Fertig gesäuselt
Auf ihrem neuen Album «Lust for Life» artikuliert Lana Del Rey, die amtierende Königin des Retropop, ihr neues politisches Bewusstsein.

Seit ihrem Debüt mit dem Hit «Video Games» war Lana Del Rey mit einer Kunst erfolgreich, die als unpolitisch gilt. Nämlich damit, das verträumte All-American Girl zu geben: ein weisses Mittelstandsmädchen, das entweder bekifft oder sonst narkotisiert ist und in einer Art permanentem Dämmerzustand leichte Songs über Bluejeans, hübsche Millionäre, Diätlimonade, Flitterwochen in Hollywood und andere Harmlosigkeiten eher säuselt als singt.
Den ersten Hinweis darauf, dass es sich bei dieser Sängerin nicht bloss um eine Bombshell der Retromanie handelt, gab es im Februar, als sie kundtat, sich an einem von oppositionellen Okkultistinnen abgehaltenen, landesweiten Ritual zu beteiligen: Donald Trump sollte während des abnehmenden Sichelmonds zur Mitternacht aus dem Amt gehext werden. Das Ritual wirkte nicht, aber es bereitete auf «Lust for Life» vor, das vierte Album von Lana Del Rey. Es ist ein Album, das ihre politische Erweckung beweist.
Man könnte natürlich fragen: Geht das überhaupt, dass eine Kunstfigur, die Lana Del Rey ja zweifellos ist, ein politisches Bewusstsein entwickelt? Aber hören wir erst mal hin. Da ist der hübsch elegische, mit sanften Paukenschlägen in Schwung gehaltene Eröffnungssong «Love», in dem die 32-Jährige das Jung- und Verliebtsein preist, aber zugleich kleine Irritationen einbaut. So gibt es ein schönes Video zu diesem Lied, das auf Youtube bereits 73 Millionen Mal angesehen wurde: Sorglose Teenager verschiedener Ethnien knutschen nachts in alten Heckflossen-Strassenkreuzern und beobachten die Sterne im Himmel.
Del Rey ist unruhig geworden
Das ist eine doppelte Hollywoodreverenz – einmal an die nächtliche Szene aus «Rebel Without A Cause» (1955), in der James Dean und Natalie Wood vom Griffith-Observatorium hoch über Los Angeles in den Sternenhimmel schauen; und dann an jene Szene aus «La La Land» (2016), in der Ryan Gosling und Emma Stone genau diese Szene an identischer Stelle nachspielen; ein Zitat des Zitats also. Wobei die Tatsache, dass Del Rey in ihrem Musikvideo immerhin ein paar nicht weisse Teenager mitknutschen lässt, darauf hindeutet, dass sie ihre Lehren aus der Diskussion um die Weissheit von «La La Land» gezogen hat.
Und dann scheint Lana Del Rey in der ersten Strophe ihre nostalgietrunkenen Fans auch fast ein wenig zu verspotten, wenn sie sinngemäss singt: «Seht euch doch an, ihr Kinder, die ihr immer nur alte Vintage-Musik hört. Ihr steckt so tief in der Vergangenheit, und doch seid ihr die Zukunft.» These: Lana Del Rey ist unruhig geworden, als ihr klar wurde, dass ihr Act ästhetisch auf genau die Zeit rekurriert, die auch Donald Trump mit seinem Slogan «Make America Great Again» heraufbeschwört. Eine Zeit, in der in vielen Teilen der USA noch immer Segregation herrschte, in der Frauen am Herd zu stehen hatten, in der Homosexuelle im Gefängnis landeten.
Hier zeigte sich das klassische Problem von Retro-Pop-Acts: dass sie Zeiten aufleben lassen, die man sich lieber nicht komplett zurückwünscht, auch wenn man sich an einigen ihrer ästhetischen Ausprägungen gerne labt. Eine Band, die mit diesem Problem immer sehr überzeugend umgegangen ist, sind die New-Wave-Popper The B-52's. Die sangen auf ihren ersten Alben 1979/80 naiv augenzwinkernd über Lavalampen und Teenie-Bopper-Partys. Aber da war eben auch der Kampfbomber im Namen, der anzeigte, dass die alte Zeit insgesamt nicht zur Romantisierung taugt.
Einen neuen Namen, der kritische Distanz zu ihren Sujets und Sounds anzeigt, kann sich Lana Del Rey nun nicht mehr ausdenken. Aber sie tut nun auf «Lust for Life», was sie kann. Zum Beispiel versucht sie, nicht nur hier und da einen Hip-Hop-Beat zu sampeln, so wie sie das sonst gemacht hat, um etwas Frische in ihren Retro-Entwurf zu bringen. Mehr noch will sie diesmal mit afroamerikanischen Künstlern in Dialog kommen: Der Song «Summer Bummer» mit den Rappern A$AP Rocky und Playboi Carti zelebriert das Tragen von Basketball-Schuhen im Sommer, Tätowierungen im Gesicht und das Schwimmen nicht im Wasser, sondern im Geldtresor – nun ja, nicht unbedingt ein Highlight des Albums. Dafür ist der Titelsong, dessen Name wiederum Iggy Pops und David Bowies gleichnamigem Hit von 1977 zitiert, ein sehr gelungenes, in cineastischem Breitwandsound gemischtes Duett mit dem hoch im Falsett lamentierenden R&B-Sänger The Weeknd.
Zitate von Iggy Pop bis Elvis
Und da ist «God Bless America – And All Beautiful Women in It». Ein Westernsong, dessen impliziten Patriotismus Lana Del Rey direkt sabotiert, indem sie den Worten «God Bless America» laute Gewehrsalven folgen lässt. Nach diesem perkussiven Geballer konkretisiert sie dann, wer genau hier eigentlich gesegnet werden soll, nämlich: alle schönen amerikanischen Frauen. Womit Lana Del Rey natürlich nicht sagen will, dass nur gut aussehende Amerikanerinnen der Segnung würdig sind, sondern: Alle Amerikanerinnen sind schön. Es ist ihr feministischstes Statement bislang.
Und dann ist es eben schon sehr faszinierend, wie diese Musikerin sich geradezu obsessiv an alten Vintage-Sounds orientiert. In einem Gespräch mit Courtney Love im Magazin «Dazed» erzählte sie, wie sehr sie bei der Produktion von «Lust for Life» auf das Slap-back-Echo Wert gelegt habe, das beim frühen Elvis häufig erklang. Wie sie diese Audiophilie aber mit einem neuen Blick für die aktuellen Bedrohungen verbindet. Am eindringlichsten gelingt das in «When the World Was at War We Kept Dancing», einem Folksong, in dem sie fragt: «Ist das jetzt das Ende einer Ära, ist das das Ende von Amerika?» Den Jungs empfiehlt sie jedenfalls schon mal vorsorglich: Vergesst nicht euer Spielzeug, wenn ihr in die Fremde fahrt, aber macht dort bitte nicht so viel Unordnung, okay?
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