Frage des Tages: Bundesräte als Wahlhelfer
Zum Auftakt des Wahljahrs 2011 mischen sich Bundesräte in den Berner Ständeratswahlkampf ein. Wie viel Wahlhilfe zulässig ist, regelt der Bundesrat selbst – und gewährt sich dabei zunehmend Freiheiten.Finden Sie es richtig, dass sich Bundesräte in einem Wahlkampf engagieren? Stimmen Sie am Ende des Artikels ab!

Mit ihrer direkten Unterstützung für die Berner SP-Ständeratskandidatin Ursula Wyss heizt Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Kontroverse neu an, wie viel bundesrätliche Wahlkampfhilfe drin liegt. Auf einem eigens für den Wahlflyer geschossenen Foto stellt sich Sommaruga lächelnd neben Wyss, im dazugehörenden Text spendet sie der SP-Kandidatin zudem reichlich Lob.
Politikberater Mark Balsiger befürchtet jetzt einen Dammbruch: «Künftig ist alles möglich.» Wahlkampfexperten können sich jedenfalls nicht erinnern, dass ein Bundesrat mit Wort und Bild je so gezielt und inszeniert für einen Kandidaten geworben hat.
Dehnbarer Knigge
Gut möglich, dass der Wahlkampfeinsatz an einer der nächsten Sitzungen der Landesregierung zu reden gibt. Denn eine Wegmarke in der politischen Kommunikation setzt der Kampf um die Berner Ständeratswahl vom 13. Februar auch deshalb, weil gleich zwei Bundesräte mitmischen: Der Berner FDP-Bundesrat Johann-Schneider-Ammann tritt im Werbeflyer der freisinnigen Ständeratskandidatin Christa Markwalder auf.
Wie stark seine Mitglieder in Wahlkämpfe eingreifen dürfen, legt der Bundesrat in einem Verhaltenskodex fest, dem sogenannten Aide-Mémoire. Das Papier ist nicht öffentlich, doch der «Tages-Anzeiger» hat den genauen Wortlaut in Erfahrung gebracht. Bei der Lektüre wird klar: Die Regierung will in erster Linie verhindern, dass Bundesräte in der heissen Phase des Wahlkampfs als Lokomotiven in kantonalen Wahlen eingespannt werden.
Verhaltenskodex befolgt
So dürfen Bundesräte an «kantonalen oder regionalen Parteiveranstaltungen» circa zwei Monate vor kantonalen Wahlen das Wort nur noch zu eidgenössischen Vorlagen ergreifen. Vor «Nationalratswahlen» hingegen dürfen sie an gesamtschweizerischen Versammlungen der eigenen Partei frei reden und vor «eidgenössischen Wahlen» auch auf «Plakaten und Medienfotos» auftreten.
Laut Bundeskanzlei haben deshalb Sommaruga und Schneider-Ammann nicht gegen den Verhaltenskodex verstossen, wie Sprecher Thomas Abegglen sagt. Bei der Ständeratsersatzwahl im Kanton Bern handle es sich um eine «eidgenössische Wahl» – also sei auch der Auftritt auf «Plakaten und Medienfotos» erlaubt. Doch Wahlkampfexperte Mark Balsiger und andere schütteln ob dieser «formalistischen» Sicht den Kopf: «Das Rennen um einen frei gewordenen Ständeratssitz ist faktisch eine kantonale Wahl.» Die Bestimmung über Fotoauftritte sei zudem kein Freipass für Direktwerbung für einzelne Kandidaten in Bild und Wort.
Abegglen von der Bundeskanzlei räumt allgemein ein, dass es bei der Auslegung der Regeln «Interpretationsspielraum» gebe. Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass der Kodex anscheinend nur ein Stück Papier ist. So eilte Ueli Maurer der Berner SVP im letzten Jahr noch in der Schlussphase des Wahlkampfs zu Hilfe und redete bei seinen Auftritten nicht einmal dem Schein nach über die damals aktuelle eidgenössische Abstimmungsvorlage. Der Gesamtbundesrat hat seinen Knigge selber immer weiter entwertet, indem er ihn im Lauf der Zeit mehrmals lockerte. Als opportun gilt zunehmend, was sich einzelne Bundesräte ohnehin herausnehmen.
Spezialpassus für Blocher
Abegglen sagt es so: «Der Verhaltenskodex wurde in den letzten 20 Jahren verschiedentlich der Praxis angepasst.» Die politischen Parteien werden immer stärker über Köpfe wahrgenommen. Die Bundesräte stehen deshalb unter wachsendem Druck, als Wahlhelfer zu amten. 2003 schickte die CVP Ruth Metzler auf eine «Roadshow» mit Sattelschlepper, und Micheline Calmy-Rey prangte auf Plakaten der SP. 2007 setzte die SVP mit «Blocher stärken! SVP wählen!» neue Massstäbe, und die CVP versteigerte im Internet ein Treffen mit ihrer Bundesrätin Doris Leuthard. Doch auch schon früher gab es Versuche, Bundesräte für Wahlkämpfe zu instrumentalisieren: 1971 warben die Freisinnigen mit ihren Bundesräten Nello Celio und Ernst Brugger.
In einem Fall ist der Bundesrat erwiesenermassen dem Wunsch eines einzelnen Magistraten nachgekommen, als er den Verhaltenskodex änderte. Nach Christoph Blochers Wahl in den Bundesrat musste die Zürcher SVP einen neuen Präsidenten suchen – und weil Blocher in der Findungskommission mitreden wollte, heisst es seither im Kodex für Bundesräte: «Die Mitarbeit in Parteiausschüssen wird den Mitgliedern des Bundesrates grundsätzlich nicht verwehrt, solange sie sich im Sinne des Bundesrates als opportun erweist.»
Vielleicht folgt nun bald ein Passus, der den Bundesräten ausdrücklich die Einmischung in Ständeratswahlkämpfe erlaubt.
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