Fünf Szenarien für Zürichs Shopping-Zukunft
Wie wir einkaufen, hat Auswirkungen darauf, wie die Stadt und die Region künftig aussehen werden. Ein Ausblick.

Es hat etwas Paradoxes: Wir jammern über das Lädeli-Sterben und stimmen Schwanengesänge an, wenn Traditionsgeschäfte wie Musik Hug, Pastorini, Fogal, das Babyhaus Wehrli oder der Handschuhladen Böhny an der Augustinergasse schliessen. Und abends kaufen wir online ein, oder wir gehen am Wochenende zum Grossverteiler statt in den Quartierladen. Selbst Inhaber von im Quartier gut verankerten und vom Angebot her eigenständigen Lädeli verzeichnen dramatische Umsatzeinbussen. So erzählt Baba Rüegg von Saus & Braus im Newsletter der Genossenschaftssiedlung Dreieck, dass sie es mit ihrem Laden kaum schaffe, neue und junge Kundschaft zu erreichen. Und dass die Konkurrenz aus dem Ausland auch ihr das Leben schwermache. Man komme wieder, wenn man in Helsinki nichts Schönes finde, muss sie sich anhören.

Unser Konsumverhalten ist aber nicht nur für den Detailhandel eine Herausforderung, es verändert auch das Stadtbild. Unter dem Titel «Handel im Wandel» hat Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich, gestern Abend in der Alten Sihlpapierfabrik im Folium Sihlcity eine Studie vorgestellt, die der Frage nachgeht, wie wir in Zukunft einkaufen. Und welche Folgen dies für das Stadtbild hat. In der Stadt Zürich gibt es heute rund 3200 Läden und Filialen des Detailhandels, sie bestimmen zu einem erheblichen Teil, wie der private und öffentliche Verkehr rollt und welche Gegenden belebt sind. Die Veränderung im Detailhandel hängt wesentlich von drei Faktoren ab: auf welchem Weg eingekauft wird (im Laden oder digital), welche Ansprüche die Konsumenten an das Produkt haben (hochwertig oder kostengünstig) und weshalb sie einkaufen (Erlebnis oder Alltag).
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Gar nicht – oder brutal digital
Die Studie zeigt modellhaft fünf Szenarien auf, bei denen diese Faktoren unterschiedlich gewichtet sind. «Es handelt sich nicht um Prognosen, sondern um Denkanstösse», betonte Schindler.
Back to the Roots: Es ist das Sehnsuchts-Zürich vieler. In ihm gibt es Handwerksbetriebe, die hochwertige Produkte vor Ort herstellen und verkaufen. Die Bevölkerung hat die Nase voll vom anonymen Einkaufserlebnis im Netz. Man trifft sich im modernen Tante-Emma-Laden, der saisonale Produkte anbietet, aber auf Nachfrage auch Nischenangebote im Sortiment führt. Die Stadt der kurzen Wege ist Realität. In diesem Szenario ist Zürich weniger attraktiv für Touristen und Pendler, und Shoppingcenter haben einen schweren Stand. Auch ist dieses Einkaufen teuer – wer nicht viel verdient, kommt nicht auf seine Rechnung.
On the Way: Die Konsumenten wollen ihre Einkäufe möglichst effizient auf dem Arbeitsweg erledigen. Halbfertigprodukte, die sich zu Hause schnell zubereiten lassen, sind gefragt. In diesem Szenario entwickeln sich entlang der Hauptverkehrsachsen nach amerikanischem Vorbild fröhlich bunte Ladenfronten mit genügend Parkplätzen und Shoppingcenter, die ein unkompliziertes Einkaufen ermöglichen. Allerdings kommt die weniger mobile Bevölkerung unter die Räder und die Innenstadt und die Quartiere drohen zu veröden.
Hybrid: Stationärer und digitaler Handel existieren nebeneinander, doch vermischen sie sich zusehens. Der Alltagseinkauf wird effizient in den Quartieren getätigt, dafür werden die Detailgeschäfte an exklusiven Lagen zu Erlebniswelten mit Kuratoren statt Verkäufern und ständig neuen Attraktionen oder Pop-up-Läden. Vor Ort werden Produkte getestet oder virtuell erlebbar, doch trägt kaum einer mehr eine volle Einkaufstasche aus dem Laden, da die Ware ihm zeitnah zugestellt wird. Hier ist die Stadt gefordert, weil die Mieten an attraktiven Lagen steigen und der Verkehr zunimmt: Die Menschen müssen zu den Erlebniswelten gelangen – die Waren nach Hause geliefert werden.
Digital Paradise: Die Aktivitäten des alltäglichen Lebens verlagern sich weitgehend in den digitalen Raum, authentische Erlebnisse haben an Wert verloren. Man reist im Netz statt im Flugzeug um die Welt, dank Körperscannern passen die Jeans oder Skischuhe wie angegossen – ohne Anprobieren in engen Garderoben. Die Innenstadt wird zur Kulisse für multimediale Produktwerbung, im Umland entstehen grosse Logistikzentren. Wer digital nicht auf der Höhe ist, hat das Nachsehen.
Brutal digital: Der gläserne Kunde ist Realität – und diesen stört das nicht. Die Ware muss einfach in Windeseile geliefert und kostengünstig sein. Soziale Bedürfnisse spielen beim Einkaufen absolut keine Rolle. Die Innenstadt wird zum Museum, die traditionellen Zentren verlieren an Bedeutung, die Nachfrage nach öffentlichem Raum schwindet. Dafür entstehen Knotenpunkte mit multimodalen, von Drohnen umschwirrten Verkehrssystemen und digitalen Shops in denen die «Einkaufslisten» der Kunden verarbeitet und die Waren ausgeliefert werden. Statt eine Stadt der kurzen Wege eine Stadt der perfekten Logistik.
Die Migros als Quartierladen
Das Thema brennt offenbar unter den Nägeln, fanden sich doch gestern über 300 Personen in Sihlcity ein, wo im Anschluss an die Präsentation auch noch diskutiert wurde. Das Publikum erlebte in Milan Prenosil (Confiserie Sprüngli) einen positiv denkenden Präsidenten der City-Vereinigung. «Die Stadt Zürich wird nicht veröden», sagte er gleich zu Beginn des Gesprächs, das von der Publizistin Esther Girsberger moderiert wurde. Etwas weniger optimistisch tönte er allerdings am Schluss, als aus dem Publikum die Forderung kam, die Detaillisten sollten zur Rettung des Manor an der Bahnhofstrasse zusammenspannen. Es zeigte sich zudem an kleinen, jedoch freundschaftlichen Sticheleien zwischen Prenosil und der Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), dass die Gewerbler sich von der Stadt mehr Unterstützung wünschen. Mauch entgegnete: «Die Ideen muss der Detailhandel selber entwickeln, unsere Aufgabe ist es, zu versuchen, diese zu ermöglichen.» Chalid El Ashker, Gründer des Onlinemarkplatzes Pop up Shops, erfährt in seinem Berufsalltag, dass viele Detaillisten durchaus innovativ sein wollen. «Sie wissen aber nicht, wie sie diese Ideen umsetzen können.»
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Video: Die neue Vegi-Filiale von Coop
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Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München, sah nicht nur Handlungsbedarf bei der Stadt. Er forderte von Migros-Chef Herbert Bolliger, dass der Grossverteiler mehr Verantwortung für die Stadtentwicklung übernehmen müsse. Bolliger wies darauf hin, dass der Trend bereits dahingehe, mit kleineren Formaten die Quartiere zu beleben. «Doch wenn an der Langstrasse Food gefragt ist, bieten wir eben Food an – wir können ja nicht einen Nachtclub betreiben.»
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