Für die Schweizer Flüsschen sieht die Zukunft düster aus
Den Kleingewässern geht es schlecht. Trotzdem wird ihr Schutz per Anfang Mai noch zusätzlich aufgeweicht.

Wie ein feines Adernetz durchziehen die kleinen Bäche und Flüsslein das gesamte Land – 45'000 Kilometer insgesamt, aneinandergereiht mehr als einmal der Erdumfang. Und wie die Adern eines menschlichen Körpers erfüllen auch die Kleingewässer für den Organismus unverzichtbare Funktionen: Sie sind Heimat unzähliger Tier- und Pflanzenarten, sie schützen gegen Überschwemmungen, sie versorgen viele Lebewesen mit Trinkwasser.Doch längst ist Gift in der Blutbahn. Viel zu viel Gift, wie der Bund in einer neuen Studie ermittelt hat: Die kleinen Fliessgewässer seien mit einer «Vielzahl von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden belastet», teilte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) unlängst mit. In insgesamt fünf Schweizer Bächen machten Forscher die Probe aufs Exempel – nirgendwo waren die gesetzlichen Anforderungen an die Wasserqualität erfüllt. «Selbst Stoffkonzentrationen, die für Gewässerorganismen als akut toxisch gelten, wurden überschritten», hält das Bafu fest. Und es weist auf die Folgen hin: Biologische Untersuchungen hätten ergeben, dass die Lebensgemeinschaften unter den Stoffgemischen litten.
Ungeachtet der eigenen, düsteren Diagnose plant der Bund aber nicht etwa, den Schutz der kleinen Gewässer zu verstärken –, sondern er hat im Gegenteil entschieden, ihn zu schwächen. Per 1.Mai wird die revidierte Gewässerschutzverordnung in Kraft treten, die den Kantonen einen «maximal möglichen Spielraum» verschaffen soll. Der Bundesrat reagiert damit auf Druck von Kantonen, Parlament, Bauern und Grundbesitzern, denen an den Bachufern zu viel Umweltschutz herrscht. «Dort kann man gar nichts mehr machen, bauen erst recht nicht», monierte der Glarner SVP-Ständerat Werner Hösli schon vor zwei Jahren im Parlament. Die jetzige «Flexibilisierung» der Regeln beschloss der Bundesrat am 22.März, just zwei Wochen vor der Publikation seiner Pestizidstudie. Anders als der medial breit abgehandelte Text der Forscher blieb der Entscheid der Regierung weitgehend unbeachtet.
Es darf mehr gedüngt werden
Schwerwiegend ist vor allem die Neuregelung für die sogenannten Gewässerräume. Diese umfassen bei natürlichen Gewässern einen bestimmten Bereich des Ufers, der mit speziellen Vorschriften geschützt ist. Neu hält die Verordnung explizit fest, dass die Kantone auf die Ausscheidung eines Gewässerraums verzichten dürfen, wenn der betreffende Bach «sehr klein» sei. Was mit «sehr klein» gemeint ist, lässt die Verordnung offen – die Kantone hätten hier «Ermessensspielraum».
Zwar bleiben die Bächlein nicht völlig ohne Schutz, wenn der Gewässerraum wegfällt. Andere Verordnungen gewährleisten gewisse Limiten für den Pestizideinsatz. «Doch durch die Lockerung wird es bei sehr kleinen Gewässern wieder möglich, näher beim Ufer intensiv zu düngen», sagt Michael Casanova, Gewässerschutzexperte von Pro Natura. «Die Belastung der Kleinstgewässer wird dadurch weiter zunehmen.» Die sehr kleinen Bäche gehörten zu den «bedrohtesten Lebensräumen», hält auch die Schweizerische Hydrologische Kommission fest. Die Beschlüsse des Bundesrats seien beunruhigend: Mit der gelockerten Verordnung «werden diese Ökosysteme nicht mehr ausreichend geschützt sein».
Politisch pikant ist die Aufweichung auch insofern, als es die Gewässerräume noch gar nicht lange gibt: Sie wurden vor sechs Jahren als Konzession an die Fischer eingeführt, deren Verband damals mit einer Volksinitiative drohte. Die Fischer zogen die Initiative später zurück – die Korrekturen im Gewässerschutz sind inzwischen allerdings unter den Beschuss verschiedener Lobbys geraten. «Die Salamitaktik, mit der die damaligen Versprechen gebrochen werden, muss ein Ende haben», sagt der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti, Präsident des Fischereiverbands.
«Gute, praxistaugliche Lösung»
Beim Bafu stellt man die Widersprüche nicht grundlegend in Abrede. Es sei korrekt, dass der Gewässerschutz mit der neuen Verordnung «etwas gelockert» werde, sagt die zuständige Sektionschefin Susanne Haertel. «Vom Ausmass her fallen die Lockerungen aber kaum ins Gewicht.» Auf den Verschmutzungsgrad der Bäche werde sich die neue Regelung nicht namhaft auswirken. Grundsätzlich habe man jetzt eine «gute, praxistaugliche Lösung», glaubt Haertel. Und die mit den Gewässerräumen erreichten Errungenschaften zugunsten des Umweltschutzes blieben bestehen.
Michael Casanova von Pro Natura bemängelt indes, die Kantone hätten schon die bisherigen Regeln ungenügend vollzogen. Auch deswegen sei der Zustand der kleinen Bäche insgesamt schlecht, vor allem im Mittelland. Und unter den lascheren neuen Regeln werde die Qualität des Wassers nun zusätzlich leiden.
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