Ganz normales Kidnapping
Interpol agiert, als wäre die Inhaftierung ihres Präsidenten in China kaum der Rede wert.
Gerade ist Interpol gedemütigt worden wie wohl noch keine internationale Organisation vor ihr: Die nominelle Nummer eins von Interpol, der Chinese Meng Hongwei, der als Präsident eine eher repräsentative Rolle innehat, ist in China offenbar von der Strasse weg gekidnappt und in ein inoffizielles, «schwarzes» Gefängnis der Kommunistischen Partei verschleppt worden, wo er seither ohne rechtlichen Beistand verhört wird.
Gegen ihn werde wegen Korruption ermittelt, hat die Kommunistische Partei inzwischen mitgeteilt. Auf diese Nachricht hatte man gewartet. Auch bei Interpol. Denn der 64-jährige Meng wird seit dem 25. September vermisst.
Doch von Interpol ist seither keine Silbe des Protests zu hören gewesen. Man nehme den «Rücktritt» Mengs an, erklärte der Generalsekretär stattdessen in Lyon, nachdem am Sonntagabend eine kurze «Rücktrittserklärung» bei ihm eingegangen war. Angeblich hat Meng diese in Haft verfasst. «Medienberichte», wonach es Meng schlecht gehe, kenne man, hatte Interpol schon am Freitag erklärt. Man werde aber nicht selbst ermitteln.
Video: China wirft Interpol-Chef Korruption vor
Interpol hat keine eigenen Polizeibefugnisse, sie vermittelt nur zwischen Polizeibehörden weltweit. Der verschwundene chinesische Interpol-Präsident sei ein Fall für die französischen und die chinesischen Behörden. Und zur Beruhigung der Hinweis: «Der Interpol-Generalsekretär ist in Vollzeit verantwortlich für die Führung der Organisation im Alltag.» Die Arbeit gehe also weiter.
Es wirkt wie ein leicht grotesker Moment in der 95-jährigen Geschichte der internationalen Polizeiorganisation. Schon immer war Interpol ein Diener vieler Herren, der Staatengemeinschaft, zu der nicht nur Rechtsstaaten gehören. Schon immer erforderte das ein Mass an politischer Zurückhaltung. Interpol-Beamte müssen diplomatisch auftreten, wenn sie den Informationsaustausch mit Diktaturen aufrechterhalten wollen, und daran gibt es ein pragmatisches Interesse. Aber so viel demütiges Schweigen ist bemerkenswert.
Es war Mengs Ehefrau, die am Sonntagabend in Lyon vor Journalisten ihre Regierung kritisierte. Sie zeigte eine Whatsapp-Nachricht ihres Mannes. Am 25. September, nach einer Flugreise von Lyon nach China, hatte er ihr geschrieben: «Warte auf meinen Anruf.» Eine zweite Mitteilung habe lediglich aus einem Emoji bestanden, dem Bild eines Messers. Angeblich sei dies ein heimlich vereinbartes Zeichen gewesen, falls Meng in Gefahr gerate. Danach riss der Kontakt ab.
Womöglich fiel Meng in Ungnade
In den zwei Jahren seiner Amtszeit bei Interpol hatte Meng sich oft in Lyon gezeigt. Das ist nicht selbstverständlich. Interpol-Präsident ist ein klangvoller Titel, der aber mit wenigen Pflichten einhergeht. Meng musste in Lyon Sitzungen leiten: drei Mal im Jahr. Er musste eine Rede halten: ein Mal im Jahr. Meng hatte die Funktion ursprünglich nur als Nebenamt ausgeübt. Bis 2017 war er im Hauptamt stellvertretender Polizeiminister Chinas. Im vergangenen Jahr dann verlor er in Peking den Posten, womöglich fiel er in Ungnade. Dass er daraufhin mit seiner Frau nach Lyon zog, war bereits auffällig. Eine erste Absetzbewegung?
Pekings Umgang mit Meng ist typisch dafür, wie innerparteiliche Auseinandersetzungen in jüngerer Zeit geführt werden. So macht es die Kommunistische Partei regelmässig mit Kadern, denen sie Verfehlungen vorwirft: Zunächst verhört die Partei den Verdächtigen selbst, in ihren eigenen Haftgebäuden, ohne Kontakt zur Aussenwelt. Dann erst übergibt sie ihn der Justiz. Der Verdächtige Meng habe «Bestechungsgelder angenommen», erklärte das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Peking am Montag, man werde nun ein Verfahren gegen ihn vorantreiben.
Und die Antwort von Interpol? Nach den internen Regeln werde nun der dienstälteste Vizepräsident nachrücken, der Südkoreaner Kim Jong Yang, danach werde bei der regulären Vollversammlung aller 192 Mitgliedsstaaten vom 18. bis 21. November in Dubai ein neuer Präsident gewählt. Eine Rückkehr zur Normalität also.
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