Gefangen in Homs
Der Gang zum Bäcker ist ein lebensgefährlicher Spiessrutenlauf, Kälte und Lebensmittelknappheit beherrschen den Alltag, immer wieder Granateneinschläge. Augenzeugenberichte aus der belagerten Stadt Homs.
Nur über Umwege dringen Berichte aus Homs an die Öffentlichkeit, denn die syrische Regierung erlaubt keine Journalisten in der Hochburg der Opposition. Während der syrische Nationalrat im Golfemirat Katar berät, wie das Blutvergiessen gestoppt werden könnte, fordern die Offensiven der syrischen Regierungstruppen Dutzende von Toten. Nach Informationen des Nachrichtensenders al-Arabiya kamen allein heute Morgen 31 Menschen ums Leben.
Ein Aktivist in der Stadt sagte der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, der Beschuss sei derzeit «sehr intensiv». Geschossen werde unter anderem mit Raketen und Mörsergranaten. Damit bereite die Armee offenbar eine Bodenoffensive vor. Ein anderer Aktivist sagte, Panzer seien von Damaskus aus auf dem Weg nach Homs. «Wir fürchten ein neues Massaker.»
Verbarrikadiert im Wohnzimmer
Einige wenige Journalisten konnten mit Anwohnern sprechen, um ein Bild der Zivilbevölkerung vor Ort zu zeichnen. Ein syrischer Augenzeuge, der aus Homs in den Libanon geflohen ist, sagte gegenüber «Spiegel online», von etwa 150 Häusern in seiner Strasse seien 25 durch Granateinschläge so zerstört, dass sie nicht mehr bewohnbar seien. Oberhalb des dritten Stocks sei sein Elternhaus inzwischen mit Einschusslöchern übersät. Mit Beginn der Offensive sei seine Familie ins Erdgeschoss ihres Hauses geflohen. Hier verbringen sie seither ihre Tage und ihre bangen Nächte: «Wir schlafen vielleicht zwei Stunden pro Nacht.»
Wegen Elektrizitätsausfällen würde nachts auf den Strassen eine unheimliche Dunkelheit herrschen. «Strom gibt es gerade mal eine Stunde am Tag, heizen kann keiner. Ganz Homs friert.»
Viele Häuser in Homs haben keine Keller, deshalb verbarrikadierten sich die meisten Menschen im Erdgeschoss, berichtet auch ein Reporter der BBC. Die meisten trauten sich kaum vor die Türe, es droht Lebensgefahr. Sie essen Brot mit Olivenöl und Thymian sowie Reis, sagt der Augenzeuge gegenüber «Spiegel online», der aus einer wohlhabenden Familie stammt.
Brot holen: Ein Himmelfahrtskommando
Doch auch das Brot geht einmal zur Neige. Der BBC-Reporter berichtet, als die Bäckerei im Quartier getroffen wurde, habe der Mann, der üblicherweise die Verletzten und Toten ins Krankenhaus fahre, in einem anderen Stadtteil Brot für die Nachbarn geholt, ein Himmelfahrtskommando. Vor einigen Tagen hätten Sniper einen Teenager umgebracht, berichtet ein Anwohner gegenüber al-Jazeera, in der Hand hätte er noch einen Laib Brot gehalten (siehe Video).
Eine Reporterin von al-Jazeera, die bis nach Bab Amr vordrang, ein Stadtteil von Homs, der besonders stark unter Beschuss steht, fragte einen Aktivisten vor Ort, weshalb die Anwohner nicht flüchteten. Die sei nur möglich, wenn man Verwandte mit Wohnsitz in einem anderen Quartier habe: «Wenn sie diese Option nicht haben, wo sollten sie dann hin?»
Militärische Optionen verstärkt
Inzwischen setzt der Übergangsrat stärker als bisher auf militärische Optionen. Unter anderem wird über die Bewaffnung von Deserteuren diskutiert. Ausserdem soll in Katar nach Informationen aus Oppositionskreisen darüber abgestimmt werden, ob der Sorbonne-Professor Burhan Ghaliun weiterhin Vorsitzender des Rates sein soll.
Unter arabischen Diplomaten wird derweil erwogen, den von mehreren Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen. Über diese Frage werde am Sonntag bei einem Treffen der Arabischen Liga in Kairo diskutiert, hiess es.
Der Generalsekretär der Liga, der Ägypter Nabil al-Arabi, hatte gestern bei den Vereinten Nationen angefragt, ob diese UNO-Beobachter nach Syrien schicken könnten, die dort dann gemeinsam mit arabischen Beobachtern arbeiten könnten.
«Nicht wie ein Elefant im Porzellanladen»
Russland und China hatten am Wochenende mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat eine Syrien-Resolution verhindert. Nach einem Besuch in Damaskus sagte Russlands Aussenminister Sergei Lawrow am Dienstag, Assad habe ihm zugesichert, die Gewalt zu beenden. Der britische Regierungschef David Cameron sagte gestern, er habe nur «begrenztes Vertrauen» in die Ergebnisse dieses Treffens.
Lawrow selbst antwortete auf die Frage eines Journalisten, ob er Assad bei dem Treffen zum Rücktritt aufgefordert habe, ausweichend: Die Syrer allein müssten über das Schicksal ihres Präsidenten entscheiden. Zugleich kritisierte er die Entscheidung mehrerer Staaten, ihre Botschafter aus Damaskus abzuziehen, als «unlogisch». Auch Regierungschef Wladimir Putin sagte laut der Nachrichtenagentur Interfax, die Syrer müssten selbst entscheiden. «Natürlich müssen wir die Gewalt von allen Seiten verurteilen, wir dürfen uns aber nicht aufführen wie ein Elefant im Porzellanladen.»
Nach Angaben eines EU-Diplomaten werden derzeit die EU-Vertretungen in Jordanien und im Libanon verstärkt, um sich im Ernstfall um «einige Tausend» in Syrien lebende Europäer zu kümmern. Die Türkei plant nach Worten von Aussenminister Ahmet Davutoglu in Kürze eine internationale Konferenz zum Konflikt in Syrien.
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