

«Endlich bekommt das tote Tier den Respekt, den es verdient.»
Daniel Böniger, Flexitarier.
Ja
Der Weihnachtsbraten hat es nicht leicht. Was wohl auch daran liegt, dass trotz Kochsendungen auf allen Kanälen und Rezepten in jedem Klatschheft kaum mehr jemand weiss, wie lange man denn ein solches Stück Rindsschulter überhaupt garen muss. Was wiederum damit zu tun hat, dass hierzulande die durchschnittliche Personenzahl pro Haushalt gerade mal noch bei 2,23 Personen liegt – es lohnt sich schlichtweg nicht, ein zwei Kilogramm schweres Fleischstück in den wöchentlichen Menüplan einzuplanen, mit dem spielend acht hungrige Mäuler gestopft werden könnten. Aber am Heiligabend, an Weihnachten und am Stephanstag? Ein Braten ist perfekt, wenn Grossvater und Eltern, Bruder und Schwester, Tante und Hausfreund sich am Tisch versammeln.
Zu entkräften gilt es erst einmal ein Argument gegen den Braten, das gerade die Anhänger des schnellen Filet-Anbratens und spontanen Würste-Grillierens immer wieder anführen: Sie verbinden das «grosse pièce» aus dem Ofen mit enormem Zeitaufwand. Was Unsinn ist, denn die meiste Zeit der zwei, drei Stunden, die der Schweinshals mit Gemüse, Weisswein und Wasser in der Röhre schmort, ist er sich selbst überlassen. Aufsichtslos also.
Auch ich bin gegen Industriefleisch!
Ehrlich gesagt, gibt ein solcher Braten sogar weniger zu tun, als all die zehn Sösseli selber zu machen, die man zum ach so beliebten Fondue chinoise auftischt. Und die sich am Ende im Teller zu einer undefinierten Tunke vermischen. Ist so was feierlich? Gegessen mit Knoblauchbrot und Pommes Chips, allenfalls Ofenfrites. Wie trist sind doch diese Beilagen! Oh, wie viel edler ist doch ein saftiges Lammgigot, das während sechs Stunden im Ofen gelegen hat, wohlgemerkt bei einer Temperatur – weniger heiss als in der finnischen Sauna!
Schon hör ich die Vegitarierfraktion rufen: totes Tier! Natürlich gilt es, die berechtigten Bedenken wirklich ernst zu nehmen, die sich angesichts all der auf traurigste Art und Weise aufgezogenen Säuli und Kälbli stellen. Auch ich bin gegen Industriefleisch! Wenn man aber ein Fleischstück richtiggehend zelebriert, fast wie früher die rituell erbrachten Jagdopfer? In familiärer Gemeinschaft mit buttrigem Kartoffelstock und lieblich zu Sternen geschnitzten Rüebli? Dann bekommt das tote Tier doch endlich einmal den Respekt, den es verdient. Wohlgemerkt, man sollte sich im Vorfeld des Festes schon auf die Suche nach einem Braten machen, der es zu Lebzeiten gut gehabt hat und entsprechend Geschmack und Saftigkeit aufbauen konnte.
Ich dreh jetzt den sprichwörtlichen Spiess einfach mal um: Kennen Sie das allertraurigste Gericht überhaupt? Es handelt sich um das handelsübliche Einpersonen-Ego-Fondue, das man in der Migros kaufen und in der Mikrowelle zubereiten kann. Nicht selten wird es ganz alleine und einsam vor dem Fernseher genossen. Und mit einer Flasche billigstem Weisswein, aus Chile vielleicht, hinuntergespült. Man darf getrost behaupten: Ein Weihnachtsbraten, solang es ihn beim Metzger überhaupt noch gibt, ist genau das Gegenteil davon!

«Der Fleischbrocken strahlt etwas Anrüchiges und Reaktionäres aus.»
Nina Kobelt, Vegetarierin Ausnahmen.
Nein
Ernsthaft? Welches Jahr schreiben wir – 1958? Und das Härdöpfelstockseeli gibt es auch dazu? Braten, das klingt nach Hausfrau mit Schürze und adretter Frisur. Und nach Grossmüttern. Nach Frauen, die viele Stunden lang in der Küche stehen. Mehr dazu aber später.
Das Hauptargument gegen einen Weihnachtsbraten ist natürlich das arme Tier, das dafür geschlachtet wurde. Am Fest der Liebe! Respektive kurz davor, während der romantischen Adventszeit oder im Herbst, als man sich am Wanderwegrand ach so fest über die lustigen Tiere gefreut hatte. Und nun dies: ein schön gedeckter Tisch, duftende Tannenzweige, die selbst gebastelte Tischdeko der Nichte glitzert mit den Glöcklein am Serviettenring um die Wette. Mittendrin: ein totes Tier. Ein braunes, dickes Etwas, das zwischen traurigem Gemüse und Fettaugen herumschwimmt. Oh, wie lieblich! Das ist ironisch zu verstehen, und ja, das muss betont werden, denn erfahrungsgemäss bleibt beim Thema «Fleisch essen oder nicht» der Humor auf der Strecke. Vor allem auf einer Seite, ja, schon hör ich die Fleischfraktion argumentieren: Das Tier hatte ein gutes Leben! Es stammt von einem schönen Bauernhof aus der Region! Und hat richtiges Gras gefressen!
Es sind dann am Ende doch immer die Frauen, die am Herd stehen.
Und jetzt also ins Gras gebissen. Betäubt und aufgeschlitzt, am Samichlaustag mit einem Schlag auf den Kopf zur Strecke gebracht, erschossen. Tatsächlich wäre es etwas anderes, wenn jemand aus der Weihnachtstafelrunde das Tier selbst erlegt hätte. Auf der Jagd. Speziell für dieses eine Essen, weil am Fest etwas Besonderes auf dem Tisch stehen soll. Fleisch zum Beispiel, das man sich sonst nicht leisten kann. Doch mit solcherlei Gedanken wühlen wir schon wieder im letzten Jahrhundert herum, in dem es noch keine abgepackten Billigschnitzel für alle Tage zu kaufen gab.
Wir schreiben aber das Jahr 2018. Und in diesen zugegeben manchmal nervenden #MeToo-Zeiten bekommt ein Braten eine schon fast anrüchige Aura, die sich stark in Richtung antifeministisches Statement bewegt. Jetzt mal abgesehen davon, dass es ein paar unschöne Redensarten gibt, die einen Braten und schwangere Frauen involvieren, strahlt dieser Fleischbrocken etwas Reaktionäres aus. Denn obwohl Retrofood – «essen wie bei Muttern» und dergleichen – im Trend liegt und trotz der Tatsache, dass sich ein Braten in seiner Herstellung als simpel erweist: Es sind dann am Ende doch immer die Frauen, die am Herd stehen. Oder kennen Sie einen Ehemann, Bruder, Schwager oder Grossvater, der den Weihnachtsbraten zubereitet, Stunden vor dem eigentlichen Festessen? Ihn wieder und wieder besucht am Backofen, liebevoll hineinschaut, ab und zu vielleicht ein wenig Flüssigkeit über dem Fleisch verteilt, während er Reis und Kartoffelgratin im Auge behält? Und sich parallel Dringendem wie Gemüsedünsten, Staubsaugen, den Tisch decken, den Baum und überhaupt das ganze Haus dekorieren zuwendet? Ich nicht.
Doch vielleicht tu ich ja den nicht anwesenden Männern unrecht. Vielleicht sind sie ja gerade daran, Sahneschnittchen zu backen.
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