Fünf verurteilte Tschetschenen und keine Klarheit
Ein russisches Gericht hat fünf Männer des Mordes am Putin-Kritiker Boris Nemzow für schuldig befunden. Nemzows Tochter kritisiert das Urteil scharf.

Mehr als zwei Jahre nach dem Mord am russischen Oppositionsführer und ehemaligen Vizepremier Boris Nemzow hat ein Moskauer Gericht die fünf Angeklagten schuldig gesprochen. Der Haupttäter, ein ehemaliges Mitglied der tschetschenischen Sicherheitskräfte, wurde wegen Mordes verurteilt, die übrigen vier wegen Beihilfe. Das Strafmass stand gestern noch aus.
Nemzows Tochter Schanna Nemzowa, die als Nebenklägerin auftrat, kritisierte das Urteil. «Der Fall ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Wir haben von den Behörden auch nichts anderes erwartet», schrieb sie auf Facebook. Schon zu Prozessbeginn hatte sie im Gespräch gesagt, dass «die Auftraggeber faktisch nicht festgestellt wurden». Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte am Mittwoch gesagt, der Fall gehöre zu den schwierigsten, doch das heisse nicht, dass die Fahndung nach den Verbrechern aufgegeben werde: «Ein solcher Prozess dauert manchmal Jahre.»
Vor dem Militärgericht
Die Staatsanwaltschaft hatte sich darauf konzentriert, vor den Geschworenen den Tathergang zu rekonstruieren. Diese bekamen Folgendes zu hören: Sechs Männer aus Tschetschenien richteten sich im Herbst 2014 in zwei Moskauer Wohnungen ein, forschten im Internet die Gewohnheiten des Politikers aus und begannen, ihn zu beschatten; am 27. Februar 2015 gegen halb elf Uhr nachts schlich sich der Schütze Saur Dadajew auf der Grossen Moskwa-Brücke von hinten an Nemzow heran, gab sechs Schüsse ab und sprang in ein Fluchtfahrzeug. Dann setzten sich die Tatbeteiligten nach Tschetschenien ab.
Saur Dadajew schilderte nach seiner Festnahme die Tat detailliert, zog sein Geständnis aber später mit der Begründung zurück, er sei gefoltert worden. Ein Verdächtiger wurde bei einem Festnahmeversuch in Grosny erschossen, weshalb schliesslich fünf Männer auf der Anklagebank sassen. Weil Dadajew Angehöriger eines Bataillons des Innenministeriums ist, wurde der Fall vor einem Militärgericht verhandelt.
Spuren zu den Hintermännern
Wadim Prochorow, Anwalt des Ermordeten, der dessen Tochter Nemzowa als Nebenklägerin vertrat, hatte im Laufe der Verhandlungen auf Spuren zu Hintermännern hingewiesen. Nemzow hatte Freunden in den Tagen vor seiner Ermordung von Drohungen aus dem Umfeld des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow berichtet. Der Todesschütze diente im Bataillon Sewer unter dem Kommando von Alibek Delimchanow, einem Bruder von Adam Delimchanow, Abgeordneter der Kreml-Partei Einiges Russland. Als bekannt wurde, dass Dadajew unter Tatverdacht steht, hatte Kadyrow ihn als «wahren Patrioten» in Schutz genommen.
Eine Wohnung, in der die Täter in Moskau lebten, gehörte dem Vizekommandanten des Bataillons Sewer, Ruslan Geremejew, eine zweite hatte er angemietet. Drei Monate nach der Tat wurde Geremejew befördert, inzwischen ist er Oberst der russischen Nationalgarde und Träger des Ordens «Held Russlands». In einer der Wohnungen fanden die Ermittler Zugangskarten zu Zimmern des Hotels, in dem ein Senator der Republik Tschetschenien im russischen Oberhaus wohnte.
Unklar, woher die Belohnung kam
Der Vorsitzende Richter lehnte es ab, diese Spuren zu verfolgen. Der Versuch, Geremejew vorzuladen, scheiterte. Stattdessen gilt nun die Version, dessen Fahrer habe den Mord in Auftrag gegeben. Wie jemand Offiziere höheren Ranges mit einem Mord beauftragen kann und woher er 15 Millionen Rubel (etwa 230'000 Franken) als Belohnung dafür genommen haben soll, blieb ebenso im Unklaren wie die Frage, warum ein tschetschenischer Chauffeur einen solchen Hass gegen einen Oppositionspolitiker in Moskau haben sollte.
Auch die politische Tätigkeit Nemzows wurde ausgeklammert. Mehrmals stoppte der Richter Ansätze, vor den Geschworenen über das angespannte Verhältnis zwischen dem Oppositionellen und dem Kreml zu sprechen. Das habe mit dem Fall nichts zu tun, hiess es.
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