Feuergrüsse aus Italien
Wer randalierte in Hamburg? Es waren vor allem italienische Anarchisten, die Autos anzündeten, glaubt die Polizei. Verhaftet wurden fast nur Mitläufer.

Vermummte Gestalten rannten frühmorgens durch friedliche Wohnstrassen von Hamburg-Altona. Sie arbeiteten zu dritt, schnell und effizient. Der Erste schlug bei den Autos eine Scheibe ein, die Nachfolgenden warfen Brandfackeln in die Fahrzeuge. Innert Minuten brannten Dutzende Autos, mit Vorliebe teure BMW und Mercedes. Zur Not taten es auch Kleinwagen von Dacia oder Kia.
Was am chaotischen Freitag während des G-20-Gipfels auf den Strassen Hamburgs alles geschah, enthüllt sich erst nach und nach. Recherchen deutscher Medien ergeben mittlerweile ein Bild, das erheblich detaillierter ist als jenes, das man am vergangenen Wochenende als Beobachter vor Ort oder als Zuschauer vor dem Fernseher gewinnen konnte. Zum Beispiel glaubt die Polizei laut der «Zeit» mittlerweile zu wissen, wer die rennenden Brandstifter waren, die am frühen Freitagmorgen derart wüteten: vor allem italienische Anarchisten.
Video: In Hamburg brannten Autos
Die Polizei war von ihrem Angriff überrascht worden. Nach den ersten Ausschreitungen anlässlich der «Welcome to hell»-Demonstration am Donnerstagabend hatten sich viele Autonome über Nacht zurückgezogen. Und zwar in das Camp im Altonaer Volkspark – eines jener Lager, die die Hamburger Behörden ursprünglich hatten verhindern wollen. Von dort aus brachen morgens um sechs auf einmal mehrere Hundert schwarz vermummte Gestalten in die Stadt auf.
Unmissverständliche Warnungen im Vorfeld
Eine Hundertschaft der Polizei, die ihnen den Weg versperrte, wurde sogleich mit Steinen und Böllern angegriffen. Die Polizei nahm etwa 50 Autonome fest, stellte Sturmhauben, Schlagwerkzeuge, Hämmer und Brandfackeln sicher, konnte aber die Gruppen nicht aufhalten. Diese zerstreuten sich in die umliegenden Strassen und begannen ihr gezieltes Zerstörungswerk.
Nach Recherchen der «Zeit» glaubt die Polizei mittlerweile, dass der harte Kern der linksradikalen Gewalttäter von Hamburg vor allem aus dem Ausland kam. Dafür sprächen unter anderem Aussagen von Besitzern geplünderter Läden und der Polizeikräfte. Es sei bei gezielten Angriffen auffällig häufig französisch, italienisch, englisch oder spanisch gesprochen worden. Vor allem im Schanzenviertel wurden auch viele Botschaften von ausländischen Extremisten an Wänden und Fenstern festgestellt. Die deutschen Behörden hatten nach eigenen Angaben im Vorfeld des Gipfels Hunderte von aktenbekannten Linksradikalen an der Einreise gehindert. Viele andere hatten aber offenbar keine Mühe, nach Hamburg zu gelangen.
Italienische, französische und griechische Linksextremisten sind als besonders brutal gefürchtet. In Hamburg wurde bei den Krawallen denn auch eine Gewalttätigkeit und geradezu militärische Disziplin festgestellt, wie man sie von deutschen Autonomen nicht gewohnt sei, so die Polizei. Franzosen und Italiener seien in Hamburg gut vertreten gewesen, nur Griechen habe man wenige gesehen, hiess es bei Autonomen. Viele hätten sich die Reise nach Deutschland wohl nicht leisten können, sagte einer der «Zeit».
Die meisten ausländischen Krawallprofis waren zu geschickt, um sich festnehmen zu lassen.
Nach Recherchen von NDR, WDR und «Süddeutscher Zeitung» hatten deutsche Sicherheitsbehörden im Vorfeld des G-20-Gipfels unmissverständlich vor schweren Ausschreitungen gewarnt. «Aufgrund des urbanen Umfelds und der starken linksextremistischen Szene wird Hamburg die geeignete Bühne für Ausschreitungen gewalttätiger Linksextremisten aus dem In- und Ausland sein», schrieben Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt schon im Frühjahr. Dennoch wurde die Polizei Monate später von der tatsächlichen Militanz überrascht.
Die Polizei nahm während der Gipfeltage 186 mutmassliche Gewalttäter fest, zwei Drittel von ihnen waren Deutsche. Die restlichen stammten aus 13 verschiedenen Ländern. Unter ihnen waren acht Franzosen, sieben Italiener, fünf Schweizer, vier Russen und vier Türken. Die Zahlen scheinen der These zu widersprechen, dass vor allem ausländische Gewalttäter in Hamburg wüteten. Die Polizei hat eine andere Erklärung: Die meisten ausländischen Krawallprofis waren viel zu geschickt, um sich festnehmen zu lassen.
Auf Luftbildern lässt sich beobachten, wie der harte Kern die Front stets verlässt, bevor Polizisten zugreifen können. Ebenso sieht man, wie Randalierer in Sekundenschnelle ihre schwarze Vermummung ablegen und sich unauffällige Kleider überstreifen, die sie in ihren Rucksäcken mitführen. Dann tauchen sie in den Massen der Gaffer unter.
Erstmaliger Einsatz der Anti-Terror-Einheit
Laut «Zeit» geht die Polizei entsprechend davon aus, dass sie vor allem Mitläufer verhaftet hat. Zum Beispiel einen 17-jährigen Gymnasiasten aus einem bürgerlichen Viertel Hamburgs, der sich spontan den Plünderungen im Schanzenviertel angeschlossen hatte und mit einem Sack voller Kleider in der Hand verhaftet wurde.
Überhaupt, so die Polizei, hätten sich zum harten Kern der Autonomen im Laufe des Freitags Hunderte von Hamburger Vorstadtjugendlichen gesellt, die die Gelegenheit benutzten, ihre eigene Wut auszuleben. Diese jungen, meist unpolitischen Männer posierten oft unmaskiert und mit blossem Oberkörper vor brennenden Barrikaden, warfen Flaschen und Steine und liessen sich im Nachhinein relativ leicht identifizieren. Solche Unachtsamkeiten wurden bei den kampferprobten Linksextremisten so gut wie nie beobachtet.
Bilder: Krawalle rund um den G-20-Gipfel
Am Freitagabend herrschte im Schanzenviertel drei Stunden lang Anarchie, ohne dass die Polizei entscheidend eingriff. Autonome hatten sich auf Baugerüsten und Dachfirsten am sogenannten «Schulterblatt» eingerichtet und warteten auf die Polizei, die sie mit Stahlkugeln aus Präzisionszwillen, Molotowcocktails, Gehwegplatten und Eisenstangen von oben attackieren wollten. Bereitschaftspolizisten, die zunächst in die Strasse beordert wurden, verweigerten wegen solcher lebensgefährlicher Hinterhalte offenbar den Befehl.
Da änderte der Einsatzleiter die Taktik. Zum ersten Mal in Deutschland setzte er am Rande einer Demonstration eine Anti-Terror-Einheit ein. Die Kommandos waren vor Ort, weil sie den Gipfel vor Anschlägen schützen sollten. Nun bekamen sie den Auftrag, am Eingang des Schulterblatts gewalttätige Linksextremisten von ihren Plattformen herunterzuholen.
Die Sondereinsatzkommandos stürmten die Häuser mit vorgehaltenen Maschinenpistolen, sprengten Türen auf, verschossen Blendgranaten und überwältigten die Besetzer, die sich nicht zur Wehr setzten. Danach sei die Spitze der Gewalt gebrochen gewesen, sagte einer der Kommandanten der Deutschen Presse-Agentur. Wenig später rückten die Bereitschaftspolizisten ins Viertel vor, um wieder Ordnung herzustellen.
35 Verfahren gegen Polizisten
Laut der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sind von den ursprünglich knapp 200 Festgenommenen mittlerweile rund 50 in Untersuchungshaft überführt worden. Weitere Haftbefehle seien beantragt, die Zahl dürfte also noch steigen. Der Deliktkatalog umfasst schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung.
Eine 50-köpfige Sonderkommission der Hamburger Polizei bemüht sich darum, die Beweise zu ermitteln. Ein 27-jähriger Mann aus Greifswald muss mit einer Anklage wegen versuchten Totschlags oder sogar versuchten Mordes rechnen. Er soll zweimal Helikopterpiloten der Polizei von einer Dachwohnung aus mit einem Laserpointer geblendet haben.
Gleichzeitig laufen derweil nach Recherchen der «Welt» insgesamt 35 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten. Demonstranten und Linksaktivisten hatten in den Tagen nach dem Gipfel zahlreiche Anzeigen wegen angeblicher tätlicher Übergriffe eingereicht. Auch diese Zahl dürfte noch steigen. In 27 Fällen gehe es um Körperverletzung im Amt, 7 Verfahren wurden von Amtes wegen eingeleitet.
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