Für Drinks schlief sie unter dem Tisch
Die Zürcherin Daniela Huber reiste vom Nordkap nach Gibraltar und besuchte Trinklokal um Trinklokal.

«Auf Reisen, sagte Ernest Hemingway, solle man sich nicht allzu sehr mit Plätzen und Monumenten befassen, denn um eine Stadt kennen zu lernen, müsse man die Nächte in ihren Bars verbringen. Das hat seinen guten Grund, denn in der Bar kann man Delikatessen kosten, die Melodien fremder Sprachen aufnehmen, Freundschaften knüpfen und dem Leben eine andere Wendung geben.»
Das steht im Nachwort. Da, wo sonst analysiert, bilanziert oder romantisiert wird. Dabei ist diese Passage weitaus mehr als ein Nachhall – es ist der Ursprung, der Trieb, der Leitsatz. Es ist das, was Daniela Huber auf ihre Mission beförderte. Das, was ihr Erdung gab, wenn es zu schön wurde, und Halt, wenn sie zu kämpfen hatte. Und schliesslich das, was aus ihrem dreimonatigen Abenteuer dieses bordeauxrote Buch machte, dessentwegen wir nun in der kleinen, aber reichhaltig bestückten Tales Bar unweit der neuen Börse zusammensitzen.
Der Treffpunkt ist ihr Vorschlag. Seit sie vor Jahren im Hotel Rivington selbst hinter der Theke gestanden sei und Drinks kreiert habe, liebe sie Bars mit spektakulären Spirituosen. Zudem gehe es ja eben um «Tales», also um Geschichten. Stimmt, so steht es auf dem Deckel: «Bargeschichten. Vom Nordkap bis Gibraltar». Dreht man das Buch um, liest man dann auch noch dies: «Jede der Geschichten ist wahr – oder könnte es zumindest sein.» Perfide Camouflage? Was proper daherkommt wie ein Barführer für Reiselustige, ist genau genommen fabulierte Fiktion? Sie lächelt – ob schelmisch oder schüchtern, ist schwierig zu beurteilen – und sagt: «Es ist beides. Jedes Lokal wird man sofort wiedererkennen, wenn man drin steht, da und dort wird das auch beim Personal und den Gästen der Fall sein … Ob sich die Geschichten aber so zugetragen haben, wie es da steht – wer weiss?»
Ein kurzes Schulterzucken, ein nächstes Lächeln, ein grosser Schluck ihres Mezcal-Daiquiri. Der ideale Moment für einen Schnitt … und für ein paar biografische Zahlen und Fakten.
Zu viel Struktur geht nicht
Daniela Huber, geboren 1986 in Zürich. Verbringt ihre Kindheit im Zürcher Oberland und in Singapur, ist dabei oft allein, was bei ihr indes nicht zu Introvertiertheit, sondern zu Kreativschüben in unterschiedlichen Sparten (Basteln, Zeichnen, Seichmachen) führt, weshalb sie sich zu einer entsprechenden Berufslehre entschliesst – und Damenschneiderin wird.
«Als mein Frust verraucht war, kaufte ich zwei Bier und schrieb aus der Erinnerung alles nochmals auf.»
Während der Lehre entscheidet sie sich für die Berufsmatura, macht danach die einjährige «Passerelle» an der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene in Zürich und ergattert sich damit die eidgenössische Matura, die ihr Zulass zur Universität gewährt. In Bern und Zürich studiert sie Englische Literatur, Linguistik und Filmwissenschaft. Dabei haben sich – kurzes Intermezzo – auch mehr und mehr ihre belletristischen Favoriten und Vorlieben herauskristallisiert; neben Hemingway (logo!) sind das auf amerikanischer Seite die Beatniks, John Steinbeck oder William Faulkner und ansonsten vor allem Vertreterinnen und Vertreter des «Magical Realism» wie Isabel Allende, Carlos Ruiz Zafón, Gabriel García Márquez oder Haruki Murakami. Intermezzo Ende.
All dies läuft allerdings nicht ganz so zeitlich linear wie hier skizziert, denn Daniela Huber unterbricht ihren Bildungsprozess an der Mittel- und Hochschule immer wieder durch Erfahrungen in der Lebensschule, will sagen, sie arbeitet in Bars oder als freischaffende Gestalterin. Verdientes investiert sie in mehrere mehrmonatige Reisen, die sie nach Indien, Australien und Peru führen. Dort, in den Anden, versucht sie es dann auch mal als Englischlehrerin, merkt aber schnell, dass sie in solch festen Strukturen unglücklich ist, also bricht Huber die Übung ab und zieht weiter.
Auf diesen Trips entwickelt sie sich zur gnadenlosen Tagebuchautorin und -zeichnerin, ganze 18 Stück hat sie bis dato vollgeschrieben oder mit Bildern versehen, «es ist wie eine fixe Idee, eine Sucht, ich kann es nicht lassen». Und weil es wunderbarerweise manchmal tatsächlich genau andersrum läuft, wird bei ihr aus dieser Berufung ein Beruf – im Bereich des Corporate Publishing fertigt sie auf Mandatsbasis Texte und Illustrationen an, und bei der «Thurgauer Zeitung» (TZ) wird sie zur freien Journalistin.
Als Freelancerin beschreibt sie dann für die TZ im kalten Dezember 2015 in lakonischem Ton einen «Tatort»-Drehtag in Altnau am Bodensee – und gewinnt mit dieser «Choreografie des Unspektakulären», so der O-Ton der Jury, den mit 5000 Franken dotierten Ostschweizer Medienpreis in der Kategorie «Tagestext».
Es gab auch eine Art «Bucket List»
So, und damit ist der Moment gekommen, an dem wir an die Theke der Tales Bar zurückkehren, wo die Autorin eben ihren Kelch auf das glänzende Holz stellt – und wir mit dem Gespräch zu ihrem Buch fortfahren. Weil: Besagtes Preisgeld, ergänzt durch denselben Ertrag an Erspartem, ist nämlich vor etwas mehr als zwei Jahren sozusagen der erste Schritt ins Abenteuer – notabene eines mit speziellem Charakter, wie sie betont: «Normalerweise lasse ich mich treiben und schaue, wo ich hingelange oder strande. Diesmal aber musste ich planen, anders wäre das Projekt nicht zu schaffen gewesen.»
«Dass viele Männer noch immer nicht entspannt damit umgehen können, wenn eine Frau allein in einer Bar auftaucht, hat mir echt zugesetzt.»
«Das Projekt» meint ihren Entschluss, von April bis Ende Juni 2017 per Bus, Zug oder Schiff vom hohen Norden Europas bis an dessen südliche Spitze zu reisen, dabei wie von Hemingway geraten möglichst viele Bars zu «erleben», emsig Notizen zu machen – und das entstandene Manuskript nach der Rückkehr zur Shortstory-Sammlung auszuarbeiten. Und all das allein? «Ja, allein. Wer hätte schon kurz entschlossen genug Geld, Elan und Zeit für eine dreimonatige Bartour? Ich habe gar nicht erst rumgefragt.»
Am Ende sind es 90 Bars, in die sie einkehrt. Zu 72 macht sie Notizen, 42 davon werden letztlich ausformuliert. Mehr, findet sie, wäre zu viel des Guten gewesen, «irgendwann ist die Fantasie abgeschöpft». Das Gros dieser Lokale hat sie neu entdeckt, auch dank Tipps von Leuten, einige aber stehen bereits vor der Abreise auf ihrer «Bucket List», der Besuch ist heilige Pflicht. Zu diesen Etablissements gehört auch das «Little Red Door» in Paris. Dazu findet man im Buch folgende Passage:
«Voilà le numéro six.» Er stellt mir ein Champagnerglass mit einer hellgoldenen Flüssigkeit hin. Ich hatte an etwas Dunkles und Trauriges gedacht, an eine fremde Grossstadt, die einsam und allein daliegt in der Nacht, der Drink aber schmeckt wie der Sonnenaufgang an einem Ort, wo weisse Vorhänge im Wind wehen.»
Was beim Lesen auffällt: Auch wenn sie als Erzählerin amtet, gibt sich Daniela Huber in ihren Geschichten meist nur die Nebenrolle, im Zentrum steht, um es mit einem berühmten Filmtitel zu sagen, das Leben der andern. Darauf angesprochen, nickt sie und sagt, das sei exakt der Kern der Sache: «Das, was im Alltag um uns herum passiert, nehmen wir oft gar nicht mehr wahr, dafür nimmt die Ich-Bezogenheit stetig zu. Ich fände es schön, wenn mein Buch ein paar Leute dazu animieren könnte, sich wieder mal allein mit einem Drink in die schummrige Ecke einer Bar zu setzen, sich der Atmosphäre hinzugeben und zu beobachten, was andere Gäste machen. Das kann bestes Kopfkino geben.»
Die Lieblingsbar steht in Tallinn
Die Stunde ist um, wir haben viel geredet, viel besprochen. Doch etwas fehlt, das bislang Thematisierte wirkt fast zu harmonisch, zu lieblich, wie ein Tequila ohne Salz und Zitrone, es knallt einfach noch nicht rein.
Daniela Huber lacht, sie hat verstanden und legt los: «Okay, irgendwie absurd waren die Situationen, in denen ich für 20 Euro in einer Billigstabsteige oder gar für kein Geld unter einem Tisch übernachtete, am selben Abend 70 Euro für gute Drinks ausgab. Der schlimmste Moment war der, als mir an einem Strand in Spanien die Tasche mitsamt Notizen gestohlen wurde. Zum Glück war es ein neues Heft, ich hatte darin nur drei oder vier Bars abgehandelt. Als mein Frust verraucht war, kaufte ich zwei Bier und schrieb aus der Erinnerung alles nochmals auf.» Und was hat am meisten genervt. Die Antwort kommt unheimlich schnell: «Dass viele Männer noch immer nicht entspannt damit umgehen können, wenn eine Frau allein in einer Bar auftaucht, hat mir echt zugesetzt.» Ihr bestes «Date» beziehungsweise ihr wichtigster Gefährte, schiebt sie umgehend nach, sei darum das Notizheft gewesen, gerade wenn sie darin schrieb, habe ihr das manch mühsamen Mann vom Leibe gehalten.
Bleibt eigentlich nur noch die Frage nach dem Lieblingslokal auf der Reise. Diesmal muss sie länger überlegen. «Ich nehme die Bar Sigmund Freud in Tallinn – Interieur, Leute, Drinks, da stimmte irgendwie alles. Und als dann aus den Lautsprechern noch Jim Morrison mit ‹This is the end› ertönte ...» Doch, das ist ein guter Schluss.
Daniela Huber: Bargeschichten. Vom Nordkap bis Gibraltar. Alambic Books, 272 S., 19 Fr. Erhältlich bei J. B. Labat, Brauerstr. 51, oder in Buchhandlungen.
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