Firmenschreck und GV-Redner Hermann Struchen ist gestorben
Der Zürcher war die Attraktion jeder Generalversammlung in der Schweiz – selbst wenn er nur das Essen kritisierte.
Einer breiten Öffentlichkeit war Hermann Struchen bekannter als viele Schweizer Firmenchefs mit Millionensalären. «Das Beste an der Credit Suisse ist der Weihnachtsbaum am Paradeplatz», sagte er im April an der Delegiertenversammlung der Credit Suisse im Hallenstadion. Das Geschäftsjahr dagegen sei eine Katastrophe gewesen. Seine achtminütige Rede, die immer wieder von Applaus unterbrochen wurde, begann Struchen mit einer Kritik an den Organisatoren, nachdem es Greenpeace-Aktivisten gelungen war, sich vom Hallendach abzuseilen. «Mein Plastiksack wurde beim Eingang genau untersucht, und die von Greenpeace kommen da einfach rein.»
Struchen Hermann, wie er sich selber vorstellte, verbrachte sein ganzes Leben in Zürich-Altstetten – «wenn ich überhaupt einmal zu Hause bin», wie er zu sagen pflegte. Rund 30 Generalversammlungen von Firmen, an denen er Aktien hält, besuchte er pro Jahr. Zur Berühmtheit brachte es Struchen nicht durch scharfsinnige wirtschaftliche Analysen, sondern durch träfe Sprüche und durch ehrliches Bedauern, wenn er als Kleinaktionär wieder mal Geld ans Bein streichen musste. «Saläre über einer Million sind legalisierte Diebstähle», sagte er einmal – und der Saal klatschte.
Höflich charmant – und stets hungrig
Struchen war niemals unanständig und ausfällig, seine Reden waren immer höflich formuliert. Er war einer, auf dessen Auftritt man sich freute, wenigstens unter den Kleinaktionären. Kult wurde Struchen durch seine gastronomische Kritik. «Wenn man Gäste hat, serviert man etwas Anständiges», argumentierte er. Wenn eine Weltfirma wie ABB den Aktionären aber nur «Blööterli-Wasser und Schoggistängeli» auftische, dann sei das lausig. Bei Georg Fischer gebe es Chäschüechli, heissen Beinschinken à discretion und Erdbeertörtli, die Ems-Chemie führe für die Aktionäre gar eine Oper auf. Bei Novartis dagegen würden die Aktionäre hungrig und durstig nach Hause geschickt – «aber immerhin ist der Jahreskalender schön».
Spätestens seit Struchen Gast in der Satiresendung «Giacobbo/Müller» war, kennt ihn die ganze Schweiz. «Gut, dass mal einer kommt und festhält, dass die Aktionäre bei Novartis noch schlimmer gehalten werden als die Versuchstiere» lautete die Bilanz dieser Sendung. Dreimal hatte Struchen Daniel Vasella nach Zürich zum Nachtessen eingeladen, dreimal sei er nicht gekommen. «Daniella», nannte er ihn einst in einer seiner Reden, aus Effizienzgründen. Legendär ist auch seine Kritik an zu klein gedruckten Geschäftsberichten oder die Feststellung, dass die Lautsprecher im Saal «komisch» tönen würden; Struchen war mit eingeschaltetem Kopfhörer ans Mikrofon getreten und hörte seinen eigenen Hall.
Nur Schweizer Aktien
Struchen arbeitete als Prokurist für eine Firma, die mit Russ für die Pneuherstellung handelte. Seinen ersten Aktiendeal schloss er 1958 ab. «Von den investierten 7200 Franken habe ich nie mehr einen Rappen gesehen», erzählte er dem TA 2013. Seither investiert er nur noch in Schweizer Firmen. Struchen war in Altstetten ein Quartierpatriot der alten Schule und engagierte sich in Feuerwehr, Turn- und Quartierverein. Am letzten Montag ist er im Alter von 87 Jahren friedlich eingeschlafen. «Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist ein Lächeln im Gesicht derjenigen, die an ihn denken», steht in der heute Donnerstag veröffentlichten Todesanzeige.
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