich keine Regierungspartei ins Bett legen will. «Gentrifickt euch selber!», lautet am Samstag die unmissverständliche Aussage des Revolutionäre Aufbaus.
Beim Hiltl wird es gehässig
Es sollte nicht bei den Worten bleiben. Beim Restaurant Hiltl an der Langstrasse – einem weiteren «Symbol der Verdrängung» – entlädt sich der Frust einiger Demonstranten. Ein junger Mann greift zur Eisenstange und drescht wie wild auf die Fensterscheibe des Vegi-Lokals ein. Sein emotionaler Ausbruch ist umsonst, die Scheibe hält seinen Schlägen stand. Peinlich berührt ob der gescheiterten Aktion, lässt der Mann die Eisenstange fallen, als kurz darauf die Sicherheitskräfte eintreffen. Dutzende Polizisten in Vollmontur, die sich sogleich schützend um das viel kritisierte Restaurant stellen.
Das ist zugleich der Moment, wo sich einige Demonstranten vom Umzug abwenden: «Mich ärgert es, dass es immer auf diese Weise enden muss», sagt eine junge Frau. Das wichtige politische Anliegen trete durch solche Aktionen in den Hintergrund. Die Demonstration endet wenig später beim Helvetiaplatz im Kreis 4. Die Stadtpolizei teilt auf Anfrage mit, es habe Sprayereien gegeben, einige Scheiben seien zu Bruch gegangen. «Es ist so schade. Am Ende reden alle nur noch über die Gewalt», sagt die Demonstrantin. Ehe sie sich enttäuscht auf den Heimweg macht.
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