Fördert Entwicklungshilfe die Migration?
Forscher warnen, dass Entwicklungshilfe zu mehr Auswanderung führen könnte. Deza-Chef Manuel Sager nimmt Stellung.

«Fluchtursachen beseitigen» und so eine neue Massenmigration nach Europa verhindern. Dieses politische Rezept ist allgegenwärtig. Es ist in Bundesbern genauso zu hören, wie auf den Politbühnen von Nachbarländern. Mit mehr Entwicklungshilfe soll die Armut gelindert und so die Zahl der Auswanderer gesenkt werden. Was hierzulande unter anderen namentlich die frühere Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) wiederholt forderte, setzt in Deutschland Bundeskanzlerin Merkel Schritt für Schritt um.
In Deutschland warnen nun aber verschiedene Ökonomen und Forscher, hier nicht einem Irrglauben aufzusitzen. So sagt der Heidelberger Entwicklungsforscher Axel Dreher in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ), es sei falsch anzunehmen, mit mehr Wirtschaftswachstum in Empfängerländern werde die Zahl der Flüchtlinge und Migranten zurückgehen. Dreher sieht genau den gegenteiligen Effekt: «Die Migrationsforschung lässt erwarten, dass mit steigenden Einkommen die Zahl der nach Europa Kommenden zunächst ansteigen wird. Es sind nämlich nicht die Ärmsten der Armen, die ihre Länder verlassen, sondern die, die sich das leisten können.»
Mehrere empirische Untersuchungen würden zeigen, dass ein steigendes Bruttoinlandprodukt (BIP) in den ärmsten Ländern mehr Auswanderung zur Folge habe, berichtet die FAZ weiter. Erhöht Entwicklungshilfe das BIP um zehn Prozent, steigt die Auswanderungsquote im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung um 1,5 Prozent. Dies besagt eine Studie von Jean-Claude Berthélmy und Co-Autoren mit dem Titel «Aid and Migration: Substitutes or Complements?».
Erst ab einem gewissen Einkommen bleiben die Leute
Und die Schweiz? Wie beurteilt Manuel Sager, der Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), Studien und Forschermeinung? Die Untersuchungen seien ihm bekannt, sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Bereits in den Neunzigerjahren seien erste solche Erkenntnisse diskutiert worden. Bis zu einem Pro-Kopf-Einkommen von 8000 bis 10'000 Dollar jährlich hat zusätzlicher Wohlstand keinen dämpfenden Einfluss auf die Migrationsbereitschaft, sagt Sager. Im Gegenteil, zusätzliches Einkommen kann Migration erst ermöglichen. Über der genannten Einkommensschwelle steigt die Bereitschaft, im eigenen Land zu bleiben, aber wieder merklich an.
Es gebe aus seiner Sicht keinen Grund, diese vorwiegend ökonomischen Betrachtungen anzuzweifeln. «Allerdings wäre es zynisch, aufgrund dieser Erkenntnisse zu sagen, wir wollen, dass die Menschen in den betroffenen Ländern so arm bleiben, dass sie nicht auswandern können.»
Geflohene «gehen zurück, sobald das möglich ist»
Die Deza bewege sich auf drei Interventionsebenen – einer kurzfristigen, einer mittelfristigen und eine längerfristigen. Kurzfristig schaue man, dass Flüchtlinge, die vor Krieg oder Naturkatastrophen flüchten mussten, in Auffanglagern alles für den Lebensunterhalt vorfänden. «Gelingt das, bleiben die Geflohenen dort und gehen in ihre Heimat zurück, sobald dies möglich ist», erklärt Sager. Die Lager müssten Schutz, Wasser und Nahrung bieten.

Mittelfristig gehe es darum, dass Flüchtlinge in ihrem neuen Umfeld integriert werden könnten. 80 Prozent der afrikanischen Migration spiele sich innerhalb von Afrika ab, erinnert Sager. Die Deza unterstütze Massnahmen, die es Flüchtlingen erlaubten, innerhalb Afrikas an neuem Ort Fuss zu fassen.
«Und längerfristig helfen wir, die Ursachen von Flucht und erzwungener Migration in den Herkunftsländern selbst anzugehen.» Das bedeute Einsatz für die Einhaltung von Menschenrechten, gegen Korruption, für solide Grund- und Berufsbildung und für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Letztere sollen mehr lokale und ausländische Investitionen anziehen. Illusionen auf rasche Abhilfe dürfe man sich hier aber nicht machen, warnt Sager. Bis solche Massnahmen wirklich greifen, dauert es gemäss Studien zehn, elf Jahre. Umso wichtiger seien die genannten kurz- und mittelfristigen Massnahmen zum Schutz und zur Integration in den Regionen selber.
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