Für Idlib besteht eine leise Hoffnung
Eine entmilitarisierte Zone soll Rebellen und Regierungssoldaten in Syrien trennen und damit eine grosse Flüchtlingswelle verhindern. Wie lange die Abmachung hält, ist allerdings offen.

Es war am russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu, die Quintessenz des Treffens zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in Sotschi zu verkünden: Es werde keine Offensive in der Provinz Idlib geben, gegen die letzte Rebellen-Hochburg in Syrien – zumindest vorerst nicht. Die Präsidenten hatten eine demilitarisierte Zone vereinbart, die Rebellen und Regimetruppen trennen soll.
Klar ist bisher nur der Rahmen der Übereinkunft: Bis 15. Oktober soll ein 15 bis 20 Kilometer breiter Korridor eingerichtet sein. Fünf Tage vorher müssen schwere Waffen wie Panzer und Mörsergranaten aus dem Gebiet abgezogen werden. Auch die Jihadisten der Al-Qaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Sham müssen aus der Zone verschwinden. Wie genau sie dazu gebracht werden sollen, ist wohl die entscheidende Frage.
Andere Rebellen dürften hingegen in dem Gebiet bleiben, etwa Milizen, die der Nationalen Befreiungsfront angehören. Sie umfasst zumeist islamistische Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden und von ihr abhängig sind. Russische Militärpolizei und türkische Truppen sollen die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, schon heute haben beide dort Beobachtungsstützpunkte.
Jihadisten gefügig machen
Erdogan verkauft die Einigung als Erfolg. Zehn Tage zuvor, bei einem Gipfel im Iran, hatten Moskau und Teheran sich einer solchen Lösung noch widersetzt. Jetzt, so sagte er, sei «eine grosse Krise für die Menschen» in Idlib abgewendet worden. Zumindest entschärft wurde eine weitere Krise für Erdogan selbst: Die Türkei hat bereits 3,4 Millionen Syrer aufgenommen, eine Schlacht in Idlib hätte laut der UNO weitere 800'000 Menschen ins Nachbarland treiben können. Angesichts der desaströsen Wirtschaftslage eine Horrorvorstellung für Erdogan.
Allerdings ist offen, ob die Türkei auch liefern kann: Ankara hat Hayat Tahrir al-Sham zur Terrororganisation erklärt, der türkische Geheimdienst pflegt aber wohl noch informelle Kontakte zu der Miliz. Ob diese reichen, um die Jihadisten gefügig zu machen, ist fraglich.
Über die sozialen Medien warnte deren Führung jedenfalls ihre Kämpfer. Wer auch immer sie dazu auffordere, Waffen abzugeben, müsse zuallererst bekämpft werden. Ihr Führer, der Syrer Abu Mohammad al-Jolani, äusserte sich bisher nicht. Ende August hatte er jedoch die Abgabe von Waffen durch Rebellen in Syriens Süden als «Verrat an Gott, seinem Propheten und dem Blut der Märtyrer» bezeichnet.
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Bildstrecke: Rebellen bereiten sich auf Offensive vor
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Auch für die anderen Rebellen ist das Abkommen schwierig: Ein Abzug schwerer Waffen heisst für sie, dass sie bei Vorstössen des Regimes kaum zurückschlagen können. Und auch die Bedingung Putins, dass moderate und radikale Assad-Gegner getrennt betrachtet werden müssten, kann ihnen gefährlich werden: In Aleppo oder der Region Ost-Ghouta etwa nahm das Regime die Präsenz von radikalen Kämpfern zum Vorwand für Offensiven gegen Gruppen, die in Deeskalationsabkommen eingebunden waren.
Auch wie lange die Vereinbarung gelten soll, ist unklar. Russland habe Syrien mitgeteilt, die Einrichtung von Pufferzonen sei zeitlich begrenzt, meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur. So könnte es sein, dass Putin und Assad die langfristigen Profiteure dieses Deals werden. Russland hat der Türkei aufgebürdet, die moderaten und die radikalen Rebellen zu entflechten und sie dazu zu bringen, schwere Waffen von der Front abzuziehen. Gelingt dies Ankara nicht, kann der Kreml argumentieren, man habe alles versucht, nun sei ein militärisches Vorgehen unausweichlich.
Autobahn wieder befahrbar
Zeigen muss sich auch, ob Russland das Regime und die vom Iran kontrollierten Milizen zügeln kann, die Assad unterstützen. Die syrische Führung begrüsste die Einigung zwar am Dienstag und betonte, dass Moskau in enger Absprache mit Damaskus verhandelt habe. Zunächst bringt sie das Regime einem lange verfolgten Ziel näher: der Wiedereröffnung der einst wichtigsten Nord-Süd-Achse, die Aleppo mit Damaskus verband. Die demilitarisierte Zone deckt zwar nicht den gesamten Autobahnabschnitt in Idlib ab. Gestern versprach der türkische Aussenminister aber, dass sie bis Jahresende wieder «für den Verkehr geöffnet» werde – genau wie die Strasse M4, die von Aleppo ans Mittelmeer führt.

Auch dieser Erfolg dürfte das Regime nicht davon abhalten, die Vereinbarung später zu unterminieren – was doch noch zu dem befürchteten Blutbad und einer Massenflucht führen würde. Denn Assad kann sich darauf verlassen, dass Moskau ihn letztlich aus strategischen Gründen bei der Erfüllung seines Schwures unterstützen wird, den er zu Beginn des Bürgerkriegs getan hat: jeden Zentimeter syrischen Boden zurückzuerobern.
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