Forscher sagen hauchdünnen Sieg Van der Bellens voraus
Bei der Präsidentschaftswahl in Österreich liegen die Kandidaten Hofer und Van der Bellen fast gleichauf. Nun kommt es auf die 744'000 Briefwahlstimmen an.
In Österreich hat heute bei der Bundespräsidentenwahl die Auszählung der entscheidenden Briefwahlstimmen begonnen. 744'000 der 6,4 Millionen Wahlberechtigten haben per Brief abgestimmt.
Die Wahlforscher prognostizieren am Ende einen hauchdünnen Vorsprung für den von den Grünen unterstützten Alexander Van der Bellen. So geht das Politikforschungsinstitut Sora nun davon aus, dass der 72-Jährige mit knapp 3000 Stimmen gewinnt.
Städter stimmen für Van der Bellen
Nach Auszählung der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen liegt der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit 51,9 Prozent vorne. Die Wahlforscher haben bei ihren Berechnungen unterstellt, dass Van der Bellen bei den Briefwählern 60,8 Prozent der Stimmen bekommt.
Grundsätzlich hat Van der Bellen seinen nun möglichen Sieg den Wählern in den Städten zu verdanken. Bei den Urnenstimmen kam der Ex-Grünen-Chef am Sonntag allein in Wien auf 61,1 Prozent. In acht von neun Landeshauptstädten lag er am Sonntag vor Hofer. Das Ergebnis der Briefwahl wird nach Angaben des Innenministeriums zwischen 17 und 19 Uhr vorliegen. Ausgezählt wird in 113 Bezirken.
Wähler sind enttäuscht vom Alltagsgeschehen
Kurz nach Schliessung der Wahllokale hatte das Sora-Institut gestern Hofer einen Stimmenanteil von 50,2 Prozent vorausgesagt, seinem Gegenkandidaten Van der Bellen 49,8 Prozent. Knapp eine Stunde später lag Van der Bellen mit 50,1 Prozent in Führung. Wenig später hatten beide Bewerber 50 Prozent.
Die Präsidentschaftsbewerber der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP waren in der ersten Wahlrunde vor vier Wochen ausgeschieden. Bislang hatten diese Parteien die österreichischen Bundespräsidenten gestellt. Ihr Scheitern zeigt die Enttäuschung vieler Wähler mit dem politischen Alltagsgeschehen, aber auch ihren Ärger über den Umgang Österreichs mit der Flüchtlingskrise. Im Zuge des schlechten Ergebnisses der SPÖ war Bundeskanzler Werner Faymann zurückgetreten.
Hofer droht, die Regierung zu entlassen
Anders als die Regierungsparteien haben Hofer und Van der Bellen im Wahlkampf ihre gegensätzlichen Auffassungen klar herausgestrichen. Bei der Stimmenabgabe sagte der 72-jährige Van der Bellen, er halte sich für einen Proeuropäer, aber bei Hofer könne man sich nicht sicher sein. Hofer profilierte sich dagegen mit antimuslimischen Äusserungen. Österreich sei keine Heimat für Menschen, die für die Terrormiliz Islamischer Staat in den Krieg zögen oder Frauen vergewaltigten, sagte er bei seiner letzten Wahlkundgebung.
Sollte der 45-jährige Hofer die Wahl gewinnen, würde erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ein Rechtspopulist österreichischer Bundespräsident. Das wäre ein bislang einmaliger Erfolg für eine euroskeptische Partei in der EU. Hofer hat damit gedroht, die Regierung zu entlassen, wenn sie nicht besser arbeite. Van der Bellen kündigte an, keinen Bundeskanzler der FPÖ zu vereidigen.
Mehr als zehn Prozent fehlen noch
Ein Unsicherheitsfaktor bei den Hochrechnungen war die Rekordzahl von 744'000 Briefwählern. Das sind mehr als zehn Prozent der 6,4 Millionen Wahlberechtigten. Die Wahlbeteiligung lag nach der ORF-Hochrechnung von 19 Uhr bei 71,8 Prozent, eine leichte Steigerung gegenüber dem ersten Durchgang am 24. April.
Beide Kandidaten hatten sich in einem bisher beispiellosen Lager-Wahlkampf um die Nachfolge des im Juli ausscheidenden Bundespräsidenten Heinz Fischer beworben. Erstmals waren in der Stichwahl keine Kandidaten der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP vertreten. Unter anderem wegen des SPÖ-Debakels in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen war Bundeskanzler Werner Faymann zurückgetreten.
Juncker warnte vor Hofer
Die Wahl stiess international auf grosses Interesse. Das Erstarken der Rechtspopulisten auch in anderen Ländern wird von EU und vielen Regierungen mit Sorge beobachtet. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sich mit klaren Worten in den österreichischen Wahlkampf eingemischt und vor Hofer gewarnt.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sagte der Nachrichtenagentur DPA: «Wer immer am Ende vorne liegt: Ein solches Ergebnis ist in einer Demokratie ein Auftrag, das Volk wieder zusammenzuführen und nicht zu spalten.» Die Wahl sei ein Weckruf an alle Parteien der demokratischen Mitte in Europa, nicht auf den Kurs von Populisten einzuschwenken.
Gegenkandidaten verhindern
Das neue Staatsoberhaupt wird am 8. Juli vereidigt. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre. Der Bundespräsident darf sich laut Verfassung einmal zur Wiederwahl stellen.
In einer ersten Analyse zu den Wahlmotiven stellte sich heraus, dass weniger die echte Überzeugung für einen Kandidaten eine Rolle spielte. Vielmehr machten viele Wähler ihr Kreuz, um den jeweiligen Gegenkandidaten zu verhindern.
40 Prozent der Wähler von Van der Bellen gaben an, «gegen rechts» gewählt zu haben, um Hofer zu verhindern, sagte der Meinungsforscher Peter Hajek. «Alle anderen Motive sind da deutlich in den Hintergrund getreten.» So habe das Flüchtlingsthema bei nur zwölf Prozent der Hofer-Wähler eine wichtige Rolle gespielt.
SDA/afo
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch