Geheimnisvolle Kreidemännchen
Krimi der Woche: Um mysteriöse Kreidezeichen, die 30 Jahre nach einem Mord plötzlich wieder auftauchen, dreht sich «Der Kreidemann» der Engländerin C. J. Tudor.

Der erste Satz
Der Mädchenkopf lag auf einem kleinen Haufen orangebrauner Blätter.
Das Buch
«Jeder Junge will mal eine Leiche entdecken. So ziemlich das Einzige, was ein Zwölfjähriger noch lieber entdecken würde, ist ein Raumschiff, ein vergrabener Schatz oder ein Pornoheftchen.» Der 12-jährige Eddie hat tatsächlich eine Leiche entdeckt. Inzwischen sind 30 Jahre vergangen, und die Sache mit dem toten Mädchen im Wald beschäftigt den 42-jährigen Ed immer noch.
Zwischen 1986 und 2016 pendelt die Geschichte hin und her, welche die englische Autorin C. J. Tudor in ihrem Thrillerdebüt «Der Kreidemann» aus der Sicht von Ed erzählt. Angefangen haben die mysteriösen Ereignisse, als ein Mann Eddie auf die Idee brachte, in der Gruppe von gleichaltrigen Kumpels mit Kreidezeichen geheime Botschaften auszutauschen. Das fanden die Kids toll. Bis sie feststellten, dass auch jemand anders Botschaften in Form von Kreidezeichnungen hinterliess. Zeichen, die sie zur Leiche des Mädchens führten. Und nun, 30 Jahre später, bekommt Ed einen Umschlag mit einem Stück Kreide und einem Blatt, auf das mit Kreide ein Männchen gezeichnet ist. Auch seine Kumpel von damals bekommen solche Nachrichten. Wer steckt dahinter? Und was geschah damals wirklich?
Der Plot ist reizvoll, und C. J. Tudor ist eine gute Erzählerin. Sie versteht es, die Welt dieser Jugendlichen in den 1980ern ebenso anschaulich und mit Humor zu beschreiben wie dieDesillusionierung, die Eds Leben als 42-jähriger Lehrer prägt. So wird «Der Kreidemann» nebenbei auch fast zu einer Coming-of-Age-Geschichte aus der englischen Provinz. Tudor legt ihrem Ich-Erzähler auch allerlei schlaue Lebensweisheiten in den Mund. «Mit zunehmendem Alter wird man nicht unbedingt klüger, nur intoleranter.» Oder: «Gute Menschen brauchen keine Religion, weil sie wissen, das Richtige zu tun.» Dabei wirkt es fast schon etwas zu routiniert, wie die Autorin die Geschichte entwickelt. Ihr Erzählstil ist zwar locker, aber doch recht ökonomisch, Ausschweifungen erlaubt sie sich nur dort, wo sie der Charakterisierung von Personen dient. Was mit der Zeit ein bisschen nervt, ist das sich stets wiederholende Setzen eines Cliffhangers, wenn die Geschichte von Kapitel zu Kapitel in der Zeit hin und her springt. Das wirkt fast wie aus dem Lehrbuch für Thrillerautoren. Viele Leser scheinen das zu mögen. Auf jeden Fall wurde der auch im Original erst in diesem Jahr erschienene Roman bereits in mehrere Dutzend Länder verkauft. Dabei könnte die Geschichte auch ohne billige Kniffs, die Spannung erzeugen sollen, fesseln. Vielleicht vertraut Tudor ja in ihrem zweiten Thriller, den sie bereits fertig geschrieben hat, mehr auf die Kraft der Geschichte.
Die Wertung
Der Autor
C. J. Tudor – «mein erster Vorname ist Caroline, aber die meisten Leute nennen mit Caz» – ist in Salisbury im Süden Englands geboren, aufgewachsen ist sie in Nottingham in den Midlands. Sie habe die Schule mit 16 verlassen und habe eine Menge Jobs gehabt, darunter Kellnerin, Werbetexterin, Radioautorin und Sprecherin, sagte sie in einem Interview, und sie habe einen Hundespazierdienst betrieben. Sie habe immer gerne geschrieben, aber es habe zehn Jahre gedauert, bis sie ihr erster Buch veröffentlichen konnte. Als wichtigen Einfluss nennt sie Stephen King. «The Chalk Man» («Der Kreidemann») ist ihr erster Roman. Inzwischen arbeitet sie an einem dritten Buch. Sie lebt mit ihrem Partner und einer kleinen Tochter in Nottingham.

C. J. Tudor: «Der Kreidemann» (Original: «The Chalk Man», Michael Joseph, London 2018). Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Goldmann, München 2018. 380 S., ca. 28 Fr.
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