Foto- und Videobeweise gegen Flüchtlingshelfer
Im Streit um die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer nimmt Italiens Justiz ein deutsches Hilfswerk ins Visier. Ein verdeckter Ermittler besorgte Belastungsmaterial.
Wegen «Beihilfe zur illegalen Migration» haben die italienischen Behörden das Schiff der Hilfsorganisation Jugend Rettet vor der Insel Lampedusa «vorsorglich» aus dem Verkehr gezogen. Die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani wirft den deutschen Helfern des Juventa-Schiffs vor, mindestens zweimal von Schleppern eskortierte Flüchtlinge an Bord genommen zu haben, obwohl deren Leben nicht in Gefahr gewesen sei. «Die Beweise sind schwerwiegend», sagt Staatsanwalt Ambrogio Cartosio. Er spricht von Beweisen für Begegnungen zwischen Mitgliedern der Juventa-Crew und Schleusern, die Migranten zum Rettungsschiff begleitet haben. «Damit handelt es sich nicht um die Rettung von Menschenleben, sondern um die Übergabe von Migranten.»
Italiens Behörden hatten einen verdeckten Ermittler auf ein anderes Rettungsschiff eingeschleust. Der vermeintliche Helfer verbrachte 40 Tage auf der Vos Hestia der Hilfsorganisation Save the Children, wie der «Corriere della Sera» berichtet. Es ist der 18. Juni 2017, als sich die Wege der Vos Hestia und der Juventa kreuzen. An diesem Tag kommt es zu zwei Begegnungen zwischen der Juventa und von Schleppern eskortierten Flüchtlingsbooten. Der Polizist auf der Vos Hestia macht Fotos und Videos, die nun als Belastungsmaterial von der Staatsanwaltschaft gegen die Helfer verwendet werden.
Schlepper verabschiedet sich winkend
«Ich habe alles aufgenommen», berichtet der verdeckte Ermittler. Zu sehen ist etwa, wie die Crew der Juventa Flüchtlingsboote nicht versenkt, sondern den Schleppern zurückgibt. Gemäss Angaben der Staatsanwaltschaft zeigt eine weitere Aufnahme, wie ein Schleuser im Einvernehmen mit der Juventa-Besatzung einen Motor aus einem Flüchtlingsboot ausbaut, um ihn erneut verwenden zu können, und sich winkend verabschiedet. Die Staatsanwaltschaft von Trapani verfügt offenbar über weiteres Belastungsmaterial. In einem abgehörten Telefongespräch soll ein weibliches Besatzungsmitglied der Juventa gesagt haben, Fotos von Schleusern würden nicht an die italienischen Behörden übergeben, damit es nicht zu Festnahmen komme.

Gemäss einem Bericht der «Repubblica» sollen die Helfer der Juventa auch ein paralleles Informations- und Koordinationssystem geplant haben, um unabhängig von der Zentrale der italienischen Küstenwache operieren zu können. Eine systematische Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingshelfern und Schleppern können die Ermittler allerdings nicht feststellen. Laut Staatsanwalt Cartosio ist die Annahme von einem «koordinierten Plan» zwischen Juventa und Schleppern «reine Science-Fiction».
Die Hilfsorganisation Jugend Rettet lässt verlauten, für sie bleibe die Rettung von Menschenleben oberste Priorität. Es sei sehr schwierig, dass ihre Rettungsarbeiten im Moment blockiert seien. In einem Tweet teilt sie mit, dass sie mit juristischen Mitteln gegen die Beschlagnahmung der Juventa vorgehe. Das spendenfinanzierte Hilfswerk mit Sitz in Berlin fährt seit dem vergangenen Jahr Rettungseinsätze im Mittelmeer.
Im südlichen zentralen Mittelmeer sind neun private Hilfsorganisationen mit Schiffen im Einsatz. Jugend Rettet unternimmt im Vergleich zu anderen Helfern immer wieder waghalsige Aktionen, indem sie auch in Hoheitsgewässer Libyens eindringt und Zwischenfälle mit der libyschen Küstenwache in Kauf nimmt. Jugend Rettet gehört zu den sechs NGOs, die sich weigern, den neuen Verhaltenskodex der italienischen Regierung zu unterschreiben. Roms Regeln sehen vor, dass bewaffnete Polizisten an Bord von Rettungsschiffen mitgenommen werden. Ausserdem dürfen auf hoher See in Sicherheit gebrachte Flüchtlinge nicht von einem Schiff auf ein anderes transferiert werden. Nach Ansicht der NGOs erschwert der Kodex die Rettung von Flüchtlingen.
Italien droht den NGOs
Im Streit mit den privaten Rettungsorganisationen hat die italienische Regierung den Ton verschärft. Innenminister Marco Minniti sagte, dass «die Helfer ihre Arbeit nicht fortsetzen können, falls sie den neuen Verhaltenskodex nicht unterschreiben».
Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass der Verhaltenskatalog für die NGOs teilweise den Regeln des Seenotrettungsrechts widerspreche. Italien wolle die Arbeit der Hilfsorganisationen mit «Rückendeckung» der EU massiv beschränken. Kritisiert wird auch die am Mittwoch begonnene Libyen-Mission der italienischen Marine. Die beabsichtige Rückführung von Flüchtlingen nach Libyen widerspreche dem Völkerrecht. Denn in Libyen herrsche «Rechtlosigkeit und Willkür». In den dortigen Flüchtlingshaftlagern seien «Folterung und Vergewaltigungen» an der Tagesordnung.
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