Gegen den Trend
Susann Schweizer deckt Zürich mit Afromode ein, die sie an der Elfenbeinküste produziert. Ihre Kollektion ist begehrt: Es gibt nämlich nur eine pro Jahr.

Kürzlich an einer Kunstvernissage in Basel: Zwei Frauen stellen fest, dass sie beide die gleiche Bluse tragen und beide aus Zürich kommen. Sie beginnen, länger zu plaudern. Die Szene ist deshalb erwähnenswert, weil die Frauen keine Massenware aus dem H & M oder Zara tragen – in diesem Fall trifft man ja schnell mal auf eine Doppelgängerin mit gleichem Mantel –, sondern handgenähte Blusen im afrikanischen Stil vom Modelabel Poplin Project.
Hinter dem Projekt steht die Zürcher Modedesignerin Susann Schweizer. Mit Hosen, Hemden, Overalls, Jupes oder Kleidern für Damen, Herren und Kinder aus traditionellen afrikanischen Stoffen ging sie im Sommer vor einem Jahr auf den Markt. Die erste Kollektion, die sie an der Pfingstweidstrasse vorstellte, war innerhalb weniger Stunden praktisch ausverkauft. «Es war ein totaler Hype. Fast schon unheimlich», erinnert sie sich. Auf dem Webshop, den sie eigentlich geplant hatte, um die Mode unter dem Jahr zu verkaufen, gab es nur noch «Restposten». Seit Poplin Project auf dem Markt ist, sieht man auf Zürichs Spielplätzen immer mehr Babys und Kleinkinder in bunt gemusterten Hosen herumkrabbeln, und nicht nur an Kunstvernissagen gehören Kleider von Poplin zum modischen Statement.
Schmeichelnde Casual-Schnitte
Zwar gibt es mittlerweile einige Schweizer Modeprojekte, die auf afrikanische Waxprints setzen; international ist der Trend schon seit einigen Jahren ein Thema. Aber Schweizer, die bei PKZ als Design- und Trends-Manager arbeitet, hat ein besonders geschicktes Händchen für gut sitzende, leicht taillierte Casual-Schnitte, die jeder Figur schmeicheln. Deshalb sieht man in ihren Kleidern weder wie ein Hippie, eine Ethnologin oder wie ein Missionar aus, sondern cool. Und bezahlbar sind die Kleidungsstücke auch.
Diesen Sommer hat Schweizer ihre zweite Poplin-Kollektion, die sie mit (Wohn-)Accessoires wie Taschen und Kissen erweitert hatte, an der Langstrasse präsentiert. Betrat man das Pop-up-Verkaufslokal, wurde einem beinahe schlecht vor lauter Leuten, Farben, Mustern. Erneut kauften die Kunden Schweizers kleinen Laden leer, der nur während dreier Tage offen war. Ein paar Wochen später ging die Designerin an die Berliner Fashion Week, wo sie in einem Showroom ebenfalls mit Erfolg verkaufte. «Ich könnte wohl ein eigenes Geschäft aufmachen. Aber es würde meinen Grundsätzen widersprechen, weil ich so mehrmals pro Saison neue Sachen produzieren müsste. Das will ich nicht», sagt die 44-Jährige.
Sie setzt bewusst auf Slow Fashion: Es gibt nur eine Kollektion pro Jahr. Jedes Kleidungsstück wird nach ihren Entwürfen in kleinen Ateliers und Werkstätten an der Elfenbeinküste von lokalen Schneiderinnen und Schneidern, die sie persönlich kennt, zugeschnitten und verarbeitet. Zweimal pro Jahr fliegt sie dafür ein paar Wochen «runter».
«Die Suche nach schönen Mustern und Stoffen ist wie eine Jagd – es gibt keine Garantie, dass ich sie wiederfinde.»
Die Waxprint-Stoffe, welche die Basis der Kreationen bilden, sucht Schweizer auf verschiedenen Märkten in Afrika zusammen. Etwa in Abidjan, der Metropole der Elfenbeinküste. «Man kann sich stundenlang verlieren, und ich werde immer ein wenig wahnsinnig, weil ich das Gefühl habe, ich hätte nicht alle Stoffe gesehen.» Wenn sie ein besonders schönes Muster sieht, schlage sie sofort zu. «Es gibt keine Garantie, dass man den Stoff an einem anderen Ort nochmals findet. Es ist wie eine Jagd», sagt sie.
Für die Kleider ihrer mitteleuropäischen Kunden wählt sie bewusst keine allzu wilden Muster. «Ich glaube, allzu crazy dürfen sie nicht sein, sonst getrauen sich die Leute nicht mehr, sie zu tragen.» Geometrische Motive würden sich gut eignen. Trotzdem könne sie sich beim Einkauf manchmal kaum zurückhalten. «Viele Waxprints gehen mit dem Zeitgeist. Es ist Pop-Art.» So gibt es Prints mit Obama-Logos, Mobiltelefonen oder Turnschuhen. Und wenn bei uns florale Muster angesagt sind, sieht man sie auch auf den Waxprints.
Immer schon Afrika-affin
Dass sich Susann Schweizer mit afrikanischen Stoffen auskennt und es geschafft hat, innerhalb weniger Wochen an der Elfenbeinküste eine Modeproduktion aufzubauen, kommt nicht von ungefähr: Seit Jahren hegt sie ein Faible für Afrika. Dabei hat sie sich nicht einmal in einen Afrikaner verliebt: Ihr Mann ist Schweizer, aber auch Afrika-affin. In den letzten Jahrzehnten reisten die beiden regelmässig nach Südafrika oder Westafrika. Darunter auch an die Elfenbeinküste. «Da wir lange in Paris lebten, wo wir bis heute eine Wohnung haben, waren wir der frankofonen westafrikanischen Kultur immer sehr nahe», sagt sie. Tatsächlich gibt es in Paris einige Quartiere, in denen man das Gefühl hat, man befinde sich in Dakar.
Schweizer kam relativ zügig nach Paris: Nach der Modeausbildung in Basel, dem Master am St. Martin's College in London und Erfahrungen als Assistentin beim Zürcher Magazin «Bolero» ging sie in die französische Hauptstadt. Sie entwarf Mode bei namhaften Labels wie Cacharel, einem französischen Traditionsunternehmen, sowie beim Unterwäschelabel Princess Tamtam. Irgendwann, während einer Reise nach Afrika, die sie aus ihrem schnellen Pariser Fashion-Alltag katapultierte, habe es bei ihr Klick gemacht: «Ich stellte meinen Berufsstand infrage und realisierte, dass ich einen Weg finden wollte, um der schnelllebigen Modekultur die Stirn zu bieten.» Es schien ihr plötzlich logisch, dass sie diesen langsameren Weg in Afrika begehen könnte.
Gutes tun und Schönes kreieren
Der Start war nicht einfach. Zuerst arbeitete Schweizer mit einigen Schneidern, die keine Grundausbildung hatten. «Sie konnten mit meinen Schnittmustern und Prototypen gar nichts anfangen.» Weil sie selber «ultraperfektionistisch» sei, habe sie immer wieder Mühe gehabt loszulassen. Etwa wenn Hosen falsch genäht wurden und sie den Leuten sagen musste, dass sie andere Vorstellungen vom Resultat hatte. «Sie waren schnell verletzt, und es war manchmal schwierig, sie zu motivieren.» Ihr wurde erstmals so richtig bewusst, dass im Westen alles auf Optimierung angelegt ist. «Bei uns geht es immer darum, noch besser zu werden», sagt Schweizer. In Afrika sei das nicht unbedingt gefragt. Man müsse sich in die Menschen dort versetzen: «Macht es für sie Sinn, immer besser und finanziell erfolgreich zu werden, wenn man den Erfolg und das Geld am Schluss mit einem halben Dorf teilen muss?»
Mittlerweile arbeitet Schweizer mit Schneiderinnen in mehreren Ateliers. Eine konnte sich dank der Nähaufträge für Poplin Projet sogar selbstständig machen. Dass ihr Projekt auch für ein soziales Engagement steht, war Schweizer von Beginn weg klar: 33 Prozent des Gewinns spendet sie lokalen Organisationen an der Elfenbeinküste, die wiederum in die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen investieren.
Der Designerin geht es aber um weit mehr als nur darum, ein guter Mensch zu sein. Dass sie in Afrika Mode produziert, hat vor allem damit zu tun, dass sie das Handwerk und die afrikanischen Stoffe liebt. «In Afrika geht man, wenn man es sich leisten kann, zum Schneider und lässt sich ein Kleidungsstück nähen.» Diese Wertschätzung für Selbstgemachtes sei in unseren Breitengraden, wo Mode ein Wegwerfprodukt sei, völlig verloren gegangen. «Dabei gibt es nichts Schöneres, als etwas Handgemachtes tragen zu können.»
Poplin Project mache es möglich, diese Wertschätzung wieder ins Zentrum zu stellen. Deshalb plant Schweizer auch, traditionelle westafrikanische Druck-, Web- und Färbetechniken in ihre Mode zu integrieren und wieder herstellen zu lassen. Solche Techniken sind selbst in Afrika vom Aussterben bedroht. «Ich werde daran arbeiten», sagt Schweizer, «dass das nicht passieren wird.»
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