Flucht vor Erdogan in die Schweiz
Die Zahl der Asylgesuche aus der Türkei ist ein Jahr nach dem Putsch deutlich angestiegen. Die Flüchtlinge sind jung und gut ausgebildet.

Viele Türken haben Angst um ihre Zukunft. Schweizer Politiker mit türkischen Wurzeln erhalten in den letzten Monaten vermehrt Anfragen von Verwandten und Bekannten. «Sie erkundigen sich nach dem Leben in der Schweiz und nach Möglichkeiten, hierherzukommen», sagt Muammer Kurtulmus, Zürcher Gemeinderat für die Grünen.
Ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch ist die Verunsicherung in der Türkei gross. Tausende Beamte wurden seither entlassen, viele tatsächliche und angebliche politische Gegner von Präsident Erdogan verhaftet. Die Zahl gut ausgebildeter Türken, die auswandern, hat laut der Oppositionspartei CHP stark zugenommen – auf 10'000 Personen im Monat. Offizielle Zahlen, die das bestätigen, gibt es nicht.
Was ist davon bislang in der Schweiz zu spüren? Einem Land mit einer grossen türkischen Diaspora. Ungefähr 120'000 Menschen mit türkischen Wurzeln leben hier.
Doppelt so viele Asylanträge
Gegen 600 Asylanträge von Türken sind seit dem Putsch in der Schweiz eingegangen. Das ist deutlich mehr als in den Jahren davor. 2015 wurden rund 400 Gesuche gestellt, 2014 etwas mehr als 300. Die jüngsten Zahlen, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) veröffentlicht hat, stammen vom Mai 2017. Alleine in diesem Monat baten 62 Türken um Asyl. Das Land liegt damit an siebter Stelle. Deutlich mehr Gesuche wurden nur von Menschen aus Eritrea (220), Syrien (212) und Afghanistan (100) gestellt.
Das SEM sagt zur Zunahme der Gesuche: Die politische Lage in einem Herkunftsland gehöre zu den massgeblichen Faktoren. Es sei deshalb davon auszugehen, dass ein Zusammenhang zwischen der Situation in der Türkei und der Zahl der Asylgesuche bestehe. Aus welchen Gründen genau die Gesuche gestellt würden, werde allerdings statistisch nicht erfasst.
Dafür sind einige Sozialdaten erfasst: Demnach stammt die Mehrheit (55 Prozent) der Anträge von 18- bis 34-Jährigen. Etwas mehr als die Hälfte reiste alleine in die Schweiz. Und es sind etwa doppelt so viele Männer wie Frauen.
Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan (BS) sagt, dass sie persönlich vor allem Einreisen von Akademikern, Journalisten und politisch aktiven Personen festgestellt habe. Darunter seien sowohl Linke, also vor allem Personen aus dem Umfeld der prokurdischen Oppositionspartei HDP, als auch Anhänger des Predigers Fethullah Gülen. In der Türkei wird Gülen beschuldigt, für den Putsch verantwortlich zu sein. Bekannt ist auch, dass mehrere türkische Diplomaten in der Schweiz um Asyl ersucht haben. Der prominenteste Fall ist jener des ehemaligen Vizebotschafters in Bern.
Primär wirtschaftlich besser gestellte Türken würden derzeit in den Westen ziehen. «Die einfachen Leute schaffen es nicht auszureisen», sagt Arslan.
Die Alternativen zum Asylantrag
Hasim Sancar, grüner Kantonsrat aus Bern, weist darauf hin, dass Türken nicht nur als Flüchtlinge in die Schweiz kommen. Hochqualifizierte wählten auch den Weg der normalen Arbeitsmigration. Zudem gebe es die Option Familiennachzug.
In der Ausländerstatistik lässt sich allerdings bislang nur eine leichte Zunahme ablesen. So sind zwischen Januar und Mai 2017 via Familiennachzug, für einen Job oder eine Ausbildung 505 Türken für einen Aufenthalt von mehr als 12 Monaten in die Schweiz gekommen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 468. Die Zahl der Anträge für langfristige Visa in den Schweizer Vertretungen in der Türkei ist im ersten Quartal der Jahre 2017 (572 Anträge) und 2016 (569 Anträge) praktisch gleich hoch.
Eine Arbeitserlaubnis für die Schweiz zu erhalten, sei für Türken schwierig, sagt Nationalrätin Arslan. Gerade die Abschlüsse von Akademikern würden hier seltener anerkannt als in anderen europäischen Ländern.
Und auch bei einem Asylgesuch kann sich ein Türke in der Schweiz alles andere als sicher sein, geschützt zu werden. Nur knapp jeder zweite erhält Asyl oder wird zumindest vorläufig aufgenommen. Im Schnitt aller Herkunftsstaaten liegt die Schutzquote derzeit bei knapp 60 Prozent.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch