Flanieren ist wie Onlinesurfen, nur besser
Endlich Frühling! Der ideale Zeitpunkt, die Kunst des Spazierens zu lernen. Gehtrainerin Elke Schmid sagt, wie mans macht.

Sie geben Kurse im Flanieren. Kann das nicht jeder selbst?
Im Prinzip schon, aber viele haben die Kunst des Flanierens verlernt, weil wir uns nur noch möglichst effizient von A nach B bewegen. Ausserdem starren die meisten beim Gehen aufs Handy und nehmen die Umgebung überhaupt nicht mehr wahr.
Was bringen Sie den Leuten bei?
Im Gegensatz zu den vielen Stadtspaziergängen erzählen wir den Teilnehmern während der Flanierstunde nichts. Wir geben keine Informationen über besondere Orte oder die Geschichte der Stadt. Flanieren hat nichts mit Unterhaltung zu tun.
Sondern?
Es geht einzig darum, die Umgebung wahrzunehmen – und diese bietet sich von allein an. Wenn sich Leute auf diese Erfahrung einlassen, sind sie oft überrascht, was ihnen plötzlich alles auffällt. Ab und zu unterstellt man uns bei unseren Kursen sogar, wir hätten einige Szenen inszeniert.
Zum Beispiel?
Einmal sind wir an einem Haus vorbei flaniert, und man sah durchs Fenster, dass eine Frau im Badezimmer duscht. Ein Teilnehmer war danach felsenfest überzeugt, dass das kein Zufall sein kann.
Flaniert man nur in Städten?
Im Grunde kann man das überall machen. Aber Dandys wie Rimbaud oder Baudelaire, die das Flanieren Ende des 19. Jahrhunderts quasi als Lifestyle erfunden hatten, waren nur in der Stadt unterwegs.
Welche Ratschläge geben Sie angehenden Flaneuren?
Es geht primär um Entschleunigung. Die Flaneure des 20. Jahrhunderts waren übrigens mit einer Schildkröte an der Leine unterwegs. Es ist also zentral, wirklich sehr langsam zu gehen. Ich empfehle ganz kurze Schritte zu machen und auch etwas breiter aufzutreten, damit man nicht ins Wanken kommt. Das klingt vielleicht pedantisch, aber der langsame Gang fällt heute vielen unheimlich schwer.
Was ist sonst zu beachten?
Man sollte mit niemandem plaudern, sondern möglichst bei sich und der Umgebung bleiben. Man sollte auch nicht dauernd Fotos von irgendwelchen tollen Sachen machen, die man später auf Social Media posten kann. Am besten auch keine Musik hören und auch kein Sandwich essen und die Uhr abziehen, damit man sich der Umgebung komplett hingeben kann.
Weshalb haben die Teilnehmer Ihrer Flanierstunde Stöcke?
Es sind Taktstöcke, die dem langsamen Gang einen Rhythmus geben. Man kann mit ihnen wie mit einem verlängerten Arm auch etwas am Boden bewegen und genauer betrachten. Wenn wir in der Gruppe flanieren, muss ich ausserdem nicht immer schauen, wo die anderen sind. Ich kann in meinem eigenen Film bleiben, aber ich höre, wenn der Takt der anderen wechselt, weil zum Beispiel jemand an einem Schaufenster stehen bleibt.
Was mögen Sie am Flanieren besonders?
Ich entspanne mich dabei körperlich, aber auch geistig. Ich fange vor der Haustüre an und lasse mich treiben. Und bald darauf entsteht mein eigener Gedankenmonolog, eine Art innerer Film.
Wie das?
Beim Flanieren verändert sich die Wahrnehmung. Schriften an den Hausfassaden oder Graffiti, die meist Botschaften enthalten, bieten einen guten Einstieg in diesen Gedankenflow. Man hangelt sich assoziativ von einem Impuls und Gedanken zum nächsten, ohne zu wissen, wo man am Schluss landet.
Klingt ähnlich wie Surfen im Internet.
Junge Leute haben uns auch schon gesagt, dass Flanieren besser ist! Im Internet steht am Anfang eine Suche, beim Flanieren ist man ohne Erwartungen unterwegs. Man nimmt auch immer nur das wahr, was man wahrnehmen will, je nach eigener Befindlichkeit. Ich bin dabei auch schon in Kindheitserinnerungen abgetaucht, weil ich einmal bei einer Baustelle eine Blume gesehen habe, die ich als Kind gepflückt hatte. Oder ich lese Botschaften an Wänden, die mich über ein Thema reflektieren lassen, das mich latent beschäftigt. Oder ich lasse einfach los – und geniesse.
Sie sind auch Gehtrainerin. Wie geht man falsch?
Viele haben zum Beispiel einen ganz engen Schritt. Dadurch entsteht unheimlich viel Seitenwankung, die man muskulär auffangen muss. So werden aber die Gelenke einseitig belastet und tragen sich ab. Andere belasten ihre Füsse beim Gehen nicht optimal, das kann bis in den Kopf hinauf Beschwerden verursachen.
Was genau trainieren Sie?
Gutes Gehen. Eigentlich sind wir Gehwesen, und das ewige Sitzen in Büros wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus. Es gibt durch die Anatomie vorgegebene Körperachsen, die man im Gehen einsetzen sollte, um mit wenig muskulärer Kraft zu gehen. Wer gut geht, dem geht es gut.
Was heisst das konkret?
Man hat im Alltag weniger Verspannungen. Bei guter Körperhaltung verbessert sich auch der Stoffwechsel, die Knochen werden gestärkt und sogar das Immunsystem, weil man Stress reduziert.
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